Kommentar

Türkei-Wahl: Siegt Erdogan, droht eine neue Eiszeit

Michael Backfisch
Junge Türken wollen auswandern

Junge Türken wollen auswandern

"Jeden Abend sprechen wir nur über ein Thema: Wie können wir dieses Land verlassen?", sagt Hasibe Kayaroglu über sich und ihre Freunde. Viele junge Türken denken wie sie. Einer Studie zufolge überlegen mehr als 70 Prozent der jungen Menschen, der Türkei den Rücken zu kehren.

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Bei einem Sieg dürfte Erdogan die Freiheiten weiter einschränken. Das Verhältnis zwischen der EU und der Türkei wird noch schwieriger.

Berlin.  Es sieht nicht gut aus für Kemal Kilicdaroglu. Wenn dem Herausforderer des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht noch ein Wunder gelingt, wird er die Stichwahl an diesem Sonntag verlieren. Die letzten Umfragen sehen den Amtsinhaber mit rund 53 zu 47 Prozent vorn. Es hat sich wieder einmal bewahrheitet, dass Erdogan ein mit allen Wassern gewaschener Wahlkämpfer ist. Er elektrisierte die Massen mit seinem Polit-Machismo und schreckte auch vor Schmutzkampagnen nicht zurück.

Das Bild des starken Mannes hat in der Türkei Konjunktur wie nie. Selbst die über weite Strecken hausgemachte Wirtschaftskrise und das miserable Erdbeben-Management scheinen an Erdogan abzuprallen. Der Präsident wird bei einem Sieg versuchen, seine Macht weiter zu zementieren.

Nicht nur die Flüchtlingsfrage ist ein Hebel, um Europa unter Druck zu setzen

Was von der feien Presse übrig ist, wird weiter gegängelt werden – mehr als 90 Prozent der Medien stehen bereits unter der Kontrolle von Erdogan-nahen Unternehmern. Die Justiz wird der Staatschef ebenfalls noch mehr an die Kandare nehmen. Nicht auszuschließen, dass Erdogan eine Verfassungsänderung anstrebt, die ihm die Herrschaft auf Lebenszeit sichert.

Wahl Türkei-Wahl 2023
(Stichwahl)
Datum Sonntag (28. Mai 2023)
Ort Türkei
Gewählt wird Präsident
Wahlberechtigt sind Rund 64 Millionen Menschen
Kandidaten für Präsidentenamt Recep Tayyip Erdoğan (69) und Kemal Kılıçdaroğlu (74)

Deutschland und die EU tun gut daran, sich auf eine neue Eiszeit einzustellen. Auch wenn Erdogan am Ende dem Nato-Beitritt Schwedens zustimmen dürfte, weil er im Gegenzug die heißbegehrten amerikanischen F-16-Kampfjets bekommt: Er bleibt für den Westen ein völlig unberechenbarer nationalistischer Desperado. Nicht nur in der Flüchtlingsfrage hat der Präsident jederzeit einen Hebel in der Hand, um Europa unter Druck zu setzen. Das Verhältnis zwischen Deutschland, der EU und der Türkei wird dann noch schwieriger.

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