Rebellen begrüßen Russlands neue Linie. Die Intensität der Kämpfe in dem Land nimmt weiter zu, Zahl der Opfer steigt auf beiden Seiten.

Beirut/Moskau. Nach den Massakern an Zivilisten in Hula und Kubeir hat der syrische Konflikt eine gefährliche neue Stufe erreicht. Offenbar versucht das Regime derzeit verstärkt, von Rebellen kontrollierte Gegenden zurückzuerobern. Die Armee soll Freitagmorgen begonnen haben, das Viertel Khalidieh in Homs zu bombardieren: "Rings um mein Haus toben heftige Kämpfe", sagt Waleed Fares, ein ortsansässiger Aktivist. "Assads Armee versucht in unser Viertel vorzudringen." In den nahe gelegenen Orten Rastan und Qusair, in Daraa im Süden und in Lattakia an der Küste soll die Armee ebenfalls mit schwerer Artillerie auf Wohngebiete gefeuert haben.

Nach Informationen von "Zenith Online" haben regimetreue Schabiha-Milizionäre am Donnerstag Qaryatayn in der Provinz Homs angegriffen. Auch Fallschirmjäger sollen beteiligt gewesen sein. Zugleich hatten Soldaten und regimetreue Zivilisten Uno-Beobachter auf dem Weg in den Weiler Kubair aufgehalten, wo am Vortag 78 Menschen massakriert worden sein sollen. Erst vor zwei Wochen haben Schabiha in Hula in Westsyrien Augenzeugen zufolge 109 Zivilisten getötet.

Seither haben auch die Rebellen ihre Angriffe drastisch intensiviert. Die Zahl der getöteten Soldaten ist seit Anfang Juni sprunghaft angestiegen. Seit Anfang Juni sollen 200 Soldaten getötet worden sein, meldet die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Syrische Staatsmedien sprechen von mehr als 100 getöteten Soldaten innerhalb von zwei Tagen.

Die Berichte deuten darauf hin, dass die Aufständischen zuletzt massiv aufgerüstet haben. Waffenhändler im Libanon sowie Kämpfer der Rebellen haben der "Welt" bestätigt, dass die Aufständischen inzwischen in den Besitz von panzerbrechenden Geschossen sowie von Raketen gelangt sind.

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Sondervermittler Kofi Annan sagt ganz ohne diplomatische Verbrämungen, dass das Land sich schon jetzt in einer Art Bürgerkrieg befindet. Wenn nicht bald eine Lösung gefunden werde, würde Syrien "explodieren und die ganze Region mitreißen". Noch sei sein Plan nicht gescheitert. Erfolgreich aber war er auch nicht. "Die Frage ist einfach, wie wir die syrische Regierung dazu bekommen, den Friedensplan zu befolgen", sagt Annan und hofft auf die neue Kontaktgruppe von Ländern, die Einfluss auf Damaskus haben. Dazu können die USA, China, Russland, Großbritannien und Frankreich gehören sowie die Türkei, Saudi-Arabien und Iran.

Am Freitag traf Annan sich in Washington mit US-Außenministerin Hillary Clinton. Bei der Zusammenkunft im State Department stand die Suche nach Lösungen für den Konflikt im Mittelpunkt. Annan bemängelte vor dem Treffen die Probleme bei der Umsetzung seines Friedensplanes und forderte "weiteren Druck" auf die Regierung in Damaskus.

Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon forderte den Sicherheitsrat zur Einigkeit auf. Ein umfassender Bürgerkrieg sei nah, den könnten auch Terroristen nutzen. "Und wir haben Hinweise auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die internationale Gemeinschaft muss jetzt handeln." Bis jetzt blockierte Russland zusammen mit China im Sicherheitsrat alle Versuche, stärkeren Druck auf Assad auszuüben. Nun gibt es erste Anzeichen dafür, dass die russische Position sich allmählich ändert.

Vizeaußenminister Michail Bogdanow sagte, dass Russland die sogenannte Jemen-Lösung nicht ausschließt. Der Präsident des Jemen, Ali Abdullah Saleh, war im Februar zurückgetreten, die Übergangsregierung hatte ihm Immunität garantiert. "Das Szenario im Jemen wurde von Jemeniten selbst diskutiert. Wenn dieses Szenario mit den Syrern diskutiert wird, wenn es von ihnen akzeptiert wird, haben wir nichts dagegen", sagte Bogdanow.

Bereits einige Tage früher signalisierte ein anderer Vizeaußenminister Russlands, Gennadij Gatilow, dass Russland prinzipiell nichts gegen einen Rücktritt Assads hätte, wenn der im Rahmen einer friedlichen Lösung passierte. "Wir haben nie gesagt, dass Assad an der Macht bleiben soll", sagte Gatilow. Die Lösung solle jedoch von Syrern selbst gefunden werden. Das ist eine Wende in der Haltung Moskaus. Bis vor Kurzem war es der Meinung, dass nur Assad die Stabilität des Landes garantieren könne.

"Russland kann sich jetzt die Zukunft Syriens ohne Assad vorstellen", sagt Munzer Halloum, ein Oppositioneller aus dem Demokratischen Forum Syriens. Seit dem Frühling letzten Jahres nahm er an der Revolution teil. Im August kam er zu seinen Freunden nach Moskau und durfte nicht mehr zurück. Halloum bereitete mehrere Treffen der syrischen Opposition mit dem russischen Außenministerium vor. Diese Verhandlungen laufen seit dem Ende letzten Jahres auf Initiative der russischen Seite. Und seit dieser Zeit gebe es eine Änderung in der Position Moskaus. Am Anfang habe Russland noch darauf bestanden, dass Assads Rücktritt nicht infrage kommt. "Das war wie eine Mauer", sagte Halloum.

Das bestätigt auch ein Mitglied des Syrischen Nationalrats, Mahmoud al-Hamza, der an drei Verhandlungen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow und seinem Stellvertreter Bogdanow teilnahm. "Russland war am Anfang deutlich auf der Seite des Regimes", sagt al-Hamza. "Und wir wollten beweisen, dass Assad Menschen tötet, dass Syrer Freiheit und Schutz gegen Geheimdienste wollen." Moskau sei misstrauisch gewesen und habe das Streben nach mehr Freiheit für amerikanischen Einfluss gehalten.

Auch der Fall Libyen habe bei Moskaus Überlegungen eine Rolle gespielt, als nach der Resolution des Uno-Sicherheitsrats dort eine militärische Lösung folgte. "Russland war der Meinung, dass es in Libyen vom Westen betrogen wurde und wollte beweisen, dass es sich in Syrien den westlichen Interessen widersetzen kann. Doch das passiert auf Kosten des syrischen Volkes", sagt al-Hamza. Er ist fest davon überzeugt, dass sich die russische Position weiter ändert.