Berlin. Die israelische Bodenoffensive birgt viele Risiken. Dabei gibt es für den Kriegspremier Benjamin Netanjahu eigentlich nur eine Option.

Israels große Bodenoffensive in Gaza hat begonnen. Sie soll das strategische Ziel von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu umsetzen: die Zerstörung der islamistischen Terrororganisation Hamas und ihrer Netzwerke.

Die Militäroperation ist aus mehreren Gründen hochriskant. Die Hamas hat nicht nur bei den Attacken auf Israel brutale Gewalt angewendet. Sie benutzt auch die eigene Bevölkerung im Gazastreifen als menschliche Schutzschilde für Raketenbasen und Waffenlager. Die Hamas spielt dabei ein zynisches Spiel. Sie spekuliert auf eine hohe Zahl von Toten und eine Täter-Opfer-Umkehr. Israel soll vor der internationalen Öffentlichkeit als der eigentliche „Aggressor“ abgestempelt werden.

Das Internet ist zu einem Schlachtfeld in diesem Krieg geworden

Der digitale Flächenbrand nach der Raketen-Explosion am Al-Ahli-Hospital in Gaza, der in palästinensischen und arabischen Medien ohne Überprüfung der Fakten sofort Israel in die Schuhe geschoben wurde, zeigt: Das Internet ist zu einem Schlachtfeld in diesem Krieg geworden. Je mehr Bilder von palästinensischen Opfern verbreitet werden, desto höher der Druck auf die israelische Regierung.

Weiterer Risikofaktor für Netanjahu: Die Schlacht gegen die Hamas-Milizionäre in den weit verzweigten Tunneln unter dem Gazastreifen und der bevorstehende Häuserkampf dürften blutig werden. Je mehr israelische Soldaten fallen, desto stärker gerät Netanjahu auch innenpolitisch in die Defensive: Darauf setzt die Hamas in ihrer perfiden Logik. Die Bodenoffensive bringt zudem das Leben der Geiseln in Gefahr.

Netanjahus Schwarze-Peter-Spiel zeugt nicht von politischer Führungskraft

Netanjahu kämpft mit der Invasion auch um sein eigenes politisches Überleben. Das absolute Versagen des Militärs beim „schwarzen Schabbat“ am 7. Oktober ist für Israel das größte Trauma seit 1945: Der Glaube an das Versprechen des Staates, die Sicherheit seiner Bürger unter allen Umständen zu gewährleisten, wurde zutiefst erschüttert.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Netanjahu versucht nun, sich auf durchsichtige Weise reinzuwaschen. Erst kritisierte er die israelischen Sicherheitsbehörden in einem Tweet, dass sie den Regierungschef nicht vor den „kriegerischen Absichten der Hamas“ gewarnt hätten. Wenige Stunden darauf löschte er den Post und entschuldigte sich. Dieses Schwarze-Peter-Spiel zeugt nicht von politischer Führungskraft. Der Chef des Militärgeheimdienstes und der Verteidigungsminister hatten immerhin Verantwortung für das Fiasko übernommen.

Das israelische Militär feuert Richtung Gazastreifen.
Das israelische Militär feuert Richtung Gazastreifen. © AFP | ARIS MESSINIS

Netanjahu will seine Schwächen mit martialischer Rhetorik überdecken. Die Brandmarkung der Hamas als „die neuen Nazis“ oder die Bezeichnung der aktuellen Militär-Operation als „zweiter Unabhängigkeitskrieg“ – nach 1948 – fallen in diese Rubrik.

Golda Meir musste ein Jahr nach dem Jom-Kippur-Krieg 1973 zurücktreten

Diese Begriffskosmetik löst jedoch die Probleme nicht. Israel mag es gelingen, die Hamas für längere Zeit zu schwächen. Doch die Region wird unruhig und instabil bleiben, solange der rasante Ausbau der jüdischen Siedlungen im Westjordanland anhält. Die Unterstützung für die Hamas und andere islamistische Terrororganisationen wird dann abnehmen, wenn die Siedlungen gestoppt werden und die Palästinenser einen lebensfähigen Staat bekommen. Netanjahu hat sich diese Option mit der Wahl seiner ultra-orthodoxen Koalitionspartner leider verbaut.

Die Bodenoffensive dürfte den Kriegspremier politisch kaum retten. Israels Ministerpräsidentin Golda Meir wurde nach dem verheerenden arabischen Überraschungsangriff im Jom-Kippur-Krieg 1973 heftig kritisiert und musste ein Jahr später zurücktreten. Gut möglich, dass Netanjahu nach der Aufarbeitung des 7. Oktobers das gleiche Schicksal bevorsteht.