Pokhara. In der nepalesischen Provinz schaffen es Mädchen und junge Frauen, sich aus armen Verhältnissen hochzuarbeiten – auch in Männerberufen.

Der Vater Tagelöhner, der Bruder Tagelöhner, die Mutter hütet Haus und Hof – und die Tochter soll sich auf die Ehe und ein Leben bei den Schwiegereltern vorbereiten: So oder so ähnlich ist das Schicksal der meisten Mädchen und jungen Frauen in den armen Regionen von Nepal vorbestimmt. Arbeiten? Ein eigenes, sicheres Einkommen erzielen?

Auch interessant: Menschenhandel in Nepal: Als Sahil zu ihrer Enthauptung fuhr

Seit 2013 bekamen 740 junge Frauen von Plan International und der örtlichen Hilfsorganisation R4C (Right for Children) die Gelegenheit dazu: In Pokhara, der nepalesischen Stadt am Fuß der beiden Annapurna-Massive, die den unbezwingbaren Gipfel des Machapucharé umschließen, stehen fast 300 von ihnen auf eigenen Füßen. Als Kassiererin, Sicherheits-Bedienstete, Baggerfahrer, Rezeptionistin und sogar Bergführerin.

Sechs von ihnen erzählen bei einem Ortsbesuch, warum sie nie wieder auf ihren Job verzichten wollen, auch wenn ihr Einkommen selten 150.000 Rupien im Jahr – etwa 1070 Euro – übersteigt. Und was die Familie dazu sagt.

Lesen Sie auch:„Frauen zwischen Klischee und Alltag“

1. Sushma, 23, Baggerfahrerin

„Ich habe mir tatsächlich einen Kindheitstraum erfüllt“, erzählt Sushma. Sie kombiniert ihren schwarzen Sari mit einer Lederjacke, Jeans und Sneaker, als sie sich den Journalistinnen aus Deutschland vorstellt. „Schon als Kind haben mich Bilder von Baggern fasziniert, aber ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas tun könnte“. Nach ihrer Heirat zog sie von einem Dorf im Mittelgebirge Nepals nach Pokhara in das Haus ihrer Schwiegereltern.

Autorin Birgitta Stauer lässt sich von Sushma den Job einer Baggerfahrerin erklären.
Autorin Birgitta Stauer lässt sich von Sushma den Job einer Baggerfahrerin erklären. © Plan International/Annika Büssemeier

Sie bekam ein Kind. Irgendwann hörte sie vom Projekt R4C, sah auf Youtube ein Video, das Frauen als Baggerführerin zeigte – und konnte es kaum glauben. „Als ich das sah, wollte ich das auch unbedingt“. Ihren Mann musste sie allerdings erst mal überzeugen. „Er hat mich nicht so unterstützt“, sagt sie. Auch ihr Schwager habe viele abwertende Bemerkungen gemacht. „Es ist nicht einfach für eine verheiratete Frau, rauszugehen und zu tun, was du willst“, sagt sie.

Der tägliche Weg zum Bagger: Hängebrücke über einem Staudamm bei Pokhara.
Der tägliche Weg zum Bagger: Hängebrücke über einem Staudamm bei Pokhara. © Plan International/Annika Büssemeier

Wenn sie von ihrer Familie erzählt, wirkt sie schüchtern, ganz anders aber wird ihr Auftreten, wenn es um den Bagger geht. „Ich bin so stolz“. Am nächsten Morgen lädt sie zum Fototermin auf einer riesigen Baustelle ein, zu der für Fußgänger nur eine unheimliche Hängebrücke über einem Staudamm führt.

Und dann sitzt sie da in ihrem Bagger, mit Helm und Warnweste, sie schaltet und bewegt Hebel, um Schaufel für Schaufel einen riesigen Kiesberg abzutragen. Noch ist sie in der Ausbildung, noch fehlt ihr der Führerschein, um den Bagger auch auf der Straße zu bewegen. „Wenn ich ihn habe, bin ich mir sicher, dass ich einen Job bekomme“. Und irgendwann, sagt sie, will sie eine eigene Firma haben, die Baggerfahrerinnen ausbildet. Sushma: „Ich will andere Frauen unterstützen.“

2. Rabina, 22, angehende Chauffeurin

„Ich bin so glücklich und dankbar“, sagt sie. Die meisten Frauen seien doch gebunden an die Küche, an das Haus, an ihre Kinder. „Ich möchte aber unabhängig sein, mein eigenes Geld verdienen“. Zu Hause wollten sie alle entmutigen, ihre angeheiratete Familie, ihr Schwager, ihr Schwiegervater und letztlich auch ihr Ehemann. „Warum lernst du Chauffeur“, sagten sie jeden Tag zu ihr. „Sie wollen mich entmutigen, aber das lasse ich nicht zu“.

Träumt vom eigenen Taxi: Rabina, Chauffeurin.
Träumt vom eigenen Taxi: Rabina, Chauffeurin. © Plan International/Annika Büssemeier

Nur der Vater habe sie immer wieder unterstützt, „auf ihn kann ich zählen“. Ob ihr das nichts ausmache, in einem Männerberuf zu arbeiten? „Mir ist klar, dass ich bestimmt oft unterschätzt werde“, sagt sie. „Aber irgendwann habe ich mein eigenes Taxi“.

