Berlin. Deutschland debattiert über Fachkräftemangel. Lösungen bleiben zögerlich. Und sind zu sehr auf Schule und Einwanderung fokussiert.

Die Zahlen sind dramatisch, die Lösungen jedoch oft dramatisch unkreativ. Zwei von drei Unternehmen mit mehr als elf Mitarbeitenden geben an, dass ihnen Fachkräfte fehlen. Vor allem in Pflege, sozialer Arbeit, aber auch Informatik, genauso wie der Logistikbranche. Eher werden Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung gesucht als Studierte. Weil Fachkräfte fehlen, verliert Deutschland 84 Milliarden Euro. Pro Jahr.

Man müsste meinen, der exorbitante Schaden für dieses Land führt zu einer Revolution am Arbeitsmarkt. Doch die Lösungen für den Fachkräftemangel sind zögerlich und unambitioniert. In der Politik, bei der Wirtschaft, aber auch bei vielen Arbeitnehmenden selbst.

Fachkräftemangel: Das Deutsch-Niveau sollte stärker als Kriterium im Fokus stehen

Zur Politik: Ende vergangenen Jahres werkelte die Ampel-Koalition mal wieder an ein paar Stellschrauben und stellte ihre „Eckpunkte zur Fachkräfteeinwanderung“ vor. Hier eine Fristverkürzung, dort eine Erleichterung im Aufenthaltsrecht. Bei der Zuwanderung aber wäre vor allem eines geboten: maximale Offenheit für alle, die hier arbeiten wollen.

Dabei darf der Berufsabschluss nicht entscheidend sein, nicht das Alter oder die Herkunft. Nur eines muss zählen: das Deutsch-Niveau. Hier ist Kompromisslosigkeit gefordert, muss Kenntnis zur Pflicht werden. Ein Beruf lässt sich immer erlernen, eine Qualifikation immer schulen. Aber an allem Anfang steht die Sprache.

Politik muss den Blick auf die Erwachsenenbildung richten

Die Politik aber verzettelt sich bei der Zuwanderung in einer Debatte über Staatsbürgerrecht und Aufenthaltsgesetzen. Dabei muss der Blick bei der Einwanderung ganz woanders hingehen: auf die Erwachsenenbildung. Geflüchtete und Zuwanderer sind selten im Schulalter. Sie sind 25 oder älter. Losgelöst von Kitas und Schulen muss der Staat eine Sprachoffensive starten.

Christian Unger, Politik-Korrespondent
Christian Unger, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Ohnehin: Erwachsenenbildung ist Deutschlands vertrocknete Pflanze im Wald der Wohlstandsmöglichkeiten. Das Angebot ist zu gering, die Bezahlung von Lehrenden in Weiterbildungszentren sowieso, deren Verträge oft prekär – es ist eine Art pädagogische Wanderarbeit entstanden, ganz im Kontrast zur privilegierten Lehrerschaft an Schulen. Das Feld der Erwachsenenbildung ist eine Blackbox deutscher Arbeitsmarktpolitik. Millionen Potenziale bleiben unausgeschöpft.

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Auch die Unternehmen stehen in der Pflicht

Zu den Unternehmen: Einiges hat sich bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf getan. Doch Firmen setzen im Ringen um Arbeitskräfte zu stark auf interne Lösungen. Weniger als ein Fünftel der Betriebe rekrutiert Fachkräfte im Ausland. Und: Drei Viertel der Firmen bieten Weiterbildung an. Allerdings, die Angebote stagnieren seit Jahren, werden nicht mehr.

Es entsteht in deutschen Firmen keine Kultur des lebenslangen Lernens. Fortbildung wird nicht als Instrument im Kampf gegen den Fachkräftemangel gesehen – sondern eher als Gimmick zur Mitarbeiterzufriedenheit. Das ist nett, reicht aber nicht.

Bei den Beschäftigten fehlt oft die Flexibilität

Unternehmen dürfen Fortbildung nicht als Wochenend-Seminar verstehen, sondern als Investition, die bei einzelnen Mitarbeitenden Monate dauern kann. Aber dann hat sie einen Wissenseffekt, der sich auszahlt. Dann können neue Fähigkeiten wirklich erlernt werden.

Zu den Arbeitnehmern: Zu jedem Angebot braucht es eine Nachfrage. Im europäischen Durchschnitt bilden sich ältere Menschen in Deutschland weniger oft weiter. Zu oft fehlt Flexibilität und Mut nicht nur in der Chefetage. Der technische Wandel, aber auch komplexe Berufsanforderungen bis hin zu spezialisierten Dokumentationspflichten im Job fordern jeden einzelnen. Bildung endet nicht mit Ende 20.

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