Berlin. Am Samstag gehen die drei letzten aktiven Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz. Wie der Tag abläuft – und wie es dann weitergeht.

Am 17. Juni 1961 herrschte Euphorie: Erstmals speiste ein Versuchs-Kernkraftwerk Atomstrom ins deutsche Stromnetz ein. Was im bayerischen Kahl am Main seinen Anfang nahm, endet am Samstag nach dann 61 Jahren, 9 Monaten und 30 Tagen. Die große Abschiedsparty aber bleibt aus. Sowohl in der Politik, in der in den letzten Akw-Tagen erbittert über einen Ausstieg vom Ausstieg gestritten wird, aber auch in den Kernkraftwerken selbst will man den Abschied ruhig gestalten.

Eine Rede des Werksleiters vor den rund 650 Beschäftigten? Anstoßen auf den Abschied? Fehlanzeige, teilt ein Konzernsprecher von EnBW auf Anfrage mit. Schließlich sei es für alle Beteiligten nicht der letzte Arbeitstag, es stehe mit dem Rückbau der Anlage noch eine langjährige Aufgabe bevor.

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EnBW, Deutschlands drittgrößtes Energieunternehmen, betreibt in Neckarwestheim nahe Heilbronn das jüngste der noch aktiven deutschen Kernkraftwerke. Dessen Block 2 speist seit 1989 Strom ins deutsche Netz ein und verfügt über eine elektrische Leistung von 1400 Megawatt. Pro Jahr wurden so durchschnittlich 11 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert, was immerhin ein Sechstes des jährlichen Strombedarfs in Baden-Württemberg abdeckte, heißt es von EnBW. Aktuell bewegt sich die Reaktorleistung laut des Sprechers nur noch auf einem Niveau zwischen 60 und 70 Prozent.

Atomkraftwerke: Am Samstag wird noch Strom produziert

Neben Neckarwestheim 2 erzeugen aktuell die Atomkraftwerke Isar 2 im bayerischen Essenbach sowie das Akw Emsland im niedersächsischen Lingen Energie. Das Prozedere wird am Samstag in allen drei Kernkraftwerken nahezu identisch sein und wie bei der regelmäßigen Überprüfung der Atomkraftwerke stattfinden.

Im Laufe des Tages wird noch Strom produziert. Dann soll die Reaktorleistung kontinuierlich abgesenkt werden. „Anschließend wird der Generator vom Netz getrennt und die nukleare Kettenreaktion durch das Einfahren der Steuerstäbe beendet. Damit ist das Kernkraftwerk sicher abgeschaltet“, erläutert ein Standortsprecher des von RWE betriebenen Kernkraftwerks Emsland.

Am 3. Januar 1989 speiste das Kernkraftwerk Neckarwestheim erstmals Strom ins öffentliche Netz ein. Bis zur Abschaltung wird es rund 375 Milliarden Kilowattstunden Energie erzeigt haben.
Am 3. Januar 1989 speiste das Kernkraftwerk Neckarwestheim erstmals Strom ins öffentliche Netz ein. Bis zur Abschaltung wird es rund 375 Milliarden Kilowattstunden Energie erzeigt haben. © AFP | Thomas Kienzle

Aktuell liege die Leistung des Akw Emsland noch bei 1000 Megawatt, am Samstag werde das Kernkraftwerk in den Abendstunden heruntergefahren sein. Für die 350 Beschäftigten in Lingen wird es ein ruhiger Abschied. Medienvertreter sind für den letzten Betriebstag auf dem Gelände nicht zugelassen. Eine Feier ist zwar auch in Lingen nicht geplant, aber es werde ein „Zusammenkommen im kleinen Kreis der Belegschaft“ geben, kündigt der Standortsprecher an.

Ein roter Knopf leitet das Akw-Ende ein

Im niederbayerischen Akw Isar 2 ist der Start des Abschaltprozesses für 22 Uhr geplant. Pro Minute soll die Leistung dann um 10 Megawatt abgesenkt werden. Sobald der Reaktor auf eine Leistung von 30 Prozent abgesenkt ist, wird kein Strom ins Höchstspannungsnetz mehr eingespeist, heißt es von Betreiber PreussenElektra, einer Tochter des Energiekonzerns Eon. Die Anlage selbst werde dann von außen über das Stromnetz versorgt. Nach der Netztrennung werde der Reaktor heruntergefahren.

