Strategisches Abkommen bei Blitzbesuch Obamas in Afghanistan unterzeichnet. Die Taliban reagieren mit Selbstmordanschlag in Kabul - elf Tote.

Hamburg. Der Besuch des amerikanischen Präsidenten in Afghanistan kam so überraschend und war so schnell wieder vorüber, dass die radikalislamischen Taliban-Milizen mit ihrem Protest-Anschlag um Stunden zu spät kamen.

In finsterer Nacht war die riesige "Air Force One" mit Barack Obama an Bord auf dem schwer gesicherten US-Luftwaffenstützpunkt Bagram eingeschwebt. Das Datum für den Blitzbesuch war keineswegs zufällig gewählt - genau vor einem Jahr hatten Elitesoldaten der US Navy SEALs im pakistanischen Abbottabad den dort seit Jahren unbehelligt lebenden Al-Qaida-Chef Osama Bin Laden aufgespürt und erschossen. Es waren Al-Qaida-Fanatiker gewesen, die die verheerenden Anschläge vom 11. September 2001 geplant und ausgeführt hatten. Und es waren die afghanischen Taliban gewesen, die al-Qaida Schutz und Unterstützung gewährt hatten.

Auf den Obama-Besuch reagierten sie mit einem Angriff und einem Selbstmordanschlag in der Hauptstadt Kabul. Mindestens elf Menschen kamen dabei ums Leben, darunter vier Kämpfer der militanten Miliz. Die Tat solle übermitteln, dass Obama nicht willkommen sei in Afghanistan, erklärte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid. Doch zu dem Zeitpunkt war der US-Präsident längst wieder abgereist.

Zur Primetime, der besten amerikanischen Sendezeit, hatte Obama eine Rede vor Soldaten des Stützpunktes Bagram gehalten. Immerhin ist Wahlkampf in den USA. "Wir können das Licht eines neuen Tages am Horizont sehen", sagte der Präsident. "Unser Ziel ist es, al-Qaida zu zerstören - und wir sind auf dem Weg, genau das zu tun."

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Mit Blick auf den 11. September 2001 sagte Obama weiter, nach einem Jahrzehnt der Konflikte im Ausland sei es nun Zeit für eine Erneuerung Amerikas. Der Besuch hatte damit eine symbolische Bedeutung erhalten: Barack Obama, der um eine zweite Amtszeit kämpft, zieht, wie seinem Volk versprochen, einen Schlussstrich unter den Krieg am Hindukusch, bekennt sich aber gleichzeitig zur Verantwortung für Afghanistan.

Während der Krieg dort insgesamt nicht zufriedenstellend für die USA verläuft, ist es den amerikanischen Truppen zumindest gelungen, al-Qaida im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet schwere Verluste zuzufügen. Fast alle am 11. September Beteiligten sitzen in Haft oder sind tot. Immer wieder werden Führungsfiguren des Terrornetzes von amerikanischen Spezialeinheiten oder Kampfdrohnen getötet.

Die US-Taktik stellte allerdings ein erhebliches Hindernis für die Unterzeichnung eines strategischen Abkommens zwischen den USA und Afghanistan dar. Eineinhalb Jahre lang stockten die Gespräche. Der afghanische Präsident forderte ein Ende der bei den Militanten besonders gefürchteten Nachtangriffe der US-Eliteeinheiten sowie die Übergabe des Gefängnisses in Bagram an seine Regierung. Die USA gaben schließlich nach - obwohl die Nachtangriffe erfolgreich waren und aus afghanischen Gefängnissen immer wieder massenweise Militante ausbrechen. Von Bagram aus flog Barack Obama mit einem Hubschrauber in die afghanische Hauptstadt, um das Abkommen mit Karsai zu unterzeichnen.

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Es regelt die Unterstützung der USA für Afghanistan auch nach dem für 2014 geplanten Abzug der amerikanischen Kampftruppen. Weitere zehn Jahre lang werden die USA in den Bereichen Soziales, Wirtschaft, Sicherheit, politische Institutionen und regionale Kooperation dem Land Hilfe leisten. Dazu verpflichtet sich Washington, jährlich eine Finanzierung zur Unterstützung der afghanischen Streitkräfte beim US-Kongress zu beantragen.

Afghanistan verpflichtet sich im Gegenzug, seine Regierungsstrukturen zu stärken und die Menschenrechte aller Bürger zu schützen - auch die der Frauen also, die unter der Taliban-Herrschaft unterdrückt waren und deren Rechte unter der Karsai-Regierung eingeschränkt sind.

Zudem räumt das Land den USA die Möglichkeit ein, auch nach 2014 Truppen für die Ausbildung der afghanischen Armee und die Jagd auf Al-Qaida-Mitglieder in Afghanistan zu lassen. Über konkrete Truppenstärken wurde nichts beschlossen, aber in Washington ist die Rede von weniger als 20 000 Mann, die am Hindukusch bleiben könnten. Karsai sagte, das Abkommen besiegele eine "gleichwertige Partnerschaft" zwischen beiden Staaten.

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Derzeit sind noch mehr als 130 000 Soldaten aus rund 50 Staaten in Afghanistan, darunter 90 000 Amerikaner, 9500 Briten und 4800 Deutsche. Mehr als 2700 Soldaten dieser Staaten sind am Hindukusch gefallen, die Mehrheit von ihnen Amerikaner. Unter den Toten sind aber auch mehr als 50 Bundeswehrsoldaten.

In den Entsendestaaten ist der Einsatz am Hindukusch außerordentlich unpopulär, selbst in den USA ist die Zustimmungsrate inzwischen auf 25 Prozent gefallen. 72 Prozent der amerikanischen Bürger sind nach einer aktuellen Umfrage des Senders CNN gegen den Krieg in Afghanistan. Dem amerikanischen Beschluss zum Rückzug haben sich die meisten anderen Staaten angeschlossen. Bis zum Ende des Sommers will Präsident Obama weitere 23 000 US-Soldaten abziehen.

Der nur siebenstündige, unangekündigte Blitzbesuch war die dritte Reise des amerikanischen Präsidenten an den Hindukusch. Er war bereits im März und Dezember 2010 dort gewesen. 2008 hatte er das Land als Präsidentschaftskandidat besucht.