Jefferson: Der dritte Präsident der USA und Übervater der amerikanischen Geschichte hatte ein Verhältnis mit der blutjungen Sally Hemings. Ihre Nachkommen trafen sich in Virginia.

Washington. Gregory Cooley erinnert sich noch gut, als er als Siebtklässler das erste Mal in Monticello war. Seine Lehrerin Miss Lautenstein hatte dem kleinen schwarzen Jungen und seinen Mitschülern auf der Fahrt zu der Residenz von Thomas Jefferson, dem Verfasser der Unabhängigkeitserklärung und dritten Präsidenten der USA, immer wieder erklärt, sich bestens zu benehmen, nicht aufzufallen und die "Negroes", die Neger, nicht zu beschämen. Als Gregory dann während der Tour den Führer fragte, wo denn die Sklaven Jeffersons gewohnt hätten, schlug Miss Lautenstein entsetzt die Hände vors Gesicht und wäre am liebsten in den Erdboden versunken. Man schrieb das Jahr 1961, und die Rassentrennung sorgte dafür, dass die Schwarzen in den USA in eigenen Schulen unterrichtet wurden, ihre eigenen Toiletten hatten und weißen Mitbürgern immer Platz zu machen hatten, wenn diese es begehrten. Der Schüler bekam übrigens keine Antwort, sondern später eine saftige Abreibung seiner Lehrerin. Hätte Cooley damals schon das Familiengeheimnis gekannt, hätte er noch für sehr viel mehr Entsetzen im amerikanischen Nationalheiligtum Monticello nahe der Stadt Charlottesville (Virginia) sorgen können. Thomas Jefferson, dieser Übervater der amerikanischen Geschichte, dem jedes noch so kleine Kaff in den USA eine Straße, einen Platz oder eine Bibliothek gewidmet hat, ist in direkter Linie der Urururur-Großvater des Schwarzen. Jetzt, gut 40 Jahre später, steht der erfolgreiche Rechtsanwalt im Garten hinter der Residenz seines Ahnen und trinkt sichtlich zufrieden Chardonnay und isst dazu feine Häppchen. "Das ist ein historischer Tag", erklärt er freudig. Rund 180 Cousins und Cousinen, wie die Schwarzen jeden nicht näher definierten Verwandten bezeichnen, tun es ihm gleich. Die Stimmung ist gut, um nicht zu sagen prächtig.Hier im Schatten gewaltiger Eichen fand an diesem Wochenende das erste offizielle Familientreffen der Hemings statt. Wenn es nach den offiziellen Nachfahren von Thomas Jefferson ginge, dann dürfte es solch eine Veranstaltung niemals geben. Hinter vorgehaltener Hand wird von "opportunistischer Sklavenbrut" und "Bastarden" geredet, die nichts mit Jefferson gemein haben. Zwei Jahrhunderte lang hatte es Gerüchte gegeben, dass der ehrenwerte Staatsmann nach dem frühen Tod seiner Frau Martha eine Verhältnis mit der Sklavin Sally Hemings hatte. Politische Gegner hofften ihn schon damals, ähnlich wie knapp 200 Jahre später seinen Nachfolger Bill Clinton, zu Fall zu bringen. Ohne Erfolg. Jefferson schwieg und zeugte mit der 30 Jahre jüngeren Schwarzen ein Kind nach dem anderen. Mindestens sechs, vielleicht auch sieben. Jahrzehntelang versuchten Historiker das Geheimnis zu lüften, Beweise für das Gerücht zu finden. Man errechnete zwar, dass Jefferson immer zu der Zeit, als Sally schwanger wurde, in Monticello war, doch solch lausige Indizienbeweise wollten die legitimen Nachkommen des US-Präsidenten nicht gelten lassen. 1998 sollte eine DNA-Analyse die "ehrabschneidenden Gerüchte", so die "echten" Jeffersons, ein für alle Mal beenden. Das Ergebnis war ein Schock. Die Untersuchung bestätigte, dass in den Adern der Hemings-Nachkommen tatsächlich Blut von Thomas Jefferson fließt. Während die offiziellen Jeffersons am Boden zerstört waren, kannte der Jubel unter den Nachfahren seiner schwarzen Geliebten keine Grenzen. Gut eine Hundertschaft ging 1999 zum alljährlichen Familientreffen der Präsidentennachfahren nach Monticello. "Man beäugte uns, als wären wir aus dem Zoo davongelaufen", erinnert sich Diggs Dalton, der damals auch dabei war. "Wer sind die?", Was wollen die hier?", waren die zentralen