Berlin. Die Schuldenregeln müssen reformiert werden. Sonst hinterlassen wir unseren Kindern ein Land, mit dem sie nichts mehr anfangen können.

Schwarze Null, Schuldenbremse, Sparpolitik: Das waren im vergangenen Jahrzehnt die deutschen Antworten auf die bedrohlich hohen Schuldenberge im Euroraum. Geliehenes Geld galt als Zeichen für politische Schwäche und als Unfähigkeit zur Priorisierung. Der rigide Kurs der deutschen Regierung fand in den Jahren der drohenden Staatspleiten von Griechenland bis Zypern innenpolitisch hohe Zustimmung. Im Ausland wurde er von den einen gesehen als Weg in die langfristige wirtschaftliche Stabilität, von den anderen als kurzsichtige Fahrt ins Verderben.

Mit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts ist die Debatte um das Schuldenmachen hierzulande wieder voll entbrannt. Auf einen Schlag fehlt der Bundesregierung damit eine zweistellige Milliardensumme für das kommende Jahr, betroffen sind vor allem geplante Ausgaben in die klimafreundliche Transformation unserer Wirtschaft. Diskutiert wird nicht nur darüber, die Schuldenbremse 2024 im fünften Jahr in Folge auszusetzen, sondern die Regel zur Begrenzung zur Aufnahme neuer Kredite zu überarbeiten oder sogar ganz abzuschaffen.

Ein Verfechter einer strengen Schuldenbremse: Finanzminister Christian Lindner (FDP).
Ein Verfechter einer strengen Schuldenbremse: Finanzminister Christian Lindner (FDP). © Kay Nietfeld/dpa | Unbekannt

Schuldenbremse: Es gibt gute Gründe, sie zu lockern

Die Frage spaltet Politik und Experten gleichermaßen. Dabei geht der Riss mitten durch die Regierungskoalition: Die SPD hat sich auf ihrem Parteitag eindeutig gegen die starren Schuldenregeln ausgesprochen, die FDP verteidigt sie vehement. Selbst die Union, die sich als Erfinderin der strengen Haushaltspolitik sieht, ist gespalten: Während CDU-Chef Friedrich Merz sich schützend vor die Schuldenbremse wirft, erhält er Widerspruch aus dem Kreis unionsregierter Bundesländer.

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Bei nüchterner Betrachtung gibt es jedoch gute Gründe, die Schuldenregeln zu lockern. Deutschland gibt derzeit viel Geld aus, um die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen Russland zu unterstützen. Das muss auch in den kommenden Jahren so bleiben. Sollte Putin den Krieg gegen ein Land mitten in Europa gewinnen, würde das den Kontinent und die Sicherheit Deutschlands weitaus stärker bedrohen als ein höherer Schuldenstand. Die Gefahr des russischen Imperialismus bestand bereits im vergangenen Jahrzehnt, ist aber damals nicht ernst genommen worden. Der Fehler darf sich nicht wiederholen. Die Verteidigung der Freiheit darf nicht an der Schuldenbremse scheitern.

Chefreporter Jan Dörner.
Chefreporter Jan Dörner. © FUNKE / Foto Services | Reto Klar

Mit einem maroden Land können unsere Kinder nichts anfangen

Es geht jedoch auch um Investitionen etwa in Infrastruktur, Bildung und Klimaschutz. Als Argument für die Schuldenbremse wird immer wieder genannt, dass künftigen Generationen kein untragbarer Schuldenberg vererbt werden dürfe. Ein Land mit maroden Brücken, einer kaputt gesparten Bahn, fehlenden Energietrassen, Schulen ohne Computer und einer nicht auf Klimafreundlichkeit umgestellten Industrie ist aber auch keine Hinterlassenschaft, mit der unsere Kinder in einigen Jahrzehnten etwas anfangen können.

Von den USA bis China investieren andere Länder derzeit massiv in den Umbau ihrer Volkswirtschaften – auch mit geliehenem Geld. Unternehmen verlassen deswegen Deutschland, weil ihnen anderswo bessere Bedingungen geboten werden. Deutschlands wirtschaftliche Basis ist akut in Gefahr. Wir haben zwar im Vergleich zu anderen Industrienationen eine niedrige Schuldenquote, aber auch eine schlechtere Wirtschaftslage. Die Antwort muss sein, dass wir jetzt in unsere Zukunft investieren. Dafür muss die Schuldenbremse nicht komplett abgeschafft werden. Sie sollte aber so verändert werden, dass der Spielraum für staatliche Investitionen größer ist als unter den geltenden Bedingungen.