Fukushima-Betreiber Tepco gibt zu, was Experten schon vermuteten. Greenpeace spricht von Gefährdung von Menschenleben

Tokio/Hamburg. Die schlimmen Befürchtungen wurden bestätigt: In allen drei aktiven Reaktoren der japanischen Atomruine Fukushima hat schon kurz nach dem Erdbeben im März eine Kernschmelze eingesetzt. Der Kraftwerksbetreiber Tepco gab das erst gestern zu. Die geschmolzene Masse werde aber ausreichend gekühlt und die Lage sei stabil, betonte Tepco. Experten hatten bereits vermutet, dass es eine teilweise Kernschmelze nicht nur im ersten Reaktor, sondern auch in den Blöcken 2 und 3 von Fukushima 1 gegeben hatte. Greenpeace sieht für die Gesundheit der Menschen in Japan eine hohe Gefährdung und bezeichnet das Handeln der japanischen Regierung als unverantwortlich. "Die Erweiterung der Evakuierungszone erfolgte eindeutig zu spät, die Erhöhung von Grenzwerten für Strahlenbelastung durch die japanische Regierung zeigt deutlich, dass sie nicht weiß, wie sie die Probleme in den Griff bekommen soll", sagte Christoph von Lieven, Strahlenexperte der Umweltschutzorganisation, dem Abendblatt. Grenzwerte für gefährliche Stoffe oder hier Nuklearbelastung wider besseres Wissen zu erhöhen hieße Gesundheit und eventuell sogar Menschenleben zu gefährden.

"Ein Staatsapparat, der so reagiert, erfüllt eine seiner Grundfunktionen, den Schutz der dort lebenden Menschen, nicht mehr", sagte von Lieven. "Nehmen Sie die Heraufsetzung des Strahlengrenzwertes für alle, auch für Grundschulkinder, in Fukushima auf 20 Millisievert pro Jahr. Dieser Grenzwert entspricht der Dosis, die ein erwachsener AKW-Mitarbeiter in Deutschland jährlich aufnehmen darf. Für die allgemeine Bevölkerung in Deutschland gilt ein Grenzwert von einem Millisievert pro Jahr als zumutbare Zusatzbelastung zur Hintergrundstrahlung durch AKWs. Das Unverantwortliche an der Entscheidung der Regierung wird unter anderem dadurch sehr deutlich, dass Kinder aufgrund ihres Wachstums und der erhöhten Zellteilung besonders sensibel auf Strahlung reagieren."

Auch die zögerliche Ausweitung der Evakuierungszone, die erst unter Druck stattgefunden habe, sei ein Beleg für unverantwortliches Handeln.

Es gibt aber auch Experten, die die Lage nach dem Tepco-Eingeständnis weniger kritisch sehen. "Die Situation in Fukushima wird dadurch nicht gefährlicher", sagte der Leiter des Lehrstuhls für Reaktorsicherheit und -technik der Universität Aachen, Prof. Hans-Josef Allelein. Generell verbessere sich die Lage von Tag zu Tag durch "das Abnehmen der Nachwärmeleistung" - also dadurch, dass der Kernbrennstoff allmählich abkühle. Die größte Gefahr für Fukushima sieht Allelein in einem erneuten Erdbeben. "Das ist der Zustand, den die Fachwelt erwartet hat."

Bisher hatte Tepco lediglich - und sehr spät - eingeräumt, dass in Reaktor 1 die Brennstäbe größtenteils geschmolzen waren und sich die gefährliche Masse nun wahrscheinlich am Boden des Reaktor-Druckbehälters befindet. Auch in den Reaktoren 2 und 3 dürfte aber der größte Teil der Brennstäbe bereits 60 bis 100 Stunden nach dem Beben und dem Tsunami am 11. März geschmolzen und nach unten gelaufen sein. Eine Kernschmelze gilt als besonders gefährlich, weil sich die heiße radioaktive Masse durch die Schutzwände des Reaktors oder den Boden fressen kann.