In Gaza sollen Hunderte Menschen bei einer Explosion in einem Krankenhaus getötet worden sein. Stimmt das? Und: Wer ist verantwortlich?

Was ist am Dienstagabend in Gaza-Stadt passiert? Kamen, wie von der islamistischen Hamas dargestellt, wirklich 471 Menschen bei der Explosion einer Rakete in einem Krankenhaus ums Leben? Valide Informationen gibt es dazu bisher kaum – aber eine Vielzahl an Schuldzuweisungen. Wer steckt hinter der Explosion? Das ist bisher bekannt.

Explosion in Krankenhaus in Gaza: Was wir bisher wissen – und was nicht

Am Dienstag kam es auf dem Gelände des Krankenhauses Ahli Arab in der Innenstadt von Gaza zu einer großen Explosion. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums befanden sich nach dem Vorfall Hunderte Opfer unter den Trümmern der Klinik. Inzwischen beziffert die radikal-islamische Palästinenser-Organisation die Zahl der Opfer mit 471. 324 Personen sollen zudem verletzt worden sein, 28 befinden sich in kritischem Zustand.

Unabhängig bestätigen lassen sich diese Zahlen bisher nicht. Die Informationslage vor Ort gestaltet sich als äußerst schwierig, unter anderem, weil internationale Journalisten derzeit nicht in den Gazastreifen einreisen können. Bilder im Sender „Al Jazeera“ zeigten Sanitäter und Zivilisten, die Leichen in weißen Taschen oder Decken bergen. Gleichzeitig ist unklar, ob die Explosion tatsächlich das Krankenhaus beschädigt hat – oder nur den Parkplatz davor.

Fest steht: Zehntausende Familien suchen derzeit in den völlig überfüllten Krankenhäusern des Gazastreifens Zuflucht vor Luftangriffen, mit denen Israel auf den Großangriff der Hamas vom 7. Oktober reagiert. Auch auf dem mutmaßlich getroffenen Krankenhausgelände hielten sich Menschen auf, die ihre Häuser verlassen mussten.

Regierungen aus aller Welt bekundeten nach der Explosion ihr Entsetzen und fordern Aufklärung. Die Hamas und mehrere arabische Staaten machen Israel für den Angriff verantwortlich. Die israelische Armee wiederum beschuldigt eine andere, mit der Hamas verbündete Terrororganisation: den „Islamischen Dschihad“.

Wer ist schuld an der Krankenhaus-Katastrophe in Gaza? Israel legt angebliche Beweise vor

Die israelische Armee zeigte sich kurz nach Bekanntwerden des Vorfalls überrascht und wies schnell jede Verantwort von sich. Wenig später machte das Militär die Palästinenserorganisation „Islamischer Dschihad“ für den folgenschweren Angriff auf das Krankenhaus verantwortlich. Darauf würden Informationen der Geheimdienste hinweisen, die „auf mehreren uns vorliegenden Quellen basieren“, hieß es in einer Mitteilung der Armee. Weiter erklärte sie, eine Analyse ergebe, dass „eine Raketensalve von Terroristen in Gaza abgefeuert wurde, die in unmittelbarer Nähe des Ahli-Krankenhauses vorbeizog, als dieses getroffen wurde“.

Israels Militär hat dazu Aufnahmen veröffentlicht, die beweisen sollen, dass eine fehlgeleitete palästinensische Rakete für den tödlichen Einschlag verantwortlich ist. In dem veröffentlichten Videozusammenschnitt sind Luftaufnahmen der Al-Ahli-Klinik und eines Parkplatzes zu sehen, auf dem ein Brand ausgebrochen war. Verglichen werden Luftaufnahmen vor und nach dem tödlichen Vorfall. Es sei kein typischer Krater zu sehen, wie er sonst bei israelischen Luftangriffen entstehe. Nach Angaben der Armee schlug dort stattdessen eine fehlgeleitete Rakete des „Islamischen Dschihads“ ein.

