Die “Verlorene Generation“ demonstriert auch nach Kommunal- und Regionalwahlen weiter - die Hoffnung nach mehr Perspektive.

Hamburg/Madrid. Der Name hat Symbolcharakter: Puerta del Sol - das Sonnen-Tor - heißt der prächtige Platz im Zentrum der spanischen Hauptstadt Madrid. Mit ihren Protesten kämpfen Zehntausende Spanier allein hier für eine hellere Zukunft. Abertausende weitere sind es in Valencia, in Sevilla oder Barcelona.

Etwa 60 000 waren es am Wochenende wohl landesweit. Und sie entschieden gestern in Madrid und anderen Städten, ihren Protest um mindestens eine Woche zu verlängern. Eigentlich sollten die Demonstrationen nach den gestrigen Kommunal- und Regionalwahlen enden, dem sogenannten Tag der Besinnung. Bei den Wahlen mussten die regierenden Sozialisten eine heftige Niederlage einstecken. Nach Auszählung von etwa der Hälfte der abgegebenen Stimmen kam die konservative Volkspartei auf 36 Prozent, die Sozialisten erreichten lediglich 28 Prozent. In großen Teilen des Landes muss die Partei von Ministerpräsident José Luis Zapatero damit deutliche Stimmenverluste hinnehmen.

Es sind vor allem junge Menschen, die ihrer Wut und Frustration Luft machen. Angesichts ihrer Chancen- und Perspektivlosigkeit spricht der Internationale Währungsfonds (IWF) bereits von der "verlorenen Generation". Das seit Sonnabend um Mitternacht geltende Demonstrationsverbot haben sie am Wochenende ignoriert. "Dies ist eine Fiesta der Demokratie", sagte Sofia de Roa, eine Sprecherin der Protestbewegung. Schließlich wies Innenminister und Vizeministerpräsident Alfredo Perez Rubalcaba die Polizei sogar offiziell an, jede Eskalation zu vermeiden. Die Polizei werde nicht noch mehr Probleme schaffen, als es ohnehin schon auf den Straßen gebe, sagte er. Die "jungen Empörten" hatten zu Protesten in 150 spanischen Städten aufgerufen; auf besetzten Plätzen in ganz Spanien gibt es inzwischen 60 Camps der Protestbewegung, in denen Paella verteilt, gesungen und eine Atmosphäre der Solidarität gefeiert wird.

In mehreren europäischen Metropolen, so in Amsterdam, Brüssel, London, Prag und Budapest, gab es am Wochenende ebenfalls Kundgebungen. Auch in Deutschland gingen hier lebende Spanier und deutsche Sympathisanten auf die Straßen. 400 sollen es in Berlin am Brandenburger Tor gewesen sein, 200 kamen in Hamburg vor Spaniens Generalkonsulat zusammen. Weitere Aktionen wurden aus Frankfurt, München und Düsseldorf gemeldet.

Der sozialistische Regierungschef Zapatero wollte ursprünglich hart durchgreifen und hat nun einen Rückzieher gemacht. Er weiß sehr genau um die aufgeheizte Stimmung im Lande; ihm ist klar, dass seiner Partei auch bei den Parlamentswahlen in zehn Monaten eine herbe Niederlage droht. Das Volk macht ihn unter anderem verantwortlich für die hohe Arbeitslosigkeit und die als ineffektiv beurteilte Handhabung der Finanzkrise. Zapatero will daher möglichst jede weitere Zuspitzung vermeiden. Ihn selbst betrifft der Ausgang der Parlamentswahlen freilich nicht, da er im März 2012 nicht mehr antritt. Zapatero versuchte am Freitag noch um Sympathie zu ringen, als er auf einer Wahlkampfveranstaltung in Madrid sagte, die Proteste "machen uns keine Angst, sondern verpflichten uns, nach Lösungen zu suchen".

Die gestrigen Wahlen, zu denen rund 35 Millionen Spanier aufgerufen waren, gelten als wichtiger politischer Stimmungstest. Über mehr als 8000 Bürgermeisterposten und die Zusammensetzung der Gemeinderäte musste entschieden werden; zudem fanden in 13 der 17 autonomen Regionen Wahlen zu den Regionalparlamenten statt.

Der aktuelle Anlass für die "spanische Revolution" ist der harte Sparkurs der Regierung Zapatero mit gesenkten Beamtengehältern, gelockertem Kündigungsschutz und eingefrorenen Renten. Madrid hat, obwohl hoch verschuldet, bislang keine Hilfen von EU und IWF in Anspruch genommen, sondern will die Wende aus eigener Kraft schaffen. Es ist allerdings eine Herkules-Aufgabe: Die Arbeitslosigkeit liegt mit 21,3 Prozent höher als in jedem anderen EU-Staat. Bei den jungen Menschen zwischen 18 und 25 Jahren beträgt sie sogar horrende 45 Prozent. Vor allem diese Generation will nicht für die Versäumnisse und Fehler des etablierten politischen Systems büßen. Zapateros Sozialisten (PSOE) und die oppositionellen Konservativen von der "Partido Popular" (PP) teilen sich praktisch die politische Macht in Spanien, die kleineren Parteien werden durch das Wahlsystem benachteiligt und spielen keine große Rolle. Nicht zuletzt gegen dieses De-facto-Machtkartell sowie die weit verbreitete Korruption wendet sich der Protest. Bei den Wahlen traten etliche Politiker an, die der Korruption beschuldigt werden. Teile der Protestbewegung hatten dazu aufgerufen, weder die PSOE noch die PP zu wählen.