Berlin. Aus Neukölln in die erste Reihe der Politik: Franziska Giffey galt lange als große Hoffnung der SPD. Wie geht es nun für sie weiter?

Die Augen von Franziska Giffey springen unruhig hin und her. Neben ihr steht die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und dankt Giffey für den engagierten Wahlkampf. Der Auftritt in der Parteizentrale ist am Montag nach dem Wahlabend ein Pflichttermin. Der Berliner Spitzenkandidatin ist anzusehen, dass sie sich diesen Moment ganz anders vorgestellt hat. Vor wenigen Tagen hatte sich Giffey noch selbstbewusst als „Landesmutter“ der Hauptstadt beschrieben. Jetzt redet die Regierende Bürgermeisterin von „Demut“, einem „deutlichen Auftrag“ der Berliner für politische Veränderungen und spricht auch vage von „personellen Änderungen“.

Nach oben ist der Abstand von Giffeys SPD zur siegreichen CDU bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus groß. Nach unten liegt ihre Partei nur hauchdünn vor den drittplatzierten Grünen. 105 Stimmen trennen die SPD vom Koalitionspartner. Für Giffey ist das eine bittere Enttäuschung, die auch ihre politische Zukunft infrage stellt. Die 44-jährige Sozialdemokratin war lange eine große Hoffnungsträgerin ihrer Partei, nun steht sie an einem Scheidepunkt ihrer politischen Karriere.

Franziska Giffey mit SPD-Chefin Saskia Esken am Tag nach der Wahl in Berlin.
Franziska Giffey mit SPD-Chefin Saskia Esken am Tag nach der Wahl in Berlin. © AFP | JOHN MACDOUGALL

Berlin nach der Wahl: Koalition unter Führung der CDU oder weiter wie bisher?

Die Berliner Genossen müssen nun ihre Optionen klären: Wollen sie die bisherige Koalition mit Grünen und der Linken gegen den Wahlsieger fortsetzen? Oder in eine große Koalition als Juniorpartner der CDU gehen? Giffey schließt beides nicht aus, will eine „bedeutende Rolle“ für die SPD. Über die Koalitionsoptionen gebe es nun Gespräche, sagt Esken und betont, „die Franziska Giffey an der Spitze der SPD führen wird.“ Von der Bundesspitze bekommt Giffey also demonstrative Rückendeckung. In ihrem traditionell linken Landesverband ist nach der Wahlpleite jedoch von einer „Zäsur“ die Rede.

Giffeys Karriereweg in der Politik begann steil und nahm ihren Anfang im Berliner Problemkiez Neukölln. Dort trat die 1978 in Frankfurt an der Oder geborene Tochter einer Buchhalterin und eines Kfz-Mechanikers als 29-Jährige in die SPD ein, wurde Bezirksstadträtin für Bildung und Schule, bevor sie 2015 ihren politischen Ziehvater Heinz Buschkowsky als Bezirksbürgermeister beerbte. Giffey ging beherzt gegen Sperrmüll auf den Straßen vor, forderte ein hartes Durchgreifen gegen kriminelle Clans. Und erregte so Aufmerksamkeit über die Landespolitik hinaus.

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Giffey war sogar als SPD-Chefin im Gespräch

Als die SPD nach der Bundestagswahl 2017 ihre Kabinettsmannschaft aufstellte, war Giffey als Überraschung dabei. Die Mutter eines Sohnes übernahm das Bundesfamilienministerium und arbeitete zielstrebig den Koalitionsvertrag ab, erwarb sich parteiübergreifend Anerkennung. Auch der Respekt von Kanzlerin Merkel war ihr sicher. Für Franziska Giffey schien Großes möglich, in der SPD, in der Politik. Als die SPD 2019 auf der Suche nach einer neuen Parteispitze war, blickten viele Sozialdemokraten erwartungsvoll auf Giffey.

Im SPD-Parteivorstand erhält Giffey Rückendeckung auch von Kanzler Olaf Scholz und Parteichef Lars Klingbeil.
Im SPD-Parteivorstand erhält Giffey Rückendeckung auch von Kanzler Olaf Scholz und Parteichef Lars Klingbeil. © Getty Images | Pool Pool

Giffey trat volksnah auf, ihr Stil wirkte frisch und unverbraucht. Zugleich konnte sie zäh und durchsetzungsstark sein. Vor wenigen Tagen wurde Giffey in einem Interview gefragt, wo sie gelernt habe, auch einmal „giftig“ gegenüber der Konkurrenz aufzutreten. „Auf der Straße. In Neukölln. Im Bund“, antwortete sie. „Alles Schule des Lebens.“ Die Chancen der als menschennah und anpackend geltenden Ostdeutschen auf den Parteivorsitz wären 2019 auch wegen solcher Sätze wohl gut gewesen. Als SPD-Chefin wäre sie zudem eine ernstzunehmende Kandidatin für die Kanzlerkandidatur gewesen.

Giffeys Doktorarbeit überschattete die Karriereplanung

Doch Giffey verzichtete auf eine Bewerbung für den Parteivorsitz, weil Plagiatsvorwürfe in Bezug auf ihre Doktorarbeit ihre Karriereplanung immer stärker überschatteten. Giffey kündigte damals ihren Rücktritt als Bundesministerin an, falls die Freie Universität Berlin ihr den Doktortitel aberkennen sollte. Die Führung des Berliner SPD-Landesverbandes übernahm Giffey trotz der Plagiatsvorwürfe dennoch und bereitete so ihren Anlauf auf das Rote Rathaus vor. „Für mich ist Berlin eine der tollsten Städte der Welt“, sagte Giffey damals. „Das wird gut! Ich sag’s Ihnen!“

Franziska Giffey am Abend der Berlin-Wahl.
Franziska Giffey am Abend der Berlin-Wahl. © dpa | Christophe Gateau

Die Debatte um zahlreiche abgeschriebene Stellen in ihrer Abschlussarbeit belastete die Sozialdemokratin jedoch zunehmend. Kurz bevor die Hochschule Giffey schließlich nach einer zweiten Überprüfung der Arbeit den Doktortitel entzog, trat sie von sich aus wenige Monate vor der Bundestagswahl 2021 als Familienministerin zurück. Von wichtigen Sozialdemokraten wie Parteichefin Esken und dem damaligen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz wurde Giffey zum Abschied mit Lob überschüttet. „Die Klarheit, die Franziska Giffey hier an den Tag gelegt hat, ist wirklich bemerkenswert“, sagte Scholz.

Giffey: „Ich spüre persönlich Verantwortung für unsere Stadt“

Schließlich sollte Giffey für die Genossen den Wahlsieg an der Spree holen. Die Taktik ging auf. Giffey gewann im September 2021, allerdings in einer Chaoswahl. Die Folgen sind bekannt und führen zurück zu diesem Montag im Willy-Brandt-Haus. Im Verlauf der Pressekonferenz findet Giffey zu ihrem Selbstbewusstsein zurück: Sie kritisiert das „ganze Schlechtgerede“ ihrer kurzen Amtszeit als Regierende Bürgermeisterin. „Wir haben ganz viel Positives erreicht für unsere Stadt.“

Fragen nach ihrer persönlichen Zukunft weicht Giffey aus, verweist auf Gespräche mit ihrem Landesverband und die offene Koalitionsfrage. Nach mehrmaliger Nachfrage lässt Giffey schließlich erkennen, dass sie sich wohl noch nicht geschlagen geben will: „Ich spüre persönlich Verantwortung für unsere Stadt.“