Fragen. Um für keinen Eklat zu sorgen, setzte man die neuen Verwandten nicht vor die Tür, beschloss jedoch wenig später, dass sie nicht wie alle anderen Jefferson-Verwandten in die Monticello-Gesellschaft aufgenommen werden. Es folgten jahrelange Diskussionen und Schlichtungsgespräche, die im Mai 2003 damit endeten, dass man den Hemings offiziell verbot, zu den jährlichen Jefferson-Familientreffen zu kommen. Um einen Zerfall der inoffiziellen Jefferson-Familie zu verhindern, beschloss Julia Westerinen, Urururur-Enkelin von Sally Hemings und Thomas Jefferson, fortan ein eigenes Familientreffen zu organisieren in der Hoffnung, dass sich die beiden Teile eines Tages wieder vereinen, wie einst der Präsident und die Sklavin. Ein ganzes Wochenende hat man diesmal dafür anberaumt. In glühender Hitze lauschen ungefähr 180 Hemings-Abkömmlinge unter einem Zelt nahe Monticello stundenlang Ausführungen von Genealogen und Familienmitgliedern, um mehr über die eigene Vergangenheit zu erfahren. Jeder der Besucher, die aus den ganzen USA zusammengekommen sind, trägt ein Namensschild und einen Verweis, welcher Hemings-Linie er angehört. Viele hören zum ersten Mal, dass Jeffersons legitime Tochter Martha nach dessen Tod im Jahre 1826 durch das Erbe von Monticello auch offiziell Besitzerin ihrer Stiefmutter Sally Hemings und ihrer Halbgeschwister wurde. "Welch eine Perversion", entfährt es einer Zuhörerin. Brent Staples, Leitartikler der "New York Times", hält das Hauptreferat. Unter dem Beifall der Hemings-Großfamilie erklärt der Schwarze: "Dieses Land hat in der ewigen Lüge gelebt, dass es uns nicht gibt. Jetzt kann es nicht mehr lügen." Der Journalist träumt davon, dass Monticello eines Tages auch ins Verzeichnis der bedeutendsten schwarzen Nationaldenkmäler aufgenommen wird. Am Sonnabendabend, nachdem die Schar der Touristen Jeffersons Palast am Berg verlassen hat, lädt Daniel Jordan, der Direktor des Nationalerbes, die Hemings zu einem Empfang. Die Mitglieder der Jefferson-Gesellschaft hätten es gerne verhindert, wenn sie gekonnt hätten. Für viele der meist sehr konservativen weißen Südstaatler kommt diese Einladung einem Sakrileg gleich. Doch so schauen sich die Mitglieder von Jeffersons anderer Familie verschiedene Austellungsräume und Zimmer an. Manche machen sich Gedanken, ob ihre Urahnin Sally, die Jeffersons bevorzugte Haussklavin war, wohl auf diesem Stuhl gesessen oder an jenem Küchentisch gestanden hat. Zu vorgerückter Stunde an diesem Sommerabend dirigieren ein gutes Dutzend Fotografen und Kameramänner die knapp zweihundert Hemings auf der ausladenden Gartentreppe von Monticello, um das perfekte Familienbild zu bekommen. Lachend stimmen einige der jungen Hemings den Hit "We are Family" (Wir sind Familie) an, alle fallen ein. Fröhliches Gejohle und Applaus folgen. Nach Schätzungen von Organisatorin Julia Wersterinen gibt es zur Zeit etwa 3000 lebende Nachkommen von Sally Hemings. Judy Harper, eine von ihnen, hat Verständnis für die andere Seite der Jeffersons. "Natürlich ist es nicht leicht zu realisieren, dass einer der angesehensten Männer unserer Geschichte mit 45 Jahren ein 15-jähriges schwarzes Sklavenmädchen geschwängert hat - vermutlich gegen ihren Willen - und sie über Jahrzehnte als Mätresse hielt", meint die Frau. Gregory Cooley sieht gerade darin eigentlich eine Chance für das Rassenverständnis in den USA. "Das ist doch der Stoff für eine Hollywood-Romanze. Weißer US-Präsident verliebt sich in junge schwarze Sklavin, hält ihr bis zu seinem Tod die Treue, und die Nachkommen ihrer gemeinsamen Kinder und denen aus seiner Ehe finden sich nach 200 Jahren wieder und beenden so den Rassenstreit. Das wäre doch ein Bilderbuch-Ende", fabuliert der Rechtsanwalt. Dann gesteht sich Cooley jedoch selbst ein, dass dafür "die Zeit leider noch nicht reif" ist.