Am “Tag X“ stürmt die thailändische Armee Widerstandscamps in Bangkok und verhaftet die Anführer der Demonstranten. Der Premier verhängt den Ausnahmezustand

Bangkok. Am frühen Morgen gegen 5.45 Uhr Ortszeit brach der Sturm los: Thailands Militär hat schließlich doch ernst gemacht. Nach Monaten des Zögerns marschierten die Truppen gestern gegen die Festungen der Regierungsgegner im Herzen der Hauptstadt. Kein Kompromiss, kein Vermittlungsvorschlag hatte den Konflikt zwischen den Rothemden und der Regierung lösen können, dem bereits mehr als 60 Menschen zum Opfer gefallen waren. Am Ende greift die Regierung nun doch zu Gewalt. Und schließlich, nachdem ihr wichtigstes Widerstandslager umzingelt und viel Blut vergossen ist, geben die Anführer der Rothemden auf.

Zuerst kamen die Wasserwerfer, jagten die Menschen auseinander. Panzer rissen die Barrikaden der Rothemden ein, krachten durch die Hürden aus Autoreifen. Die angespitzten Bambusstöcke, mit denen die Barrikaden verstärkt waren, knickten wie Zahnstocher. Bewaffnete Truppen marschierten die Avenuen entlang, zwischen den hohen Wolkenkratzern Bangkoks, wo sich sonst ein endloser Strom von Autos, Bussen und den typischen Tuktuks staut.

Im Haupt-Widerstandscamp Rachaprasong harrten am Nachmittag noch 3000 Demonstranten aus, unter ihnen Frauen und Kinder. "Tötet uns nicht!" stand in großen Buchstaben auf einem selbst gemalten Schild. In der Umgebung wurde heftig gekämpft. Immer mehr Soldaten, Scharfschützen und Militärfahrzeuge rückten vor, zogen den Kreis immer enger.

Auch die Rothemden hielten ihre Feuerwaffen nicht mehr länger versteckt. Bisher zeigten sie sich nur mit Steinschleudern und Feuerwerksraketen, aber das ist vorbei. Der italienischer Journalist Fabio Polenghi ist im Kreuzfeuer erschossen worden. Er ist nur eines von mehreren Opfern dieses Tages, den die Soldaten "Tag X" nennen.

Mittags gab die Armee bekannt, das gesamte Gebiet rund um Rachaprasong unter Kontrolle zu haben. Dann verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: Die Anführer der Rothemden haben sich der Polizei gestellt. Die Sicherheitskräfte führen sie in Handschellen ab. Zuvor verabschieden sie sich in emotionalen Worten von ihren Anhängern und erklären das Ende ihrer Proteste. Manche weinen. "Ich weiß, dass ihr leidet", so Demonstrationsführer Jatuporn Prompan, "manche von uns sind sprachlos." Dann ruft er die Menge zur Aufgabe auf. "Ich weiß, wenn das Militär hier einrückt, werden viele von euch ihr Leben opfern, und das können wir nicht ertragen."

"Nur weil wir nachgeben, heißt das nicht, dass wir verloren haben", ruft er den Demonstranten zu. Da beginnen einige Zuhörer bereits, die Anführer mit Unrat zu bewerfen. Viele der Rothemden fühlen ihre Sache verraten. Zwei Granaten explodieren auf dem Platz. Nicht alle Demonstranten sind bereit, klein beizugeben. Nach Wochen des Ausharrens und der Solidarität herrschen Wut und Frustration. Nun entladen sich die angestauten Emotionen, Gewaltausbrüche greifen auf die ganze Stadt über.

Als die Armee schließlich auf den Platz von Rachaprasong marschiert, ist kaum noch jemand da. Die Demonstranten waren ermutigt worden, abzuziehen und mit den bereitgestellten Transportmitteln nach Hause zu fahren. Die meisten sind durch die vielen kleinen Gassen und Zugänge rund um den Platz verschwunden. Die große Bühne liegt verlassen da. Soldaten reißen die Zeltdächer nieder, unter denen die Rothemden sechs Wochen lang campiert haben. Ein paar Demonstranten liegen auf dem Boden, die Hände über dem Kopf.

Das Ende ihrer umfassenden Protestaktion aber kommt allzu unspektakulär für manche Hitzköpfe. Einzelne Gruppen laufen Amok, kämpfen in anderen Stadtteilen mit neuer Entschlossenheit weiter. In rasender Zerstörungswut legen sie Feuer in einem der größten Luxus-Einkaufszentren Südostasiens, dann in vielen anderen der glitzernden Passagen im Stadtzentrum. Die Menschen fallen wie Schwärme dort ein, raffen und verwüsten, was ihnen unter die Finger kommt. Andere attackieren lokale Fernsehstationen, die Börse, eine Bank. Immer wieder jagen seit dem frühen Morgen Krankenwagen vorbei, bringen Verletzte in die Hospitäler. Kleine militante Trupps ziehen schießend durch die Straßen. Enttäuschung und hilfloser Zorn treiben die losgelassenen Rothemden an, die blindwütig demolieren. Für den Abend und die Nacht hat der Verteidigungsminister eine Ausgangssperre verhängt. Die Polizei hat die Order, ohne Warnung auf jeden zu schießen, der brandschatzt oder plündert.

"Wir haben unser Bestes gegeben, damit dieses Land wahrhaftig seinen Menschen gehört", hat Rothemd-Anführer Nattawut Saikuar gesagt, als er in die Polizeistation abgeführt wurde, "wir kämpfen weiter für Demokratie!" Die Regierungsgegner, die das Regime unter Premierminister Abhisit Vejjajiva für illegitim halten, hatten Tausende ihrer Anhänger, zunächst überwiegend arme Bauern, später weite Teile der Bevölkerung auf die Barrikaden gerufen. Die Proteste haben die tiefe Kluft zwischen den Schichten in dem südostasiatischen Königreich noch vertieft.

Inzwischen haben die Zusammenstöße bereits auf andere Regionen des Landes übergegriffen. Aus dem Nordosten, der Heimat der meisten Rothemden, werden Unruhen gemeldet. Der Premierminister hat in mehreren Provinzen den Ausnahmezustand ausgerufen. Das Chaos im Land des Lächelns nimmt weiter seinen Lauf, und eine schnelle Versöhnung scheint im Augenblick kaum noch möglich.