Der luxemburgische Ministerpräsident und EU-Top-Politiker Jean-Claude Juncker spricht im Abendblatt-Interview über die Anforderungen, die der künftige US-Präsident Barack Obama an die Europäer stellen wird. „Die Partnerschaft wird nicht einfacher werden“, prophezeit Juncker. Und: Er ist seit Langem mit Hillary Clinton befreundet.

Hamburger Abendblatt: Herr Ministerpräsident, wo werden Sie die Amtseinführung von Barack Obama verfolgen?

Jean-Claude Juncker: Um die Zeit am Dienstag tagen die Finanzminister der EU. Ich werde die Veranstaltung also nicht zeitgleich im Fernsehen schauen können, aber meine Mitarbeiter werden mich sicher auf dem Laufenden halten.

Abendblatt: Sind Sie Barack Obama schon einmal persönlich begegnet?

Juncker: Ich habe ihn bisher weder getroffen noch mit ihm telefoniert. Die persönliche Begegnung werden wir spätestens beim Nato-Gipfel Anfang April in Straßburg und Kehl nachholen können.

Abendblatt: Freuen Sie sich auf Obamas Einzug ins Weiße Haus?

Juncker: Ich sehe dem mit großer Zuversicht entgegen, obwohl ich nicht zu denen gehöre, die denken, dass die Amerikaner Obama gewählt haben, weil wir Europäer das gerne so wollten. Die US-Bürger haben Obama aus strikt innenpolitischen Gründen gewählt. Und er wird sich in erster Linie um die Innenpolitik kümmern, wie es auch seine Amtsvorgänger Clinton und Bush während ihrer ersten Amtszeit gemacht haben. Aber das wird nicht zu Ungunsten der Europäer sein.

Abendblatt: Die Welt erwartet einen grundlegenden Wandel der US-Politik, zum Beispiel die Beendigung des Irakkrieges oder die Schließung von Guantanamo.

Juncker: Wenn Guantanamo geschlossen wird und die USA damit wieder in den sicheren Hafen der Rechtsstaatlichkeit einlaufen, wird sich das Bild der Amerikaner in der Welt ändern. Wir werden es wieder mit einem Amerika zu tun haben, das mehr unseren Vorstellungen entspricht.

Abendblatt: Was wird Obama von Europa erwarten?

Juncker: Bei all seinen Bemühungen um Multipolarität im transatlantischen Bündnis wird Obama den Europäern zwingender und fordernder gegenüber treten, sie auffordern, mehr Verantwortung in der Welt zu übernehmen, in Afghanistan präsenter zu sein. Die Partnerschaft wird nicht einfacher werden.

Abendblatt: Erhoffen die Europäer zu viel von Obama?

Juncker: Die USA haben über Jahrzehnte immer ein starkes Europa gewollt, aber nur in dem Sinne, dass sich Europa bedingungslos den amerikanischen Positionen unterordnet. Europa muss den USA Unterstützung zusichern, aber wir müssen auch deutlich machen, dass Europa eigene Ansichten, Einsichten und Vorsichten hat. Die Europäer müssen sich darauf besinnen, was die Schnittmenge ihrer Positionen kraftvoll bedeuten kann und diese in der Außenpolitik deutlich machen. Amerika braucht ein starkes Europa und umgekehrt. Keiner kann alleine mehr die Probleme der Welt lösen. Die Europäer haben erfahren, dass sie nicht mehr die Herren der Welt sind. Die Amerikaner müssen das noch lernen, aber ich traue Obama zu, dass er das schon intuitiv erfasst hat.

Abendblatt: Welchen Beitrag kann Europa zum Beispiel zur Lösung des Nahost-Konfliktes leisten?

Juncker: Mit seinen vielfältigen Initiativen präsentiert sich Europa dort zurzeit meiner Ansicht nach sehr mangelhaft. Dabei gibt es eine gemeinsame europäische Position. Der Konflikt im Nahen Osten wird nur gelöst werden können, wenn Europa und die USA an einem Strang ziehen und den Israelis sowie den Palästinensern gemeinsame Positionen vermitteln. Dann wird sich die Bereitschaft der Konfliktparteien, Frieden zu schaffen, erhöhen. Wenn die Europäer national unterschiedliche Wege einschlagen, wird es die EU als Friedens-Vermittlungspartner im Nahen Osten nicht geben.

Abendblatt: Wie stark wird die neue US-Außenministerin Hillary Clinton die EU-Politik der USA prägen?

Juncker: Der neue US-Präsident wird aufgrund seiner Biographie eher nach Asien ausgerichtet sein, sodass Hillary Clinton ihm den europäischen Teil der Einflusszonen gut vermitteln wird. Ich bin seit langem mit Hillary Clinton befreundet und weiß, dass sie Europa gut kennt.