Rom. Die Zahl der Bootsflüchtlinge, die nach Italien kommen, steigt rasant. Das wird für Regierungschefin Meloni nun zum großen Problem.

Europas Südgrenze beginnt auf der Insel Lampedusa. Bis dahin müssen es die Flüchtlinge, die von der tunesischen Küste abfahren, in ihren Schlauchbooten schaffen. Der Wind hat über Nacht weiter abgenommen. Dünner Nebel zieht auf und verflüchtigt sich wieder. Nach Tagen rauer See sind die Wetterbedingungen für die Abfahrt von der tunesischen Küste ideal. Lampedusa - Italien - liegt nur 113 Kilometer von Tunesien entfernt. Seit über 15 Jahren ist die 20 Quadratkilometer große Insel täglich mit der Migrationsproblematik konfrontiert.

Doch in den letzten Monaten hat die Migration ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht. Seit Jahresbeginn sind etwa 35.000 Migranten über das Mittelmeer gekommen, das sind vier Mal mehr als im Vergleichszeitraum 2022. Regierungschefin Giorgia Meloni schlägt Alarm: Sollte sich die wirtschaftliche und soziale Lage in Tunesien nicht stabilisieren, könnten 900.000 Personen die Reise in Richtung Europa antreten.

Italien: Küstenwache griff Mohammeds Boot auf

Wenn die hölzernen Fahrzeuge nicht an den Klippen des europäischen Eilands zerschellen, werden sie konfisziert und später zerstört. Ganze Familien verlassen Tunesien und hoffen, Lampedusa zu erreichen. In einem der Boote kauert Mohammed, ein 18-Jähriger aus den Bergen Zentral-Eritreas. Mit ihm sind 100 Personen in das Schlauchboot in Richtung Lampedusa gestiegen. Um drei Uhr nachts sind sie von der tunesischen Stadt Sfax aufgebrochen. Die Frauen und Kinder sitzen auf den Bodenbrettern neben den Benzinfässern, umringt von den Männern. Mohammed hat Glück. Das Boot ist von einem Schiff der italienischen Küstenwache aufgegriffen und in den Hafen Lampedusas begleitet worden.

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Jetzt sind Mohamed und seine Weggefährten im Flüchtlingslager der Insel untergebracht. Diejenigen Migranten, die die Seeüberfahrt geschafft haben, bleiben tagelang in dem Hotspot eingepfercht, der bis zu 2400 Menschen beherbergt. Dabei ist das Flüchtlingslager nur für 400 Personen gedacht gewesen. Die trockene Insel, die nach 1872 für ein paar Jahre als Strafkolonie genutzt wurde, ist zum Migrantenghetto im Mittelmeer geworden.

„Viele Minderjährige sind ohne Begleitung eingetroffen“

Der Zaun gibt Einblick in die Bedingungen, unter denen die Geflüchteten, die ihre Länder ohne jegliche Habe verlassen mussten, zum Ausharren gezwungen sind. Viele von ihnen müssen im Freien schlafen, sie wärmen sich lediglich mit den Decken, die ihnen die Retter bei ihrer Ankunft gegeben haben. Die hygienischen Bedingungen sind prekär. Hilfsorganisationen bemängeln die Zustände, es fehlt an Kleidung, Schuhen, im Zentrum gibt es zu wenige Duschen und kein funktionierendes Internet, damit die Flüchtlinge mit ihren Angehörigen in der Heimat kommunizieren können.

Die angekommenden Geflüchteten werden auf der Mittelmeerinsel Lampedusa zunächst in das Lager gebracht, das bereits überfüllt ist. Für etwa 400 Mensche ist Platz, zeitweise sind dort aber mehr als 2000 untergebracht.
Die angekommenden Geflüchteten werden auf der Mittelmeerinsel Lampedusa zunächst in das Lager gebracht, das bereits überfüllt ist. Für etwa 400 Mensche ist Platz, zeitweise sind dort aber mehr als 2000 untergebracht. © picture alliance / IPA | Mattia Torretta

Kinder, Frauen und Männer sind auf engstem Raum eingepfercht. Niemand darf das Lager verlassen. Nicht selten kommt es zu Auseinandersetzungen, auch zu Gewalt. Die Lage auf der Insel ist angespannt.