Wasserdampf steigt aus dem Kühltum des Kernkraftwerks Isar 2. Das Akw verfügt über Deutschlands leistungsstärksten Kernreaktor.
Wasserdampf steigt aus dem Kühltum des Kernkraftwerks Isar 2. Das Akw verfügt über Deutschlands leistungsstärksten Kernreaktor. © dpa | Armin Weigel

„Das dauert etwa eine Viertelstunde. Dann wird er mit der Reaktorschnellabschaltung abgeschaltet. Das ist der berühmte rote Knopf“, erklärte Werksleiter Carsten Müller der Deutschen Presse-Agentur. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Metapher. Im Kontrollraum gibt es tatsächlichen einen roten Knopf, versteckt hinter einer ebenfalls roten Plastikkappe. Wer ihn drücken wird, ist noch unklar. Die aus regulär 15 Personen bestehende Schicht soll in Essenbach um 20 weitere Beschäftigte verstärkt werden, auch die Führungsebene von PreussenElektra soll anwesend sein.

Brennstäbe müssen abklingen

Für die 450 Beschäftigten von Isar 2 geht es ebenso wie für die Beschäftigten in den anderen Kernkraftwerken mit der Arbeit nach der Abschaltung weiter. „Als eine der ersten Maßnahmen wird, wie auch während Revisionen üblich, der Reaktordruckbehälter geöffnet und die im Kern befindlichen Brennelemente werden in den darauffolgenden Wochen unter Wasser in das Brennelemente-Lagerbecken umgestellt“, erläutert der Standortsprecher vom Akw Emsland.

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Auch bei diesem Abschnitt – der sogenannten Nachbetriebsphase – ist das Vorgehen in allen Akws sehr ähnlich. Erst wenn die Aktivität der Brennstäbe im Abklingbecken zurückgegangen ist, werden die Brennelemente in Lagerbehälter umgeladen und in Zwischenlager gefahren – die berühmten Castor-Transporte. Vor dem Rückbau müssen die Anlagen dekontaminiert werden.

Nach der Abschaltung des Atomkraftwerks Emsland im niedersächsischen Lingen am 15. April rechnet Betreiber RWE mit einer 14 Jahre dauernden ersten Rückbauphase einschließlich Nachbetrieb.
Nach der Abschaltung des Atomkraftwerks Emsland im niedersächsischen Lingen am 15. April rechnet Betreiber RWE mit einer 14 Jahre dauernden ersten Rückbauphase einschließlich Nachbetrieb. © dpa | Sina Schuldt

Es sind komplexe Aufgaben, die Erfahrung und Wissen voraussetzen. Entsprechend behalten die Beschäftigte in den Atomkraftwerken auch ihre Jobs. Bis 2029 haben etwa die Mitarbeiter von Isar 2 einen festen Arbeitsvertrag, erst dann soll es zu einem Stellenabbau kommen. Wobei Atomkraft-Experten aus Deutschland im Ausland gefragt bleiben.

Rückbau kostet Milliarden

An die Nachbetriebsphase schließt sich die sogenannte Stilllegung an. Dann geht der Rückbau des Akws richtig los. Am Ende soll die „grüne Wiese“ zurückbleiben: begrünte und brachliegende Flächen, wo einst Wasserdampf aus den Kühltürmen aufstieg. Der Rückbau in der Stilllegungsphase allerdings dauert pro Akw mindestens 10 bis 15 Jahre. Und kostet jede Menge Geld.

PreussenElektra etwa rechnet für den Rückbau des Atomkraftwerks Isar – sowohl für den noch aktiven Block 2 als auch für den bereits 2011 vom Netz gegangenen Block 1 – mit Kosten von rund 2,2 Milliarden Euro. RWE will die Fläche des Akw Emsland bis 2037 frei von Radioaktivität haben und plant mit Kosten von 500 Millionen Euro bis einer Milliarde Euro. Und bis in Neckarwestheim wieder das Gras auf der grünen Wiese wächst, wo einst fünf Kernkraftblöcke standen, werden wohl 9 Milliarden Euro fällig. Mindestens.