Berlin. Der Virologe hält die Pandemie für beendet. Politiker fordern, dass die letzten Maßnahmen fallen. Doch nicht alle halten das für klug.

Es sind zwei Meldungen, die gegensätzlicher kaum sein können. Hier erklärt Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité das Ende der Pandemie. Dort, weit weg in China, steigen die Infektionszahlen rasant an, rechnen Fachleute mit bis zu einer Million Corona-Toten in den kommenden Monaten. Zwei Seiten einer Corona-Welt, die nun bald in das vierte Jahr mit dem Virus geht.

„Wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-Cov-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei“, sagte Drosten dem „Tagesspiegel“. Seit dieser Äußerung erlebt Deutschland die nächste Debatte über die Lockerung von Corona-Maßnahmen, von denen allerdings auch nur noch wenige überhaupt bundesweit gelten, etwa das Tragen von Maske in überregionalen Zügen.

Wie ist die Infektionslage in Deutschland?

Aktuell ist die Lage in den deutschen Kliniken und Arztpraxen dramatisch. Allerdings nicht nur aufgrund des Corona-Virus, sondern vor allem von einer rasant gestiegenen Zahl an Menschen mit Atemwegserkrankungen insgesamt: Influenza, RS-Virus, vor allem Kinder sind betroffen. Und Klinikpersonal fällt selbst krank aus. Corona ist mittlerweile eine Belastung unter vielen im deutschen Gesundheitssystem.

Die Verläufe der Covid-Infektion sind in der Regel milder, weniger Menschen müssen auf die Intensivstation, viele waren schon infiziert oder sind geimpft, haben Immunität aufgebaut. In den vergangenen Wochen waren die Fallzahlen wieder leicht angestiegen, jedoch auf niedrigem Niveau im Vergleich zu den heftigen Wellen im Frühjahr, Sommer und im Oktober. Die aufgrund geringerer Testungen begrenzt aussagekräftige Sieben-Tage-Inzidenz liegt bei rund 190.

In einer arrangierten Situation steigt eine Frau, die eine FFP2-Maske trägt, in eine Trambahn ein. Viele Bundesländer haben jedoch die Maskenpflicht abgeschafft.
In einer arrangierten Situation steigt eine Frau, die eine FFP2-Maske trägt, in eine Trambahn ein. Viele Bundesländer haben jedoch die Maskenpflicht abgeschafft. © dpa | Tobias Hase

Wie ist die Situation weltweit?

Vor allem China gerät in den Fokus. Dort rasen die Infektionszahlen in die Höhe. Wie hoch, weiß niemand genau, denn das autoritäre Regime in Peking teilt das nicht mit. Seit Sonntag veröffentlicht China keine täglichen Corona-Daten mehr – vor allem auch um das Ausmaß der Infektionslage vor den Menschen in dem Land zu verheimlichen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt sich „sehr besorgt“.

Peking ist seit einigen Wochen von der rigiden Null-Covid-Politik abgerückt. Schätzungen könnten in China in den kommenden Monaten etwa eine Million Menschen an den Folgen einer Corona-Infektion sterben. Die Rate der Impfungen ist gering, nach Ansicht von Fachleuten auch deshalb, weil die Menschen aufgrund der harschen Isolationspflicht gar nicht den Sinn einer Impfung gesehen haben. Zudem gelten die chinesischen Impfstoffe als weniger effektiv beim Schutz vor Corona.

Das Nachbarland Japan reagiert bereits auf die dramatische Situation, verlangt bei der Einreise aus China einen negativen Coronatest. Falle der Test positiv aus, werde eine siebentägige Isolation in einer dafür vorgesehenen Einrichtung nötig. Tokio begrenzt zudem die Zahl der Flüge aus China.

Was sagen Drosten und andere?

