US-Regierung gibt 17 Briefe des getöteten Al-Qaida-Führers Osama Bin Laden frei. Daraus geht hervor: Er färbte sich die Haare und nahm Viagra.

Hamburg. Am Ende war der meistgesuchte Terrorist der Welt, mitverantwortlich für den Tod Tausender Menschen, nur noch ein einsamer alter Mann, der sich um sein blutiges Lebenswerk und seine eigene Bewertung in der Geschichte sorgte, sich Illusionen und kleinen Eitelkeiten hingab.

Das geht aus Dokumenten hervor, die am 2. Mai 2011 im pakistanischen Anwesen des von US-Navy-Seals getöteten Al-Qaida-Chefs Osama Bin Laden gefunden worden waren. Insgesamt hatte die Eliteeinheit vor einem Jahr in Abbottabad so viele Dokumente auf diversen Datenträgern und Computerfestplatten gefunden, dass sie mehr als 6000 Seiten füllen. Ausgewertet wurden sie vom "Zentrum für Terrorbekämpfung" an der US-Militärakademie von West Point. Ein Teil der Dokumente bleibt weiterhin unter Verschluss.

Doch 17 zuvor als streng geheim klassifizierte Dateien wurden nun veröffentlicht; es handelt sich um Briefe und andere Schreiben Bin Ladens, die auf Arabisch verfasst wurden und insgesamt 175 Seiten lang sind. "Dies erinnert mich an die letzten Tage von Adolf Hitler im Führerbunker in Berlin", sagte der frühere Anti-Terror-Berater des Weißen Hauses, Richard Clarke, über die Briefe. "Als Hitler Befehle gab, um Divisionen und ganze Armeen zu bewegen, die es gar nicht mehr gab." Clarke, der jetzt als Experte für den US-Sender ABC arbeitet, fügte hinzu: "Bin Laden war ein erbärmlicher alter Mann, aus der Realität gefallen. In seinen letzten Tagen war er keine Bedrohung mehr. Aber die Organisationen, die sich als Ableger seiner al-Qaida bildeten, stellen immer noch eine Bedrohung dar und folgen immer noch seiner Zielangabe - die USA anzugreifen."

Der Terrorismusexperte des US-Senders CNN, Peter Bergen, war der einzige Journalist, der vorab Einblick in die geheimen Dokumente bekommen und unmittelbar nach der Tötung Bin Ladens Zutritt zu dessen Anwesen in Abbottabad erhalten hatte. Bergen beschreibt den Al-Qaida-Führer als "unverbesserlichen Mikromanager, der in dem fast wahnhaften Glauben lebte, seine Organisation könne die Politik der USA gegenüber der muslimischen Welt zu einer Änderung zwingen." Unter einem Mikromanager versteht man jemanden, der sich in Kleinigkeiten verliert und von seinen Untergebenen kaum noch Rückmeldungen über echte Problemlösungen erhält. So forderte Osama Bin Laden von vier von ihm kritisierten Al-Qaida-Führern auf der Arabischen Halbinsel, dass sie sich und ihre Leistungen selber einschätzen und ihm die Berichte schicken sollten. Einer dieser Männer war der Jemenit mit amerikanischer Staatsbürgerschaft, Anwar al-Awlaki, der durch Internet-Botschaften zu einem geistigen Führer al-Qaidas aufgestiegen war. Der Hassprediger erwarb sich den Beinamen "Bin Laden des Internets". Sein Chef war offensichtlich eifersüchtig auf den Erfolg al-Awlakis. Dieser wurde im September 2011 bei einem US-Drohnenangriff des Geheimdienstes CIA im Nordjemen getötet.

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Bin Laden hatte selber vor diesen Drohnen große Furcht. In einer geradezu verzweifelten Maßnahme empfahl er seinen Kämpfern in Nordafrika, Bäume zu pflanzen und dichte Wolken als Sichtschutz zu nutzen, um der Entdeckung durch die gefürchteten amerikanischen Kampfdrohnen der Typen "Predator" und "Reaper" zu entgehen.

Hartnäckig hielt er an dem Plan fest, US-Präsident Barack Obama und den damaligen Kommandeur der internationalen Streitmacht in Afghanistan und jetzigen CIA-Chef, US-General David Petraeus, zu ermorden. Zu diesem Zweck beorderte er Terrorkommandos an den US-Luftwaffenstützpunkt Bagram in Afghanistan und nach Pakistan - sie sollten Flugzeuge mit Obama und Petraeus an Bord abschießen. Der Tod von Petraeus würde den Verlauf des Krieges ändern, glaubte Bin Laden. Keinesfalls dürfe jedoch US-Vizepräsident Joe Biden getötet werden, befahl er. Bin Laden hielt Biden nämlich für "völlig unvorbereitet" für den Posten des amerikanischen Präsidenten. Falls Obama getötet und Biden ins Weiße Haus einziehen würde, dann würde er "die USA in eine Krise führen".

Osama Bin Laden glaubte offenbar daran, dass die Taktik der Anschläge vom 11. September 2001 noch einmal funktionieren würde. In einem Schreiben an einen seiner Stellvertreter forderte er, zehn "Brüder" - vorzugsweise aus den Golfstaaten - sollten Luftfahrt studieren, um neue Selbstmordanschläge ausführen zu können. Die Al-Qaida-Führer sollten "für eine große Operation in den USA" aber nur Männer auswählen, die sich durch "gutes Benehmen, Integrität, Mut und Verschwiegenheit" auszeichneten.

Die Ikone des globalen islamistischen Terrorismus machte sich erhebliche Sorgen um die Zukunft von al-Qaida und kritisierte "miserabel geplante Operationen". Er untersagte Anschläge mit unnötigen Opfern unter muslimischen Zivilisten. Sollte sein Befehl nicht befolgt werden, dann würde "uns dies zu Siegen in einigen wenigen Schlachten führen - während wir doch den Krieg am Ende verlören". Bin Laden verbot auch der Führung der extrem brutalen somalischen Miliz al-Shabaab, sich zum Teil von al-Qaida zu erklären. Das würde nur Feinde anziehen und finanzielle Förderer abschrecken. Einige Monate später tat al-Shabaab aber genau das. Und Bin Ladens Nachfolger Ayman al-Sawahiri machte dessen Anordnungen sofort rückgängig.

Aus Frustration darüber, dass ihm die Führung des weltweit operierenden Terrornetzwerkes zunehmend entglitt und allerlei unkontrollierbare militante Gruppen sich als Teil al-Qaidas bezeichneten, erwog Osama Bin Laden sogar, den Namen seiner Organisation zu ändern. Angesichts des Arabischen Frühlings wollte er al-Qaida zu einer großen Werbekampagne anstacheln, um die Protestierenden für seine Sache zu gewinnen - vor allem jene, die sich bislang noch nicht zum Widerstand gegen Despoten aufgerafft hätten.

Frei von menschlichen Schwächen war der gefürchtete Terror-Führer, der sich als antiwestlicher Asket gab, keineswegs: Seinen Briefen nach färbte Osama Bin Laden sich die ergrauten Haare mit dem US-Tönungsshampoo Just for Men, nahm das ebenfalls amerikanische Potenzmittel Viagra und machte schlechte Witze darüber, mit drei Frauen zusammenzuleben.