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„Viele schwangere Frauen kommen im neunten Monat an“, berichtet Francesco D’Arca, Leiter der Poliklinik der Insel. „Wir müssen also sofort mit der Verlegung dieser Frauen aufs Festland beginnen. Und dann gibt es auch noch viele Kinder. Viele Minderjährige sind ohne Begleitung eingetroffen“, erzählt der Arzt.

Lampedusa lebt vom Tourismus, die Einwohner sind wenig begeistert vom Lager

Mit einem Flugzeug der Luftwaffe oder per Fähre verlassen die Migranten den Hotspot Lampedusa und werden nach Sizilien, oder aufs italienische Festland gebracht. Um die Lage zu entlasten, hat die Regierung Meloni jetzt beschlossen, ein zusätzliches Schiff einzusetzen, das mehrmals wöchentlich die Migranten von Lampedusa wegbringen soll. Das Kabinett will somit Proteste unter den 6000 Anrainern der Insel vermeiden, die sich angesichts der zunehmenden Migrantenzahl belagert fühlen. Die Insel lebt vom Tourismus, die ständigen Ankünfte von Migranten schadeten dem Fremdenverkehr, beklagen die Einwohner.

Nannte sich in ihrer Antrittsrede im Parlament „Underdog“ – und hätte damit gegen das eigene Gesetz verstoßen: Giorgia Meloni.
Nannte sich in ihrer Antrittsrede im Parlament „Underdog“ – und hätte damit gegen das eigene Gesetz verstoßen: Giorgia Meloni. © AFP | Andreas Solaro

Die Regierung in Rom hat wegen der zuletzt hohen Migrationszahlen über die Mittelmeerroute landesweit einen Notstand beschlossen. Dieser gilt für sechs Monate. Den von der Migrationsproblematik besonders betroffenen Regionen im Süden sollen Sonderfinanzierungen zur Verfügung gestellt werden.

115.000 Geflüchtete werden derzeit vom italienischen Aufnahmesystem versorgt

Der Ausnahmezustand verleiht der Regierung besondere Macht. Mit der Regelung können nun neue Aufnahmezentren für Flüchtlinge errichtet werden, um die Menschen schneller identifizieren und wieder abschieben zu können. Rund 115.000 Flüchtlinge werden derzeit vom italienischen Aufnahmesystem versorgt. Menschen aus der Ukraine, die wegen des russischen Angriffskriegs besonderen Schutz genießen, nicht miteingerechnet. Unermüdlich fordert Premierministerin Meloni Hilfe von der EU.

„Jene Menschen, die über eine Aufenthaltsgenehmigung verfügen, können sich in Italien eine Zukunft aufbauen. Diejenigen aber, die keine notwendigen Voraussetzungen vorweisen können, dürfen nicht illegal nach Italien einreisen. Das ist nicht nur unsere Politik, sondern die der gesamten Europäischen Union“, betont Meloni.

Südlich der italienischen Mittelmeer-Insel Lampedusa: Migranten schwimmen neben ihrem umgestürzten Holzboot. Die spanischen NGO Open Arms hatte eine Rettungsaktion gestartet.
Südlich der italienischen Mittelmeer-Insel Lampedusa: Migranten schwimmen neben ihrem umgestürzten Holzboot. Die spanischen NGO Open Arms hatte eine Rettungsaktion gestartet. © dpa | Francisco Seco

Die Opposition im Parlament in Rom reagiert mit Spott: „Jahrelang hat die Rechte für den Anstieg der Migrantenzahlen die Politik der Linken und die NGOs verantwortlich gemacht“, sagte Mauro Mauri, einst Vize-Innenminister und Mitglied der Demokratischen Partei. Jetzt aber gingen die Ausreden langsam aus.

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