Berlin. Republikaner machen Front gegen ihren Spitzenmann Kevin McCarthy: Die Lust an der Zerstörung ist stärker als der Wille zu regieren.

Man kann nur hoffen, dass US-Präsident Joe Biden und seine Vize Kamala Harris bei guter Gesundheit bleiben. Sollten sie aus irgendwelchen Gründen aus dem Amt scheiden, wäre der Sprecher oder die Sprecherin des Repräsentantenhauses an der Reihe. So regelt es der Presidential Succession Act von 1947. Dann säße ein Republikaner oder eine Republikanerin im Weißen Haus.

Es wäre ein Albtraum. Die Republikaner, die im Repräsentantenhaus über eine Mehrheit von neun Sitzen verfügen, haben ihren eigenen Mann für die Leitung der Parlamentskammer gedemütigt. Kevin McCarthy gelang es am Dienstagabend auch nach drei Wahlgängen nicht, seine Leute hinter sich zu scharen. Der Kongress glich einem Tollhaus, ein absolutes Debakel. So etwas gab es in den USA seit 100 Jahren nicht mehr.

USA: Ultrakonservative Abweichler eint der Hass auf das politische Establishment

19 Heckenschützen, Desperados und Systemsprenger aus der eigenen Partei machten Front gegen McCarthy. Eine Minderheit nahm die Mehrheit der Fraktion als Geisel. Dabei ging es nur vordergründig darum, dass der 57-Jährige ein gnadenloser Opportunist und zu wenig konservativ sei. Der Vorwurf des Wankelmuts trifft auf McCarthy sicherlich zu. So hatte er die Brandstifter-Rolle des scheidenden Präsidenten Donald Trump beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 zunächst gerügt, kehrte dann aber reumütig zum großen Zuchtmeister zurück.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent © Reto Klar | Reto Klar

Doch das ist zweitrangig. Das Erschreckende ist, dass die ultrakonservativen Abweichler weder ein politisches Programm noch eine Vision von Amerika aufweisen können. Sie eint der Hass auf das politische Establishment. „Wir müssen den Sumpf in Washington trockenlegen“, lautet ihr Motto. Moderatere Republikaner nannten die Rechtsextremen intern verächtlich „Taliban 19“.

Politik besteht für diese Gruppierung mehr aus Kulturkampf und Stammesfehden

Die Sprache der Feindschaft und die Lust an der Zerstörung unterstreichen: Trumps langer Schatten reicht weit in die einst stolze „Grand Old Party“ hinein. Die Erleichterung, dass den Republikanern bei den Zwischenwahlen zum Kongress im November der große Triumph verwehrt blieb, erwies sich als trügerisch. Ja, etliche von Trump favorisierten Kandidaten wurden abgestraft. Doch der Radikalismus des einstigen Polit-Zampanos zieht weiter Kreise bis tief in die Partei hinein.

Dabei sind die 19 Rebellen nur die extremen Auswüchse des Trumpismus. An konstruktiver Zusammenarbeit haben sie kein Interesse. Das US-Regierungssystem der „checks and balances“, das eine Teilung der Macht zwischen Präsident, Kongress und Oberstem Verfassungsgericht vorsieht, lehnen sie frontal ab. Die Bereitschaft, sich über Vereinbarungen, Gesetze, Wahlen (Trump!) hinwegzusetzen, ist hoch. Politik besteht für diese Gruppierung mehr aus Kulturkampf und Stammesfehden.

Die Lust an der Dauer-Kampagne hat den Willen zum Regieren abgelöst

Zwischen der Republikanischen Partei von heute und der unter den Präsidenten George H.W. Bush, Ronald Reagan oder Abraham Lincoln liegen Lichtjahre. Traditionelle programmatische Markenzeichen wie Freihandel oder schlanker Staat sind verschwunden. Stattdessen wird zur ideologischen Schlacht gegen „Linke“ und „Kommunisten“ aufgerufen.

Die Republikaner haben sich zu einem Machterringungs- beziehungsweise Machterhaltungsverband entwickelt. Die Lust an der Dauer-Kampagne hat den Willen zum Regieren abgelöst. Wer auch immer an der Spitze des Repräsentantenhauses steht: Er oder sie ist von einer radikalen Minderheit in der Fraktion abhängig, die nur blockieren will. Eine Emanzipation der Republikaner von Trump und eine Rückbesinnung auf alte Stärken sind weit und breit nicht in Sicht. Für Präsident Biden wird das Regieren noch schwieriger.