Was ihr jetzt noch fehlt, ist die Führerscheinprüfung. Wenn sie die erfolgreich hinter sich hat – und sie ist sich sicher, dass es nicht mehr lange dauern kann – dann „werde ich in einer Firma arbeiten und Touristen vom Flughafen abholen. Beim nächsten Besuch, sagen die deutschen Journalistinnen zu ihr, „rufen wir dich an und beauftragen dich“.

3. Yamkala, 24, Security Guard

Die junge Frau stammt aus Butwal, einer Stadt am Fuße des Himalaya an der indischen Grenze. Eigens für den Job ist sie nach Pokhara gezogen. „Ich habe zwei Mütter“, sagt sie, „mein Vater hat zwei Mal geheiratet“. Dazu einen Bruder und zwei verheiratete Schwestern. „Meine Familie ist sehr arm, ich finanziere sie mit meinem Gehalt eigentlich alle“.

Auch interessant:„Warum Frauen mit ihrem Geld schlechter vorsorgen“

Auch der Bruder brauche Geld, „er will irgendwann als Arbeiter nach Dubai“. Seit ihrer Ausbildung bewacht sie nun eine Art Fotostudio, einen ziemlich leeren Raum im ersten Stock eines Gebäudes auf der Hauptstraße der Stadt. Hochzeitsfotos werden hier gemacht, Familienbilder. Hinter der Rezeption, wo sie Tag für Tag sitzt, stehen nur zwei Ledersessel im leeren Raum, dazu eine Leinwand, Lampen, ein Schirm. Oft ist sie ganz allein. Wenn es ein Problem gebe, könne sie Hilfe rufen.

Mag Uniformen: Yamala, Security Guard aus Pokhara.
Mag Uniformen: Yamala, Security Guard aus Pokhara. © Plan International/Annika Büssemeier

Warum ausgerechnet Sicherheitsdienst? „Ich mag es, aufzupassen. Das habe ich bei der letzten Wahl gemacht. Da wurden 90.000 Hilfspolizisten beschäftigt, und ich war dabei.

Vor ihrer Ausbildung hatte sie nur Gelegenheitsjobs, „ich habe zum Beispiel Rundfunkgebühren eingetrieben, ging von Haus zu Haus.“

Mehr zum Thema: Frauentag – die Genderlücke in Zahlen

Aber der Verdienst – 50 Dollar im Monat – reichte nicht für die Miete des Zimmers und die Unterstützung der Familie. Jetzt bekomme sie 100 Dollar und Essen und Trinken. „Eigentlich wollte ich Polizistin werden. Aber dieser Job ist auch ziemlich gut“.

Sunita, 25, Elektrikerin

Wehrt sich gegen Vorurteile: Sunita, Elektrikerin.
Wehrt sich gegen Vorurteile: Sunita, Elektrikerin. © Plan International/Annika Büssemeier

Sie habe ja gewusst, dass es schwer wird, in dem Männerberuf als Frau zu bestehen. „Aber mein Mann hat mir Mut gemacht“, sagt Sunita. „Du kannst das machen, warum denn nicht“, habe er gesagt. „Und ich fühlte mich gleich besser“. Der Alltag im Job – das sei nicht immer leicht. „Wie kommt du denn auf die Leiter? Wie kannst du arbeiten? Weißt du eigentlich, was du tust“?

Im Trainingsprogramm sei sie aber auf diese Situationen vorbereitet worden. „Und dann waren die Kunden sprachlos, weil ich das konnte“. Besonders schwierig ist für Sunita die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie hat ein achtähriges behindertes Kind, „ich brauche dafür Zeit“. Aber mittlerweile arbeitet sie Teilzeit, „und das klappt. Darüber bin ich sehr froh“.

Sanchita, 22, Bergführerin

Schwarze Jeans, Hoodie, Sneaker: Sanchita hat sich schon eine gewisse Coolness angewöhnt, die bei nepalesischen Frauen wohl kein Alltag ist. Ihre Haarmähne hat sie nur notdürftig mit locker gesteckten Strähnen gebändigt.

Beim Projekt hat sie Selbstvertrauen gelernt – und Fitness. Jetzt kann sie eine Gruppe Touristen sieben Tage lang von Hütte zu Hütte führen. „Die erste Wanderung war furchtbar“, erinnert sie sich. Die Sohle habe sich von den Schuhen gelöst, „meine Gäste mussten mir Schuhe leihen, sonst hätte ich nicht weiterlaufen können“.

Steigt mit Gästen auf die Berge: Sherpa Sanchita.
Steigt mit Gästen auf die Berge: Sherpa Sanchita. © Plan International/Annika Büssemeier

Und dann musste die Gruppe durchs Wasser laufen. „Wir hatten alle Blutegel an den Füßen. Und wir alle haben uns geekelt. Aber ich musste stark sein, mir selbst die Egel abziehen und auch die von den Gästen.“

Corona hat erst mal all ihre Ambitionen lahm gelegt. Über zwei Jahre habe es keine Bergtouren gegeben, Sanchita sattelte um auf Verkäuferin. Doch damit soll es so bald wie möglich wieder vorbei sein. Der Tourismus ziehe ja wieder an, es sei nur noch eine Frage der Zeit, „dann kommt das richtige Angebot.“

Auch interessant: Internationaler Frauentag - was an diesem Tag gefeiert wird