Die aufstrebende Jugend fordert, dass die Politiker das Land effektiver verwalten und für mehr Sicherheit sorgen.

"Rise up" (Steht auf!) ist bei Londoner Demonstranten gegen die Finanzkrise beliebt - auch in Indien hat der Begriff zum Beginn der landesweiten Parlamentswahlen Hochkonjunktur. Allerdings aus ganz anderem Anlass: Indiens Jugend zeigt damit ihre heftige Reaktion auf den verheerenden Terrorangriff in Mumbai im November, bei dem 170 Menschen starben und mehr als 230 verwundet wurden.

Zehn Terroristen konnten die 14-Millionen-Stadt lähmen wegen Behördenversagens, Sicherheitslücken und teilweise veralteter Polizeiausrüstung. Das löste Empörung aus in einer Zeit, in der junge Inder von der Zukunft viel erwarten und stolz auf ihr Land sein wollen - und sich dafür einen effektiven, schützenden Staat wünschen.

Ihre Enttäuschung äußern sie jetzt mit den Mitteln, die sie sonst für fröhliche Partys und Kontakte nutzen: mit Blogs, Foren, SMS und per Facebook. "Wir brauchen neue politische Führer, die vernünftige Urteilskraft und Modelle für eine effektive Politik haben", schreibt etwa der junge Blogger Gaurav Sikka im Forum "Rise up". Auch Kaizad Bhamgara (19) richtete eine Website www.riseupindia.in ein. Mit der Kampagne: Geht wählen!

Wahlen galten bei den Jugendlichen in Indiens schnell wachsender Mittelklasse bisher als uncool und uninteressant. Das hat sich geändert. Das Land steht vor einer Wahl der Superlative: Mehr als 714 Millionen Wahlberechtigte, mehr als je zuvor, werden an fünf Wahltagen zwischen dem 16. April und dem 13. Mai ein neues Parlament wählen, und mehr als ein Viertel von ihnen ist jünger als 25 Jahre. Diesmal wird die Jugend eine besondere, kaum berechenbare Rolle spielen, glauben indische Politikbeobachter.

Nicht die Weltwirtschaftskrise werde das Hauptthema sein, sondern der "Mangel an Führungskraft" in der Politik (Gaurav Sikka). "Das junge Indien sehnt sich nach ehrlichen Politikern, nach mehr Sicherheit, danach, eine Stimme zu haben" (Kaizad Bhamgara).

Die Wirtschaftskrise traf Indien bisher nicht so stark wie den Konkurrenten China. Indiens staatlich streng kontrollierter Finanzsektor blieb weitgehend von Banken-Crashs verschont. Aber viele klamm gewordene ausländische Investoren zogen ihr Kapital aus dem Land zurück. Der Export brach um mehr als 20 Prozent ein. Hunderttausende Arbeitsplätze vor allem im produzierenden Gewerbe gingen verloren.

Dennoch wächst Indiens Wirtschaft seit 2004 konstant um 5,8 Prozent. Weltbank und Internationaler Währungsfonds sagen für das Finanzjahr 2009/2010 immer noch ein Wachstum von vier bis fünf Prozent voraus. Ein Grund ist der riesige Inlandsmarkt. Die Bedürfnisse des neuen Mittelstands nach Autos, Hausgeräten, Nahrungsmitteln und Tourismus sind groß. Ein Beispiel ist der Nano, das neue Billigauto des Autokonzerns Tata: Die ersten hunderttausend Exemplare des simplen Zweitürers für 100 000 Rupien (knapp 1500 Euro) müssen verlost werden, denn die Nachfrage ist größer als die Produktion.

Die regierende Kongresspartei will im Wahlkampf denn auch vor allem mit ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik punkten. Sie gewann den Wahlkampf 2004 mit einem Plan zur Armutsbekämpfung: Hilfsprogramme für die Landbewohner, Beschäftigungsprogramme, Schuldenerlasse für Bauern. Sie haben auch durchaus Erfolg - aber "Kongress" ist für viele ein Synonym für "Korruption".

Das gilt allerdings nicht für den bescheidenen und besonnenen Premierminister Manmohan Singh (76). Kongresspartei-Chefin Sonia Gandhi (62) ließ Singh 2004 den Vortritt und verzichtete auf das Amt des Premierministers. Als jugendlichen Hoffnungsträger hat die Partei derzeit nur einen zu bieten: ihren Sohn Rahul Gandhi (38).

Die hindu-nationalistische Indische Volkspartei (BJP) als größter Opponent setzt ganz auf das Thema Sicherheit. Ihr Führer Lal Krishna Advani (81) schwor die Partei schon in den 80er-Jahren auf einen radikalen, anti-muslimischen Kurs ein. In Massenkrawallen gegen Muslime, zum Teil mit Hunderten Toten wie im Bundesstaat Gujarat 2002, spielte Advani den Wortführer. Bei der Wahl 2004 zahlte sich das nicht aus, Advanis Regierung wurde abgewählt. Jetzt will er aus der Angst vor Terror Kapital schlagen - vor allem bei den Armen.

Ob er aber die rund 830 Millionen Inder überzeugt, die mit weniger als 50 Cent pro Tag auskommen müssen, ist fraglich. Viele von ihnen setzen auf eine Frau: Mayawati (53), Chefin der Bajuhan-Samaj-Partei und mächtige Ministerpräsidentin des bevölkerungsreichsten Bundesstaates Uttar Pradesh. Sollte weder Kongress- noch Volkspartei genügend Stimmen erringen, könnte sie der Königsmacher werden.

Aber alle diese Parteiführer gelten Indiens Jugendlichen als alt. Prashant Singh (31) hat jetzt über das Internet in Mumbai eine eigene Partei "Jago" ("Wacht auf") gegründet: "Wir wollen nicht im Gartenstuhl sitzen und abwarten", sagt er. "Die politischen Parteien haben die Jugend bisher ignoriert", sagte Subi Chaturvedi, der in Jamia eine Studentenaktion zu den Wahlen organisiert, der Zeitung "The Hindu". "Wir gelten als zynisch. Aber jetzt mischen wir uns ein."