Virologe Drosten begründet das Ende der Pandemie und den Übergang von Corona in den endemischen Zustand vor allem mit der nach diesem Winter „belastbaren Bevölkerungsimmunität“. Sie sei durch Impfungen und Infektionen mittlerweile so hoch, dass „im Sommer kaum noch Virus durchkommen kann“, sagte Drosten. „Es sei denn, es gibt eine böse Überraschung, einen weiteren Mutationssprung. Aber auch das erwarte ich im Moment nicht mehr.“

Für Fachleute gibt es jedoch keine Corona-Entwarnung. Der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, sagte unserer Redaktion. „Wir können uns Erleichterungen leisten. Dabei sollten wir aber nicht alle Vorsicht fahren lassen.“ Es gehöre zu guter Prävention, weiterhin sich und andere zu schützen. Das Corona-Virus werde nie mehr verschwinden, betonte Montgomery. Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, sieht es genauso: „Die noch bestehenden Corona-Beschränkungen wie beispielsweise Maskenpflicht im öffentlichen Nah- und Fernverkehr schränken die wirtschaftliche Aktivität nicht ein, reduzieren aber die Zahl von Infektionen, nicht nur von Corona-Infektionen, sondern insbesondere auch von Atemwegserkrankungen“, sagte die Ökonomin unserer Redaktion. Der Krankenstand ist aktuell schon überdurchschnittlich hoch. Eine Aufhebung dieser Beschränkungen könnte den Krankenstand weiter erhöhen, so Schnitzer.

Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hält das Tragen von Masken in Bussen und Bahnen für sinnvoll – auch aus Sicht der Wirtschaft.
Wirtschaftsweise Monika Schnitzer hält das Tragen von Masken in Bussen und Bahnen für sinnvoll – auch aus Sicht der Wirtschaft. © dpa | Michael Kappeler

Welche Regeln gelten in Deutschland?

Vor einem Jahr gab es noch 2G-Regeln und Kontaktbeschränkungen beim Einkaufen, bei Treffen mit Freunden oder Veranstaltungen. Viele der einst strikten Corona-Regeln sind längst gelockert. Vor allem die Maskenpflicht in Kliniken und Praxen, aber auch in den Fernzügen und Bussen gilt bundesweit noch. Im Flugzeug wurde sie schon abgeschafft. Eigentlich sollen sich Infizierte noch für fünf Tage isolieren, doch mehrere Bundesländer wie etwa Schleswig-Holstein und Bayern haben das aufgehoben.

Auch testen muss sich in der Regel niemand mehr, höchstens freiwillig. Strenger handhaben es die Bundesländer hier nur bei Besuchen etwa in Krankenhäusern und Altenheimen. Generell gilt: Die Länder lockern schneller, als es der Bund vorsieht. Es ist wieder einmal deutschlandweit ein Flickenteppich an Regeln entstanden.

Einige Länder bleiben bei einem vorsichtigen Kurs: Thüringen hat seine Corona-Regeln schon bis Februar verlängert, einschließlich Isolationspflicht und Maskenpflicht im Nahverkehr. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sieht ebenfalls keinen Spielraum für weitere Lockerungen. Auch Rheinland-Pfalz hält an der Maskenpflicht fest.

Warnt vor vorschnellen Lockerungen: Saskia Esken, SPD-Vorsitzende.
Warnt vor vorschnellen Lockerungen: Saskia Esken, SPD-Vorsitzende. © dpa | Wolfgang Kumm

Was fordert die Politik?

Mehrere ranghohe Politiker sprechen sich gegen vorschnelle Aufhebung der Corona-Maßnahmen aus. „Wenn wir über den Winter weiterhin rücksichtsvoll miteinander umgehen, werden wir die Corona-Pandemie bald überwunden haben“, sagte SPD-Chefin Saskia Esken unserer Redaktion. „Aktuell sind die Infektionszahlen noch erheblich, das ist vor allem angesichts des Fach- und Arbeitskräftemangels ein Problem.“ Vor Weihnachten sei der Betrieb von Schulen und Kitas wegen der vielen Krankheitsfälle stark eingeschränkt gewesen. Esken erinnerte daran, dass die gesundheitlichen Folgen einer Corona-Infektion für viele immer noch erheblich seien.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lehnt ebenfalls ein sofortiges Ende aller Corona-Schutzmaßnahmen ab. Lauterbach bekam nun Post von Justizminister Marco Buschmann. Darin habe der FDP-Politiker vorgeschlagen, die bundesweiten Schutzmaßnahmen außer Kraft zu setzen.

Auch die Landkreise dringen auf eine weitere Lockerung. „Wir freuen uns, dass wir nach knapp drei anstrengenden Jahren auch von führenden Virologen die Bestätigung erhalten, dass die Corona-Pandemie durchgestanden ist“, sagte der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, unserer Redaktion. „Deshalb können jetzt weitere zielgerichtete Entscheidungen zur Aufhebung von Einschränkungen vorgenommen werden.“ Als Beispiel nannte er die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr.