Jerusalem. Keine Krippe, keine Touristenmassen, keine Zuckerwatteverkäufer und keine Pilger – einzig Leere. Nur die Kinder spielen Fußball.

Bälle fliegen hoch, wo sonst der Weihnachtsbaum steht. Plötzlich wirkt er riesig groß, der Manger Square im Zentrum Bethlehems, der zur Geburtskirche führt. Keine Krippe, keine Touristenmassen, keine Zuckerwatteverkäufer und keine Pilger – nur Leere. Die Kinder von Bethlehem sind die einzigen, die diese Leere zu nutzen wissen: Sie spielen Fußball. Endlich gibt es dafür so richtig viel Platz.

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Von oben schauen ihnen die Vögel zu. Sie hocken auf den Drähten, um die sich in normalen Jahren die festliche Weihnachtsdekoration spannt. In diesem Jahr hat Bethlehem, die Stadt, in der selbst die Muslime das ganze Jahr auf Weihnachten warten, das Fest rein äußerlich abgeblasen. Keine Bühnen mit Chorkonzerten, kein Pfadfinder-Aufmarsch, auch kein Weihnachtsmarkt, auf dem es in üblicherweise neben lokalen Olivenholzschnitzereien auch allerlei Plastik-Jesus-Kitsch made in China zu kaufen gibt. Bethlehem trägt Trauerflor.

„Weihnachten ist das Fest der Liebe und des Friedens, aber wir haben ja in diesen Tagen weder Frieden noch Liebe“, sagt Spiriton Samour, seit 54 Jahren Pfarrer der Griechisch-Orthodoxen Gemeinde in Bethlehem. „Es ist traurig. So ein Weihnachten habe ich noch nie erlebt.“ Um auf die Opfer des Kriegs in Gaza und die Familien, die um sie trauern, Rücksicht zu nehmen, beschränken sich die Weihnachten dieses Jahr auf das Innere der Geburtskirche.

„Wir feiern drei Weihnachten, aber das Geld für die Geschenke reicht nicht einmal für eines“

Seit dem 7. Oktober bleiben ausländische Pilger und Touristen aus. Auch für die israelischen Christen ist es schwerer, nach Bethlehem zu kommen. Die Armee hält die Checkpoints zum Westjordanland aus Sicherheitsgründen nur sehr eingeschränkt offen. Bethlehem steht daher leer.

Angehörige der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem wollen mit diesem Steinhaufen an die unter Trümmern verschütteten Kinder im Gazastreifen erinnern.
Angehörige der evangelisch-lutherischen Weihnachtskirche in Bethlehem wollen mit diesem Steinhaufen an die unter Trümmern verschütteten Kinder im Gazastreifen erinnern. © DPA Images | Isaac Munther

In der Geburtskirche feiern drei christliche Gemeinden an drei unterschiedlichen Terminen Weihnachten: die Katholiken, die Griechisch-Orthodoxen und die Armenisch-Orthodoxen. „Wir feiern drei Weihnachten, aber das Geld für die Geschenke reicht nicht einmal für eines“, scherzt der Priester. Es ist schwarzer Humor, und er spricht ein Problem an, das alle Menschen in Bethlehem teilen: das ständige Bangen vor der nächsten Stromrechnung, der nächsten fälligen Reparatur. Als die Hamas den Krieg anzettelte, war in Bethlehem die Wintersaison gerade angelaufen. Hotels waren gut gebucht, Tourguides hatten volle Auftragslisten. „Ich habe mir am 6. Oktober noch ein neues Auto gekauft“, sagt Fremdenführer Matthäus. 200.000 Schekel hat der Wagen gekostet – seit dem 7. Oktober nimmt er jeden Tag null Schekel ein.

So wie Matthäus geht es vielen hier. Fadi, ein junger Christ aus Bethlehem, der eigentlich anders heißt, betreibt einen Souvenirshop nahe der Geburtskirche. „Am 7. Oktober war er noch voll, weil die Touristen in Bethlehem feststeckten“, erzählt Fadi. Seit dem 8. Oktober hat er keinen Cent eingenommen, aber Rechnungen und Steuern muss er weiterhin bezahlen. „Von der Regierung kriegen wir nichts, null“, schimpft er auf die Palästinenserbehörde.

Im TV: Kinder mit blutverschmierten Gesichtern

Die Menschen in Bethlehem sind von den wirtschaftlichen Folgen des Kriegs gleich zweifach betroffen: Das Weihnachtsgeschäft, der primäre Wirtschaftsmotor der Stadt, ist diesmal ein Totalausfall. Und die zweite Säule, die Löhne vom Arbeiten auf israelischen Baustellen, in israelischen Erntebetrieben oder Pflegeeinrichtungen, ist ebenfalls schlagartig weggebrochen. Alle Arbeitspendler haben mit dem 7. Oktober schlagartig ihre Einreisegenehmigungen nach Israel verloren. Nun sitzen sie zu Hause, drehen Daumen und schauen Al-Jazeera.

Wo sich zur Weihnachtszeit sonst Tausende Touristen drängen, ist in diesem Jahr alles menschenleer.
Wo sich zur Weihnachtszeit sonst Tausende Touristen drängen, ist in diesem Jahr alles menschenleer. © AFP | HAZEM BADER

In Fadis Wohnzimmer läuft der Fernseher den ganzen Tag. Al-Jazeera zeigt Kinder mit blutverschmierten Gesichtern, die aus den Trümmern in Gaza geborgen wurden. „Europa muss endlich ein Machtwort sprechen, damit Israel mit diesem Krieg aufhört“, glaubt Fadi. Er fühlt mit den Palästinensern in Gaza. Dass Weihnachten dieses Jahr auf Sparflamme stattfindet, findet er aber nicht gut. Er sehe es als Kniefall vor der muslimischen Mehrheit in der Stadt. Aber auch er hat dieses Jahr keinen Weihnachtsschmuck an Fenstern und Tür angebracht. Aus Angst vor Attacken durch Muslime, die den festlichen Aufputz als pietätlos ansehen, angesichts des Blutvergießens in diesem Krieg.

„Wenigstens fallen auf uns keine Bomben“

Achmad, ein Muslim aus Bethlehem, der in normalen Jahren Reisegruppen durch die Altstadt führt, hat ebenfalls Angst, aber nicht vor seinen Nachbarn. Er achtet penibel darauf, was er in den sozialen Medien mit seinen Followern teilt. „Alles, was irgendwie mit der Hamas zu tun hat, darfst du nicht teilen“, sagt er. Nicht, weil es unpopulär wäre, sondern aus Angst vor der israelischen Armee. „Wenn sie dir am Checkpoint das Handy abnehmen und solche Postings sehen, landest du im Krankenhaus“, sagt Achmad. Sein Cousin habe diese Erfahrung gemacht. „Er ist mit gebrochenen Knochen nach Hause gekommen.“ Für Achmad gibt es in diesem Krieg nur ein Opfer: die Palästinenser. „Wenigstens fallen auf uns keine Bomben“, sagt er.

Seit die Touristen ausbleiben, fährt Achmad Taxi. Aber auch da läuft das Geschäft schlecht. Er kratze sein allerletztes Erspartes zusammen, um seine Kinder zu ernähren, sagt er, und so wie ihm gehe es vielen seiner Bekannten. „Wenn das noch einen Monat so weitergeht, dann werden die Leute sich gegenseitig auffressen“, glaubt Achmad. Den Christen in Bethlehem bleibt indes nur das Beten. Wenigstens müssen sie diesmal nicht lange nachdenken, wofür. „Dieses Jahr“, so sagt Priester Samour, „beten wir für den Frieden.“