“Ziele in Europa im Visier.“ Merkel will mit dem Kreml-Chef unter vier Augen sprechen.

Moskau/Berlin. Kurz vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm hat Russlands Präsident Wladimir Putin seine Drohungen wegen der Raketenabwehrpläne der USA dramatisch verschärft. Putin kündigte an, möglicherweise "neue Ziele in Europa" ins Visier russischer Raketen zu nehmen. "Wenn die Amerikaner einen Teil ihres strategischen Nuklearpotenzials nach Europa verlegen und wir . . . dadurch bedroht werden, sind wir gezwungen, entsprechende Gegenmaßnahmen zu unternehmen", sagte Putin. Der Raketenschild sei ein Element des "strategischen Nuklearpotenzials der USA". Putin sagte wörtlich: "Natürlich müssten wir dann neue Ziele in Europa ins Visier nehmen."

Russische Militärs gaben zu verstehen, dass vor allem die geplante US-Radarstation in Tschechien sowie mögliche US-Raketensilos in Polen anvisiert werden könnten. Putin lobte demonstrativ Testversuche mit einer neuen Kurzstreckenrakete vom Typ Iskander-M, die in Kaliningrad stationiert werden soll und Ziele in Polen anvisieren könnte. Der Kremlchef stellte aber auch klar, dass er gegen ein Wettrüsten sei und keine Konfrontation mit dem Westen suche.

Die Drohungen belasten den G-8-Gipfel, der morgen im Ostseebad Heiligendamm beginnt. Entgegen der ursprünglichen Planung wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Putin unter vier Augen zusammenkommen. Die Bundesregierung befürchtet einen offenen Streit zwischen Putin und US-Präsident George W. Bush, die sich ebenfalls zu einem Einzelgespräch treffen. Der britische Premier Tony Blair nannte Putins Äußerungen beunruhigend. Ganz Europa sei besorgt über Russlands Verhalten und werde dies deutlich sagen, so Blair.

Der Iran bezeichnete das US-Abwehrsystem als "Witz des Jahres". Es sei schwer zu glauben, dass Washington nicht wisse, dass iranische Raketen Europa gar nicht erreichen könnten. Die Idee, Europa anzugreifen, wäre zudem bar jeder Logik, denn Europa sei der wichtigste Handelspartner Teherans.

Bush wurde gestern Abend in Prag erwartet. Laut Umfragen lehnen die meisten Tschechen den US-Raketenschild ab.