Brüssel. Die EU hat sich bei einem Sondergipfel auf eine Verschärfung der Asylpolitik verständigt. Der Druck auf Drittstaaten steigt.

Eine massiv steigende Zahl von Asylbewerbern in Europa alarmiert die Europäische Union. Jetzt wollen die EU-Staaten illegale Einreisen von Migranten durch besseren Außengrenzschutz erschweren – und zugleich Druck auf die Herkunftsländer machen, abgelehnte Asylbewerber zurückzunehmen. Auf diese Kursänderung in der Asylpolitik verständigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs in der Nacht zu Freitag bei einem Sondergipfel in Brüssel.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: „Wir werden handeln, um unsere Außengrenzen zu stärken und irreguläre Migration zu verhindern“. Migration sei eine europäische Herausforderung, „die eine europäische Antwort braucht“,

Dass der umstrittene Bau von Grenzzäunen vor allem in Süd- und Osteuropa aus dem EU-Haushalt finanziert werden soll, wurde zwar nicht ausdrücklich beschlossen – unter anderem Deutschland hatte dies abgelehnt. Doch einigte sich der Gipfel in einer Abschlusserklärung auf die Kompromissformel, dass EU-Mittel für „Infrastruktur“ an den Grenzen eingesetzt werden sollten.

EU gegen illegale Migration: Diese Maßnahmen sollen kommen

Als erstes werden zwei Pilotprojekte an den Außengrenzen auch mit EU-Geldern bezahlt: So soll die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei mit Wachtürmen, Straßen und Kameras gesichert werden – finanziert aus dem EU-Etat, von Mitgliedstaaten und von Bulgarien selbst. Ein weiteres Pilotprojekt soll die Registrierung von Migranten, die Asylverfahren und die Rückführung abgelehnter Asylverfahren beschleunigen.

In der Praxis zunächst bedeutender dürfte eine andere Maßnahme sein, die der Gipfel absegnete: Um eine umfassende und wirksame Rückkehrpolitik durchzusetzen, will die Europäische Union den Druck auf die Herkunftsländer erhöhen. Wenn ihre Bürger kein Bleiberecht in Europa bekommen und abgeschoben werden sollen, müssen die Heimatländer bei der Rückführung besser mit den EU-Staaten zusammenarbeiten – andernfalls drohen Nachteile bei der Visaerteilung für legale Einreisen oder bei der Entwicklungshilfe.

Migranten in der spanischen Exklave Melilla in Nordafrika.
Migranten in der spanischen Exklave Melilla in Nordafrika. © Javier Bernardo/AP/dpa

Grund ist die rückläufige Zahl an Abschiebungen in der EU, auch in Deutschland: Jedes Jahr werden nach Angaben der EU-Kommission rund 340.000 Rückführungen beschlossen, aber nur ein immer kleinerer Teil wird tatsächlich in ihre Herkunftsländer zurückgebracht. Der Anteil ausreisepflichtiger Menschen, die die EU auch tatsächlich verlassen haben, sank von 29 Prozent im Jahr 2021 auf 21 Prozent 2021, wobei auch die Corona-Pandemie eine Rolle gespielt haben dürfte.

Illegale Migration: Eigentlich sollen viel mehr Migranten abgeschoben werden

Dabei hatte die EU-Kommission eine Quote von rund 70 Prozent als Ziel angegeben. Auch in Deutschland gehen die Abschiebungen zurück: Voriges Jahr wurden 12.945 Ausländer abgeschoben, 2019 waren es noch fast doppelt so viele. Der Europäische Rechnungshof hat in einer Untersuchung beklagt, das bestehende System sei in hohem Maße ineffizient und leiste der illegalen Migration sogar noch Vorschub, statt abzuschrecken.

„Wir haben eine sehr niedrige Rückführungsquote, könnten aber erhebliche Fortschritte machen“, mahnte zuletzt auch EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Der Druck wächst, weil die Asylsysteme vieler EU-Länder an ihre Grenzen kommen – die Zahl der Asylanträge stieg voriges Jahr um fast 50 Prozent auf 924.000; zudem muss die EU auch noch über vier Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine versorgen, die in der Union auch ohne Asylantrag Aufenthaltsrecht haben.

Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, bei einer Pressekonferenz während des EU-Gipfels.
Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, bei einer Pressekonferenz während des EU-Gipfels. © dpa | Olivier Matthys

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich allerdings im Vorfeld des Gipfels dagegen ausgesprochen, die EU-Visapolitik offensiv als Druckmittel zu verwenden. Stattdessen sollten bilaterale Abkommen Erleichterungen bei der legalen Migration mit der Kooperation bei der Rücknahme von abgelehnten Asylbewerbern verbinden. Auf eine entsprechende Vereinbarung Deutschlands mit Indien hatte auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) verwiesen und angekündigt, weitere Abkommen würden folgen. In der Abschlusserklärung des EU-Gipfels ist in diesem Sinn ein Passus enthalten, dass auch Möglichkeiten für legale Migration geschaffen werden sollten.

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    EU macht Druck auf Herkunftsländer

    Dabei ist in der EU die Idee, über Visaerschwernisse Druck auf die Heimatländer von Migranten auszuüben, gar nicht neu: Schon 2018 hatte die EU den Visakodex aktualisiert und einen Mechanismus eingeführt, der es ermöglicht, die Bearbeitung von Visumanträgen als Hebel einzusetzen, wenn es um die Zusammenarbeit mit Drittstaaten bei der Rückübernahme geht.

    Doch hatte Brüssel vergeblich gehofft, schon die Androhung solcher Maßnahmen würde die Kooperationsbereitschaft der Herkunftsländer erhöhen. Deshalb hatte die EU-Kommission bislang nur für vier Länder vorgeschlagen, den Visa-Hebel anzuwenden: Bangladesch, Irak, Gambia und Senegal. Die EU-Staaten haben den Vorschlag aber bisher allein für Gambia angenommen, und auch das erst Ende 2022. Die Visumgebühr für gambische Staatsangehörige wurden auf 120 Euro erhöht, weil das Land vor allem bei der Identifizierung und Rückführung von seinen Bürgern nicht kooperativ genug sei.