Israel: Als Soldat verteidigte er den stets gefährdeten Jüdischen Staat auf den Schlachtfeldern, Als Staatsmann Wandelte Er Sich Vom “Bulldozer“ Zum “Vater Und großvater Der Nation“. Israels Ministerpräsident schlug alle Warnungen nach seinem ersten Schlaganfall in den Wind - der Wahlkampf forderte seinen vollen Einsatz.

Hamburg. Der Ruf, der Ariel Scharon vorauseilt, ist beileibe nicht schmeichelhaft. "Bulldozer" und "Araberfresser" sind da noch von harmloserem Kaliber. Gleichzeitig mögen diese Worte so gar nicht passen zu dem Bild des "Vaters und Großvaters der Nation", als der er auch immer wieder von vielen Israelis beinahe liebevoll beschrieben wird. Beides aber verdeutlicht die vielen Facetten und Widersprüche jenes Mannes, der in seiner Rolle als doppelter Premier mal den gefeierten Kriegshelden und mal den Friedensfürsten mit internationalem Renommee gibt und der jetzt im Jerusalemer Hadassa-Krankenhaus seinen schwersten Kampf kämpft: den um sein Leben.

An Warnungen, kürzer zu treten, hat es nicht gefehlt, seit Scharon vor zweieinhalb Wochen einen ersten, leichten Schlaganfall erlitten hatte. Doch schließlich herrscht Wahlkampf in Israel. Da paßte es Scharon nicht ins Konzept, durch beunruhigende Nachrichten über seine gesundheitliche Verfassung potentielle Wähler seiner neuen Partei Kadima (Vorwärts) zu verunsichern. Zumal über das Programm der Partei kaum etwas bekannt ist. Scharon ist Kadima und Kadima ist Scharon. Seit jeher füttert der heute 77jährige seine Klientel bevorzugt mit Worten, die wenig sagen. Bis auf Schlüsselbegriffe, ohne die kein israelischer Premier auskäme. "Schalom we bitachon". Frieden und Sicherheit. Und weil auch die eine Million russische Einwanderer unter insgesamt gut sechs Millionen Israelis ein Riesen-Potential sind, hat Scharon, Sohn osteuropäischer Einwanderer, dies auch auf Russisch parat: "Mir i besopasnost".

Die Israelis hören das gern und fragen nicht nach Details. Wohl auch, weil niemand eine einfache Lösung für den Jahrhundertkonflikt kennt. Überwiegend Bewunderung allerdings erntete Scharon für seinen historischen Rückzug aus dem Gaza-Streifen. Die Aufgabe von jüdischen Siedlungen - das hatte vor ihm noch kein Premier gewagt. Und nun ausgerechnet er, der "Vater" aller israelischen Siedlungsprojekte? Allen Siedler-Protesten zum Trotz hatte Scharon dennoch das konservative Lager mehrheitlich auf seiner Seite, zumal er Siedlungen im Westjordanland massiv ausbauen ließ. Gleichzeitig avancierte er zum Darling der Linken, weil die Arbeitspartei diesen Kurs zwar stets, aber stets folgenlos verfolgte. Sogar Friedensnobelpreisträger Izchak Rabin hat den Siedlungsbau als Premier nicht angetastet.

Scharons Likud-Partei jedoch, die er vor 32 Jahren mitgegründet und maßgeblich mitgeprägt hat, witterte Verrat und probte den Aufstand. Scharon kam den Putschisten um seinen Erzrivalen Benjamin Netanjahu zuvor, verließ den Likud und gründete die Partei Kadima. Auch das ist in der israelischen Politik ohne Beispiel. Aber konsequent.

Ohnehin hat Scharon als einer der letzten Vertreter der Gründergeneration und mehrfacher Minister in konservativen Regierungen stets Verläßlichkeit vermittelt. Seine heldenhaften Operationen im Sechs-Tage-Krieg 1967 und im Jom-Kippur-Krieg 1973 brachten ihm Bewunderung und den Beinamen "König von Israel ein. So hatte Scharon im Oktober 1973 seine Panzertruppen auf eigene Faust über den Suez-Kanal geführt und eine drohende Niederlage gegen die Araber abgewendet.

Sogar arabische Despoten hegten insgeheim Respekt für den militärischen Haudegen. Für viele Palästinenser aber steht Scharon vor allem für die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schattila (Beirut), die libanesische Falangisten (maronitische Christen) 1992 verübten. 800 Menschen wurden unter den Augen israelischer Militärs ermordet, getötet. Eine israelische Kommission wies Scharon, damals Verteidigungsminister, Mitverantwortung zu. Er mußte zurücktreten.

Beobachter vermuten, Scharon habe diesen "Schandfleck" aus seiner Vita tilgen wollen. Das erkläre seinen plötzlichen Wandel vom Falken zum Friedenspolitiker. Noch im September 2000 hatte er mit seinem Ausflug zum Jerusalemer Tempelberg die blutige zweite Intifada der Palästinenser ausgelöst. Ein "Friedensspaziergang" sei das gewesen, behauptete er später. Scharons Märchenstunde. Trotzdem war er im März 2001 strahlender Wahlsieger über Ex-Premier Barak

Und heute? Da bekennt sich Scharon klar zu einem Palästinenserstaat, spricht von den Palästinensern als "unsere Nachbarn" - schon findet alle Welt Gefallen daran, daß er im Grun der "Bulldozer" geblieben ist. Sich selbst präsentiert der zweifache Witwer übrigens am liebsten im Kreis seiner Söhne und Enkel auf seiner Farm in der Negev-Wüste. Das Bild vom "wehrhaften Bauern", das gefällt ihm.