Favoriten für das Amt des Premiers sind eine Frau ohne Eigenschaften und ein Mann ohne Prinzipien. Beide stehen für Kampf gegen die Hamas.

Hamburg. In einem Land, in dem Gott und Glauben, Existenz und Politik derart miteinander verquickt sind wie in Israel, werden Wahlen zwangsläufig zur Richtungswahl erhoben. Diesmal fehlt es nicht an düsteren Prophezeiungen. Am Dienstag stimmen die 5,3 Millionen wahlberechtigte Israelis über eine neue Knesset (Parlament) ab - und der Mufti von Jerusalem sieht den Friedensprozess im Nahen Osten bereits zerstäuben wie eine Parfümwolke im Salon.

Nach allen Umfragen haben der Raketenkrieg der Hamas und die israelische Offensive im Gazastreifen Israel nach rechts rücken lassen. So verspricht Oppositionsführer Benjamin Netanjahu vom rechten Likud: "Ich werde die Hamas-Herrschaft in Gaza beenden." Zipi Livni, Spitzenkandidatin der Zentrums-Partei Kadima, droht der Hamas einen "Kampf mit aller Kraft" an. Und Verteidigungsminister Ehud Barak von der linksgerichteten Arbeitspartei legt noch einen drauf: "Israel wird die Hamas zerschlagen und zermalmen."

Martialische Töne. Aber das kommt an in Israel, zumal der Friedensprozess seinen Namen kaum mehr verdient. Den Israelis geht heute vor allem um ihre Sicherheit, denn Feinde gibt es viele - islamische Fundamentalisten, al-Qaida, Iran, die Hisbollah und die Hamas.

Israels höchstdekorierter Soldat Ehud Barack (66), 2001 nach nur zwei Jahren als Premier an der eigenen Überheblichkeit gescheitert, hat von dieser Stimmung kaum profitieren können. Seiner Arbeitspartei wird in Umfragen der Verlust von sechs der 19 Parlamentssitze vorhergesagt. Das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Partei. Netanjahus Likud wird dagegen die bisherigen Mandate auf dann 25 der 120 Abgeordnetensitze mehr als verdoppeln. Und Livnis regierende Kadima ("Vorwärts") kommt danach auf 23 Sitze.

"Bibi" oder Zipi - darauf läuft das Duell hinaus. Um die Nachfolge des scheidenden Premiers Ehud Olmert bewerben sich ein Mann ohne Prinzipien und eine Frau ohne Eigenschaften. Für Netanjahu stehen derzeit weder ein Palästinenserstaat noch die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien zur Debatte. Viele Hardliner im eigenen Lager haben Netanjahu aber nicht verziehen, dass er als einstiger Premier von 1996 bis 1999 den Nahost-Prozess auf Eis legten wollte, dann aber doch die Teilräumung der Palästinenserstadt Hebron vollzogen hat. In Israel unvergessen sind auch die Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu und seine Frau Sara sowie sein öffentliches Eingeständnis einer außerehelichen Affäre. Kritiker Netanjahus warnen vor einer politischen Isolierung Israels und einer Verschlechterung der Beziehungen zum wichtigsten Bündnispartner USA, sollte der 59 Jahre alte Harvard-Absolvent die Wahl gewinnen.

Die ehemalige Agentin des Geheimdienstes Mossad Livni (50) erfreut sich zwar mit ihrer sanften, ausgleichenden Art großer Beliebtheit in allen Lagern. Doch auch der Wahlkampf hat nichts daran geändert, dass vielen Israelis das Gesicht Livnis bekannt, die Person dagegen fremd ist. Sie gilt als integer - das wiegt schwer in einem Land, in dem Korruptionsskandale an der Tagesordnung sind. Und sie will mit gemäßigten Palästinensern verhandeln. Doch gerade in Krisenzeiten, so glauben viele, habe die 50-Jährige nicht das Format, nach Golda Meir die zweite Frau an der Spitze der Regierung Israels zu werden. Erschwerend hinzu kommt, dass die Kadima-Partei, 2005 von dem heute im Koma liegenden Ex-Regierungschef Ariel Scharon gegründet, mit ihren Tauben und Falken in den eigenen Reihen in wichtigen Fragen so gespalten ist wie die israelische Öffentlichkeit. Der Riss geht sogar durch Livnis Familie. So teilte ihr Bruder Eli vor wenigen Tagen der überraschten Öffentlichkeit mit, dass er aus der Kadima ausgetreten sei. Er unterstützt jetzt Netanjahu.