Der Sondergesandte von UN und Arabischer Liga unternimmt in Damaskus einen weiteren Versuch, die Waffen endlich zum Schweigen zu bringen.

Amman/New York. Reihen über Reihen von Toten liegen auf dem Fliesenfußboden der Moschee. Die Uno-Beobachter mit ihren blauen Helmen bahnen sich ihren Weg durch die aufgebrachte Menge, die sich in der hohen Gebetshalle versammelt hat. Die Leichen sind in Laken gehüllt, Blut sickert durch den blütenweißen Stoff. 85 Todesopfer haben die Beobachter in Hula gezählt, später erhöhte Robert Mond, der Leiter der Uno-Beobachtermission, die Zahl auf 116. Darunter waren 34 Kinder unter zehn Jahren.

"Mir fehlen die Worte, um zu erklären, was hier geschehen ist", sagt Abu Dschaafar, ein Anwohner, der geholfen hat, die Leichen zu bergen. "Das hier ist ein Dorf, hier kennt jeder jeden. Meine Freunde sind tot, meine Nachbarn, meine Cousins und meine Onkel."

"Ein gesunder Verstand kann nicht begreifen, was wir gesehen haben", sagt Abu Dschaafar noch einmal. "Türen waren aufgebrochen, Fassaden mit Blut verschmiert, drinnen lagen Kinder mit eingeschlagenen Köpfen und gefesselten Händen. Wir sind so geschockt, wir können nicht einmal weinen."

Die Uno-Delegation traf in dem Örtchen in Westsyrien wenige Stunden nachdem es dort zu einem der blutigsten Massaker gekommen war, die Syrien im Laufe des 15 Monate alten Aufstandes gegen das Assad-Regime erlebt hatte, ein. Amateuraufnahmen im Internet dokumentieren den Besuch; später bestätigte Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon die Ergebnisse in einer Stellungnahme: Eine Untersuchung der gefundenen Munitionshülsen belege, "dass Artillerie und Panzergranaten in Wohngebieten abgefeuert wurden". Der Befund weist darauf, dass Regierungstruppen für das Blutvergießen verantwortlich sind. Denn die Rebellen der Freien Armee Syriens haben weder Panzer noch Artillerie.

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Nach dem Massaker kommt der UN-Sondergesandte Kofi Annan heute in Damaskus mit Präsident Baschar al-Assad zusammen. Auch Gespräche mit Oppositionsvertretern sind geplant. Dabei will der frühere UN-Generalsekretär erneut für seinen Friedensplan werben. Diplomaten in der Region nannten die Visite Annans „entscheidend“ für die Friedensinitiative. Die syrische Opposition und viele Experten sehen den Plan, der eine Waffenruhe beinhaltet, schon jetzt als gescheitert an. Nach seinem Eintreffen in Syrien am Montag hatte Annan das Massaker als „schockierendes Ereignis mit schweren Folgen“ bezeichnet.

Auch der Weltsicherheitsrat hat die Regierung am Sonntag scharf kritisiert. "Dieser abscheuliche Einsatz von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung" bedeute eine klare Verletzung internationalen Rechts, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung. Der Sicherheitsrat war in New York extra infolge der Vorfälle in Hula zu einer Sondersitzung zusammengekommen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow machte sowohl die Regierung als auch die Opposition verantwortlich. "Wir sind daran interessiert, auf gründlichste Weise zu untersuchen, wie diese Tragödie passiert ist", sagte Lawrow. Er verglich die Situation in Syrien mit den Ereignissen im ehemaligen Jugoslawien vor 13 Jahren und dem Massaker im Dorf Reçak im Kosovo, das zur Entscheidung über den Beginn der Nato-Operation in Serbien stark beigetragen hatte. "Für Russland ist nicht wichtig, wer in Syrien regiert. Wichtig ist, dass die Gewalt in Syrien beendet wird", so Lawrow. Russland mache fast täglich Druck auf die syrische Regierung, sagte er nach dem Treffen mit dem britischen Außenminister William Hague. Hague rief Russland dazu auf, mehr Einfluss auf Syrien auszuüben.

Selten hat sich der Weltsicherheitsrat seit dem Beginn der Krise in Syrien so klar ausgedrückt wie in der jetzigen Erklärung. Einzelne Diplomaten wurden noch deutlicher: "Die Beweise sind eindeutig, da ist nichts zweifelhaft", sagte der deutsche Uno-Botschafter Peter Wittig im Anschluss an die Sondersitzung. "Da sind klare Spuren der Regierung bei diesem Massaker." Die USA verlieren allmählich die Geduld mit Assad. US-Generalstabschef Martin Dempsey sagte in einem Interview des Senders CBS zwar, es müsse weiter auf Diplomatie und wirtschaftlichen Druck gesetzt werden, bevor über militärische Schritte gesprochen werde. Er fügte jedoch hinzu: "Wir sind aber bereit, Optionen vorzulegen, wenn wir danach gefragt werden."

Indessen traf der Uno-Vermittler Kofi Annan in Damaskus ein, um heute mit dem syrischen Präsidenten zu sprechen. Die internationale Empörung bringt das Regime zunehmend unter Druck; Damaskus wehrt sich dagegen. Dschihad Makdissi, ein Sprecher des Außenministeriums, sprach am Sonntag von einem "Tsunami der Lügen", der sich gegen Syriens Regierung richte. Die staatlichen Medien machten Terroristen des Al-Qaida-Netzwerks für den Massenmord verantwortlich.

Beobachter nannten Hula am Wochenende bereits in einer Reihe mit My Lai und Srebrenica, Orten, deren Namen gleichbedeutend sind für die wahllose Ermordung von Zivilisten.

Allerdings richtet sich der Zorn der Menschen nun auch gegen die Uno-Mission selbst. "Wir haben die Beobachter während des Massakers angerufen", sagt Abu Emad, ein Aktivist aus der Stadt Homs, wenige Kilometer entfernt von Hula. "Sie haben sich geweigert zu kommen und das Morden zu stoppen. Verdammt seien die Beobachter, verdammt sei die ganze Mission."