Nach dem Aufschrei über die Morde in Hula schließt Frankreichs Präsident militärische Lösungen nicht aus. Flüchtlingsdrama an den Grenzen.

Hamburg. Vor gut einem Jahr hatte sich der prominente französische Philosoph Bernard-Henri Lévy in Libyen mit Rebellen getroffen und anschließend seinen politischen Intimfeind, Frankreichs Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, zu einem militärischen Eingreifen gegen den Diktator Muammar al-Gaddafi gedrängt. Die Folgen sind bekannt: Sarkozy preschte tatsächlich vor und düpierte die Nato, indem er Luftangriffe fliegen ließ. Die Amerikaner zogen zähneknirschend nach - und Gaddafi wurde am Ende gestürzt.

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Jetzt will der umtriebige "BHL" Ähnliches mithilfe von Sarkozys Nachfolger François Hollande bewirken, der Frankreichs Streitkräfte nun gegen den syrischen Tyrannen Baschar al-Assad in Marsch setzen soll.

"Was ist das Wichtigste - eine Gehaltskürzung Ihrer Minister bekannt zu geben ... oder beim Sicherheitsrat eine Resolution einzubringen, die die Bombardierung schussbereiter Panzer an den Stadträndern autorisiert?", fragte Lévy und setzte nach: "Wird Frankreich dasselbe für Hula und Homs tun, was es für Bengasi und Misrata getan hat?"

Lévys Vorstoß war ein weltweites Medienecho sicher, und François Hollande äußerte prompt im Fernsehsender France 2, dass er eine Militärintervention in Syrien mit Uno-Mandat nicht ausschließe. "Man darf Baschar al-Assad nicht weiter sein eigenes Volk massakrieren lassen", sagte Hollande.

Manche Beobachter glauben, das Massaker von Hula, bei dem syrische Regierungstruppen und mit ihnen verbündete Milizen 108 Zivilisten, darunter 49 Kinder und 34 Frauen, ermordet haben, könne der Wendepunkt in dem seit 15 Monaten andauernden Konflikt werden. Mehr als 12.000 Zivilisten sind dem Morden bereits zum Opfer gefallen; mehr als eine halbe Million Syrer sind vor den Kämpfen auf der Flucht. Der Friedensplan des früheren Uno-Generalsekretärs Kofi Annan ist samt Waffenstillstand zunächst gescheitert.

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Die Staatengemeinschaft verschärft zwar ihren Kurs gegenüber dem Assad-Regime. Und zahlreiche Staaten, darunter die USA, Deutschland und die Türkei, wiesen die jeweiligen syrischen Botschafter aus. Doch sieht es derzeit nicht danach aus, dass sie dem mörderischen syrischen Regime in den Arm fallen werden. Selbst die USA wiesen die Überlegungen Hollandes zurück.

Washington halte eine "weitere Militarisierung des Konflikts" zum jetzigen Zeitpunkt nicht für richtig, erklärte Jay Carney, der Sprecher von US-Präsident Barack Obama. "Wir glauben, dass dies nur zu noch größerem Chaos und zu einem noch größeren Gemetzel führen würde." Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle lehnt eine militärische Intervention ab: "Für Spekulationen über militärische Optionen besteht aus Sicht der Bundesregierung kein Anlass", sagte er der "Welt".

Die Machtverhältnisse im Uno-Sicherheitsrat lassen eine Militärintervention derzeit nicht erwarten. Die Veto-Mächte Russland und China stemmen sich dagegen und haben bereits zwei Resolutionen zur Verurteilung Assads zu Fall gebracht. Alle Konfliktparteien müssten auf Gewalt verzichten, um "ähnliche Vorfälle" wie in Hula künftig zu vermeiden, erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow.

Russland ist traditioneller Verbündeter und stärkster Waffenlieferant Syriens und will überdies verhindern, dass der Westen die strategischen Verhältnisse im Nahen Osten per Intervention zu seinen Gunsten ändert.

Der Fall Syrien liegt viel komplizierter als der Libyens. Seine Armee ist weitaus stärker und damit schwerer auszuschalten als einst die libysche, und Assad sitzt wie eine Spinne in einem Netz internationaler Machtlinien. Alle Staaten der Region haben unterschiedlich gelagerte Interessen an Syrien. Zusammen mit seinem Verbündeten Iran beeinflusst Syrien die Terrorgruppen Hamas und Hisbollah sowie die Regierung des Libanon und damit auch das Schicksal Nordisraels.

Russland teilt ein starkes Interesse mit Syrien, China wiederum kooperiert eng mit dem Iran. Iranische Kämpfer sind offenbar schon direkt an den Gefechten in Syrien beteiligt; Teheran liefert dem Assad-Regime auch Waffen. Die syrischen Rebellen wiederum werden von der Türkei und einigen der arabischen Staaten unterstützt.

Ein Militärschlag gegen Syrien würde über Hisbollah und Hamas schnell den Iran und Israel involvieren und im weiteren Verlauf des Konfliktes vermutlich auch Irans schärfste Rivalen Saudi-Arabien und Ägypten und damit den gefährlichen sunnitisch-schiitischen Gegensatz in der labilen Region entzünden. Ein vom Westen einseitig beschlossener Militäreinsatz - also ohne Mandat des Uno-Sicherheitsrates - würde zudem die Spannungen mit Russland und China erhöhen.

Die Staatengemeinschaft fürchtet daher mit Recht einen Stich in dieses Hornissennest und setzt momentan eher auf das "Jemen-Modell". Wie im Fall des langjährigen jemenitischen Despoten Ali Abdullah Salih, der aufgrund von wachsendem innen- wie außenpolitischen Druck im vergangenen Jahr sein Amt niederlegte, soll auch Assad dazu bewegt werden, freiwillig abzutreten. Doch noch sitzt der gelernte Augenarzt fest im Sattel.

Zugleich wächst die Furcht, der eskalierende syrische Bürgerkrieg könne, ähnlich wie im Irak, die Feindschaft zwischen den einzelnen Ethnien aufflammen, das Land in mehrere Machtbereiche zerfallen lassen und damit die ganze Region auf Dauer destabilisieren.