Die Bundesregierung geht trotz der Forderung von US-Präsident Barack Obama nicht von einer raschen Entscheidung über einen EU-Beitritt der Türkei...

Berlin. Die Bundesregierung geht trotz der Forderung von US-Präsident Barack Obama nicht von einer raschen Entscheidung über einen EU-Beitritt der Türkei aus. "Die Verhandlungen mit der Türkei dauern an, sie werden auch noch geraume Zeit benötigen", sagte Vize-Regierungssprecher Thomas Steg gestern in Berlin. Dies könne sich über Jahre hinziehen. Weil ergebnisoffen verhandelt werde, gehe auch das Ringen um die unterschiedlichen Varianten einer Annäherung der Türkei an die Europäische Union (EU) weiter.

Bundeskanzlerin Angela Merkel setzt sich als CDU-Chefin hingegen für eine "privilegierte Partnerschaft" ein. Als Kanzlerin trägt sie den Beitrittsprozess allerdings mit.

Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz stellt sich jedoch gegen die offizielle Linie seiner Partei. Er sagte der "Frankfurter Rundschau": "Die Türkei verdient eine faire Chance, auch EU-Vollmitglied zu werden." Allerdings müssten beide Seiten einige Voraussetzungen erfüllen.

Der SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Martin Schulz, sagte, die SPD habe sich immer klar für die Beitrittsperspektive der Türkei ausgesprochen. Äußerungen von Unionspolitikern gegen Verhandlungen bezeichnete er als "Wahlkampfgeklingel". Auch Gernot Erler, SPD-Staatsminister im Auswärtigen Amt, äußerte sich positiv. "Die Türkei gehört zur EU", sagte der SPD-Politiker "Handelsblatt.com". "Da hat nicht nur Obama völlig recht, sondern so verstehe ich auch den Koalitionsvertrag." Dort ist von einer Anbindung des Landes an die EU die Rede, aber auch von einem privilegierten Verhältnis, wenn Voraussetzungen nicht zutreffen. Seit Oktober 2005 laufen Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei. Seitdem wurden zehn Verhandlungskapitel geöffnet und eines davon abgeschlossen.

Merkel sieht trotz der anfänglichen Blockade der Türkei gegen die Kür des Dänen Anders Fogh Rasmussen zum neuen Nato-Generalsekretär keine direkten Folgen für die Beitrittsverhandlungen. "Da hat die Bundeskanzlerin deutlich gemacht, dass es keine unmittelbare Verbindung gibt", sagte Steg. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte: "Natürlich hat die harte Verhandlungshaltung auch Spuren hinterlassen." Der CDU-Europaparlamentarier Elmar Brok warf Obama vor, sich mit seiner Forderung in Entscheidungen der EU einzumischen. "Wir reden auch nicht darüber, ob die Vereinigten Staaten neue Mitglieder aufnehmen sollen", sagte er gestern dem RBB.

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, teilt Obamas Ansicht. "Denn wer weiß, dass die Energieversorgungswege langfristig von Mittelasien nach Westeuropa führen werden, der weiß auch, dass diese Wege durch die Türkei führen werden", sagte Kolat dem Abendblatt. "Die Deutschen sollten also nicht innenpolitisch kleinlich über den Beitritt diskutieren, sondern strategisch an die Sache herangehen."

Im Übrigen orientiere sich das Türkei-Bild in Deutschland allein an der Integrationsfrage. "Aber von den 8000 bis 9000 Türken, die pro Jahr nach Deutschland kommen, stammen längst nicht mehr alle vom Dorf. Es ist ein falsches oder unvollständiges Bild, eines, das vom Kopftuch geprägt ist und von Zwangsheirat", so Kolat.