Die IDF veröffentlichte am Mittwoch Drohnenaufnahmen auf „X“, die einen Einschlag israelischer Raketen in das Krankenhaus widerlegen sollen. Demnach würden israelische Luftschläge einen anderen Krater im Boden verursachen. Eine fehlgeleitete Rakete der Terrororganisation „Islamischer Dschihad“ sei die wahrscheinlichere Ursache einer Explosion.
Die IDF veröffentlichte am Mittwoch Drohnenaufnahmen auf „X“, die einen Einschlag israelischer Raketen in das Krankenhaus widerlegen sollen. Demnach würden israelische Luftschläge einen anderen Krater im Boden verursachen. Eine fehlgeleitete Rakete der Terrororganisation „Islamischer Dschihad“ sei die wahrscheinlichere Ursache einer Explosion. © IDF / X / Screenshot | IDF / X / Screenshot

Militärsprecher Daniel Hagari hatte zuvor bereits in der Nacht zum Mittwoch Beweise angekündigt. Die israelische Armee verfüge nicht über alle Informationen zu dem Vorfall. „Es gibt viele Luftangriffe, viele misslungene Raketen und viele gefälschte Berichte der Hamas“, sagte Hagari laut israelischen Medien. Der Islamische Dschihad bezeichnete die Anschuldigung Israels am Mittwoch als „Lüge“, mit der das Land „seine Angriffe auf Krankenhäuser rechtfertigen“ und „sich der Verantwortung für sein Verbrechen entziehen“ wolle.

Wer in diesem Fall die Wahrheit sagt, ist noch offen. Fest steht: Trotz legitimer Kritik handelt es sich bei Israel um einen demokratischen Staat. Die Hamas sind dagegen eine Terrororganisation. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass sie versucht, die Explosion zu instrumentalisieren.

Schützenhilfe erhält Israel zudem von US-Präsident Biden. Bei seinem Besuch in Israel unterstützte er die israelische Darstellung der Ereignisse. „Auf Grundlage dessen, was ich gesehen habe, scheint es so, als sei es von der Gegenseite ausgeführt worden, nicht von Euch“, sagte Biden am Mittwoch vor Gesprächen mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu in Tel Aviv. Nach eigenen Auswertungen kamen die USA inzwischen ebenfalls zu dem Schluss, dass Israel nicht für den Raketeneinschlag verantwortlich sei.

Proteste in zahlreichen arabischen Ländern nach Explosion in Krankenhaus in Gaza

In vielen arabischen Ländern zeigt man sich dagegen von der Schuld Israels überzeugt. Seit den ersten Meldungen zu dem mutmaßlichen Raketeneinschlag kam es in muslimisch geprägten Ländern zu heftigen Protesten. Im Iran, der als Unterstützer der Hamas gilt, versammelten sich am frühen Mittwochmorgen hunderte Demonstranten vor der britischen und der französischen Botschaft in Teheran, wie ein AFP-Korrespondent berichtete. Die Demonstranten warfen Eier auf die französische Botschaft und forderten den Tod Englands und Frankreichs. Israel und die USA haben keine Botschaften in Teheran, da sie keine diplomatischen Beziehungen zum Iran unterhalten. Mehrere Tausend Menschen kamen zudem auf einem zentralen Platz der iranischen Hauptstadt zusammen, um ihre Wut über den folgenschweren Angriff zu manifestieren, wie ein AFP-Fotograf berichtete.

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi rief einen Tag der Trauer aus und erklärte laut der amtlichen Nachrichtenagentur Irna, dass „die Flammen der US-israelischen Bomben, die heute Abend auf die verletzten Palästinenser im Krankenhaus in Gaza abgeworfen wurden“, die „Zionisten (...) verzehren werden“. Teheran forderte zudem arabische Staaten, die Beziehungen zu Israel unterhalten, auf, diese abzubrechen.

