Washington. Donald Trump wird am Dienstag vermutlich nicht verhaftet. Trotzdem ist der verklausulierte Protest-Aufruf an seine Anhänger gefährlich.

Im Militärischen nennt man das, womit Donald Trump Amerika just in Aufregung versetzt, „pre-emptive strike” – ein Gegenangriff, noch bevor ein Angriff überhaupt erfolgt ist. Denn die Vorhersage des Ex-Präsidenten und republikanischen Präsidentschaftskandidaten für 2024, dass er am Dienstag von den Justizbehörden in New York verhaftet wird, ist bisher durch nichts gedeckt. Der Appell, seine Anhänger mögen für ihn demonstrieren und sich „das Land zurückholen”, nährt aber die Befürchtung einer bösen Wiederholung. Stichwort: Sturm aufs Kapitol. Die wichtigsten Fragen auf einen Blick:

Wird Donald Trump morgen festgenommen?

Nichts spricht im Moment dafür. Die Zeugenvernehmungen vor der Geschworenen-Jury in New York, die sich mit den Modalitäten von Trumps Schweigegeld-Zahlungen an den Porno-Star Stormy Daniels beschäftigt, sind nicht abgeschlossen. Und die Staatsanwaltschaft hat bisher weder eine Anklage konkret avisiert, noch mit Trumps Anwälten Kontakt aufgenommen. Aber: Die Anzeichen dafür, dass zum ersten Mal in der US-Geschichte ein Ex-Präsident strafrechtlich belangt werden könnte, verdichten sich.

Wie könnte dieses beispiellose Szenario aussehen?

Mit seinen Bodyguards vom Secret Service würde Trump vermutlich von Mar-a-Lago in Florida nach New York fliegen und dort im Gebäude des Bezirksstaatsanwalts Alvin Bragg erscheinen. Das Ritual – Fingerabdrücke nehmen und Fotos („mug shots”) machen – bliebe ihm nicht erspart. Nach einer offiziellen Verlautbarung über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, wäre Trump bis zum Ende eines Prozesses auf freiem Fuß. Dass es bei ihm zum „perp walk” käme, der medienwirksamen Vorführung in Handschellen, ist unwahrscheinlich; auch wenn Trump das aus Publicity-Gründen durchaus gefallen könnte.

Der Trump-Aufruf nährt Befürchtungen, dass es zu einer Wiederholung des Sturms auf das US-Kapitol kommen könnte.
Der Trump-Aufruf nährt Befürchtungen, dass es zu einer Wiederholung des Sturms auf das US-Kapitol kommen könnte. © AFP | Samuel Corum

Warum macht Donald Trump diesen Zirkus?

Er liebt die Opfer-Pose, noch mehr die Medienscheinwerfer. Der Aufruf an seine Anhänger, für ihn auf die Straße zu gehen, ist ein Test-Ballon. Trump sagt, er sei die Zielscheibe einer „politisch korrupten Justiz“. Kann er immer noch Zehntausende elektrisieren, die sich für ihn in die Bresche werfen? Groß-Demonstrationen, nicht im liberalen New York, aber andernorts, wären ein Gradmesser dafür. Zweites Motiv wie immer bei Trump: Geld. Die drohende Anklage ist ein veritables Instrument für das Eintreiben von Spenden. Mit der Lüge vom Wahlbetrug 2020 hat Trump so Millionensummen eingenommen.

Kommt es zu gewalttätigen Ausschreitungen durch Trump-Anhänger?

Das ist heute schwer zu sagen. Erste Wutwellen von seinen Fans in sozialen Medien sind flüchtig. Ali Alexander, ein Stratege, der im Januar 2021 als Demo-Organisator eine Schlüsselrolle spielte, geht bereits auf Distanz: „Bislang habe ich gesagt, dass 100.000 Patrioten alle Straßen nach Mar-a-Lago blockieren sollen, wenn Trump inhaftiert oder mit einer öffentlichen Demütigung bedroht würde. Heute bin ich in Rente. Aber trotzdem bete ich für ihn.” In New York treffen die Sicherheitsbehörden trotzdem besondere Vorkehrungen rund um das Justizgebäude im Süden Manhattans.

Warum gibt es Zweifel am Vorgehen der New Yorker Staatsanwaltschaft?

Weil der Schweigegeld-Fall mindestens fünf Jahre alt ist. Alvin Braggs Vorgänger Cyrus Vance verzichtete auf eine Anklage. Auch das Justizministerium und die staatliche Wahl-Aufsicht (FEC) hatten damals Bedenken. Grund: Schweigegeldzahlungen sind in den USA nicht illegal. Die unsachgemäße Abrechnung von „hush money” – in Trumps Büchern wurden die 130.000 US-Dollar als Anwaltskosten verbucht – erfüllt in New York den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit.

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Um die Zahlung zu einem Verbrechen werden zu lassen, muss der Nachweis geführt werden, dass Trump mit dem verheimlichten Geld an Porno-Star Stormy Daniels seinem Wahlkampf 2016 quasi eine illegale Spende zukommen ließ. Auch Alvin Bragg selbst war zunächst lange zögerlich. So sehr, dass zwei seiner Top-Ermittler, die Trump unbedingt angeklagt sehen wollten, den Dienst quittierten. Einer davon, Mark Pomerantz, schrieb sogar ein Buch darüber.

War die Schweigegeld-Zahlung an Stormy Daniels wirklich illegal? Rechtsexperten haben ihre Zweifel.
War die Schweigegeld-Zahlung an Stormy Daniels wirklich illegal? Rechtsexperten haben ihre Zweifel. © AFP | Eduardo Munoz Alvarez

Warum der New Yorker Chef-Ankläger ausgerechnet jetzt glaubt, den Fall gegen den Ex-Präsidenten erfolgreich durchfechten zu können, ist vielen Rechtsexperten schleierhaft. Zumal Trump die Zahlung, nicht die Affäre, längst zugegeben hat. „Ich habe mich auf Berater verlassen, um die Erpressung gegen mich beizulegen”, schreibt er persönlich. Hat Bragg ein Ass im Ärmel, das noch niemand kennt? Ohne das, sagt der Trump zugetane Washingtoner Rechtsprofessor Jonathan Turley, wird die Anklage zum „Flop”.

Gibt es nicht gewichtigere Vorwürfe gegen Trump?

Es besteht weitgehend Einigkeit in Politik und Juristerei, dass Trumps Chefregisseur-Rolle bei der Inszenierung des blutigen Aufstandsversuchs am Kapitol entschieden härterer Tobak war. Auch seine lückenlos dokumentierten Versuche, im Bundesstaat Georgia nach der Wahl 2020 nachträglich knapp 12.000 Stimmen für ihn einzutreiben, um Joe Biden zu übertreffen, gilt als Attentat auf die demokratische Grundordnung; hier liegt ebenfalls eine Anklage in der Luft.

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Dass Trump illegal hoch geheime Regierungs-Papiere in Mar-a-Lago aufbewahrte und monatelang darüber falsche Angaben machte, ist juristisch ebenfalls kein Kavaliers-Delikt. Ein Sonderermittler des Justizministeriums könnte demnächst empfehlen, Trump wegen Verstoßes gegen Spionage-Gesetze anzuklagen. Nicht zu vergessen: Die Verleumdungsklage einer Frau in New York, die Trump einer lange zurückliegende Vergewaltigung beschuldigt, die der 76-Jährige bestreitet. Prozessbeginn: in diesem Frühjahr.