In Istanbul protestierten Palästina-Unterstützer vor dem israelischen Konsulat. Sie geben Israel die Schuld an dem Luftschlag auf das Krankenhaus. Als Hunderte Demonstranten das Konsulat stürmen wollten, kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
In Istanbul protestierten Palästina-Unterstützer vor dem israelischen Konsulat. Sie geben Israel die Schuld an dem Luftschlag auf das Krankenhaus. Als Hunderte Demonstranten das Konsulat stürmen wollten, kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. © AFP | UMIT TURHAN COSKUN

Krankenhaus-Katastrophe in Gaza: Hisbollah spricht von „Massaker“

Die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz im Libanon verkündete am Mittwoch einen „Tag der Wut gegen den Feind“ und sprach mit Blick auf den Raketenbeschuss von einem „Massaker“ und „brutalen Verbrechen“. Auch in der libanesischen Hauptstadt Beirut demonstrierten nach Angaben eines AFP-Korrespondenten hunderte Menschen vor der US-Botschaft und skandierten „Tod für Amerika“ und „Tod für Israel“. In Jordanien versuchten Demonstranten, die israelische Botschaft zu stürmen. Die Regierung sagte ein für Mittwoch geplantes Vierer-Gipfeltreffen mit US-Präsident Joe Biden in Amman ab. Katar sprach von einem „brutalen Massaker“ und einem „abscheulichen Verbrechen gegen wehrlose Zivilisten“.

Auch Ägypten hat inzwischen eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Auffällig ist dabei, dass in der Bekanntmachung auf Schuldzuweisungen verzichtet wurde. Zuvor hatte Ägyptens Präsident al-Sisi noch von einem „israelischen Bombardement“ gesprochen.

Die im Westjordanland herrschende palästinensische Autonomiebehörde hat derweil eine Untersuchung des Vorfalls durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) beantragt. „Der palästinensische Staat hat heute einen Antrag beim IStGH eingereicht, um eine Untersuchung bezüglich dieses Verbrechens zu erreichen“, sagte die Vertreterin der Palästinenserregierung in Frankreich, Hala Abu Hassira, am Mittwoch in Paris. „Wir brauchen eine internationale Untersuchung.“ Für Abu Hassira scheint jedoch bereits festzustehen, dass Israel die Schuld trägt. „Israel ist der einzige Verantwortliche“, sagte sie. „Es ist nicht das erste Mal, dass Israel zivile Infrastruktur und insbesondere Krankenhäuser ins Visier nimmt.“

Westliche Politiker fordern Untersuchung – gewaltsame Ausschreitungen in Berlin-Neukölln

Das Auswärtige Amt in Berlin verurteilte den Angriff scharf. „Wir sind zutiefst schockiert angesichts der Berichte über hunderte Tote im Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza. Zivile Ziele, insbesondere ein voll funktionstüchtiges Krankenhaus mit Patienten und medizinischem Personal, dürfen unter keinen Umständen angegriffen werden“, hieß es auf X, ehemals Twitter. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, es gebe „keine Rechtfertigung“ dafür, Zivilisten ins Visier zu nehmen und ein Krankenhaus anzugreifen, und forderte auf X eine Aufklärung.

Im Berliner Bezirk Neukölln ist es in der Nacht zu Mittwoch und auch im Verlauf des Tages zu Ausschreitungen gekommen. Es hätten Barrikaden, E-Scooter und ein Kinderspielplatz gebrannt, teilte die Berliner Feuerwehr auf „X“ mit. Zudem hätten Menschen Gegenstände auf der Sonnenallee angezündet. Einsatzkräfte der Feuerwehr seien mit Pyrotechnik angegriffen und beschossen, die Polizei in der Stresemannstraße mit Steinen beworfen worden. Zwei Polizeikräfte wurden von der Feuerwehr, die mit 40 Kräften vor Ort war, rettungsdienstlich versorgt. Auch in anderen Städten Deutschlands wie Dortmund, Düsseldorf oder Essen ist es zu pro-palästinensischen Protesten gekommen.

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