Washington. Unabhängig vom genauen Ausgang der „Midterms“-Wahlen: Diese riesigen Herausforderungen kommen auf Republikaner und Demokraten zu.

In den USA sind „Midterms“-Wahlen. Bis dessen Ergebnis feststeht, wird es noch etwas dauern. Aber ungeachtet des Ausgangs geht die Arbeit weiter. Die Supermacht hat mit großen unerledigten Baustellen zu kämpfen, die sowohl auf die Demokraten als auch auf die Republikaner zukommen. Hier sind die wichtigsten:

Wirtschaft und Inflation: Der Staat kann kaum helfen

Die Teuerungsrate rangiert trotz sechsfacher Intervention der Notenbank Federal Reserve, die Herrscherin über den Leitzins ist, auf sehr hohem Niveau. Das von den Demokraten unter Präsident Joe Biden verabschiedete „Inflationsbekämpfungsgesetz“ verschafft kurzfristig kaum Linderung. Bis weit in die Mittelschicht müssen sich Familien heute nach der Decke strecken.

Der US-Präsident Joe Biden macht mit Unterstützern Selfies auf einer Wahlveranstaltung an der Bowie State University in Maryland.
Der US-Präsident Joe Biden macht mit Unterstützern Selfies auf einer Wahlveranstaltung an der Bowie State University in Maryland. © AFP | MANDEL NGAN

Um Hypotheken, Schulgebühren, Arztkosten, Spritpreise und den Aufwand für das tägliche Leben in Einklang mit Löhnen und Gehältern zu bringen, geraten Hunderttausende an den Rand der Verzweiflung. Die Republikaner wollen Steuersenkungen durchdrücken und die Ausgaben-Pakete der Biden-Regierung stutzen. Ökonomen prophezeien den USA 2023 eine Rezession. Eine breite Entlastung der Haushalte scheint notwendig.

Midterms USA- Aktuelle Umfragen deuten knappes Rennen an

US-Wahl: Das Thema Einwanderung nutzen die Republikaner

Mit offiziell 2,3 Millionen Menschen haben die USA im Zeitraum Herbst 2021/Herbst 2022 so viele Übertritte an der Grenze zu Mexiko gehabt wie noch nie, sagt der staatliche Grenzschutz. Ex-Präsident Donald Trump spricht ohne Belege sogar von zehn Millionen. Obwohl über eine Million Armutsflüchtlinge unmittelbar wieder nach Mexiko zurückgeschickt wurden, ist die Zahl derer, die ins Land kommen, weiter extrem hoch.

Dass andere Gesetze es den schutzsuchenden Menschen gestatten, bis zur gerichtlichen Anerkennung/Ablehnung ihres Asylgesuchs im Land zu bleiben und nach Arbeit zu suchen, ist den Republikanern ein Dorn im Auge. Sie propagieren Abschottung und mehr Grenzbefestigungen.

Donald Trump, ehemaliger Präsident der USA, tanzt nach seiner Rede bei einer Wahlkampfveranstaltung zur Unterstützung der Kampagne des republikanischen Ohio-Senatskandidaten Vance in Vandalia.
Donald Trump, ehemaliger Präsident der USA, tanzt nach seiner Rede bei einer Wahlkampfveranstaltung zur Unterstützung der Kampagne des republikanischen Ohio-Senatskandidaten Vance in Vandalia. © dpa | Michael Conroy

Die Demokraten verfolgen eine offenere Einwanderungspolitik, unterstützten die nachträgliche Legalisierung von Millionen Einwanderern, die ohne ordentliche Papiere teilweise seit zehn Jahren und mehr in den USA leben. Die Biden-Partei spüren zunehmend den Druck (auch durch eigene Abgeordnete in grenznahen Bundesstaaten), restriktiver mit dem Ansturm von Asylsuchenden umzugehen.

Kriminalität: Gewalt und laxe Waffengesetze

Laxe Waffengesetze, psychologische Kollateralschäden der Corona-Pandemie, gestiegene Gewaltbereitschaft, vereinzelt ausgedünnte Polizei-Reviere im Nachgang zu Gewaltexzessen wie bei George Floyd und der daraus gewachsenen Bewegung „Black Live Matter” – die möglichen Gründe für den teils erschreckenden Anstieg der Schusswaffen-Gewalt vor allem in vielen Metropolräumen sind vielfältig.

Beide Parteien traktieren sich mit unvereinbaren Ansätzen. Die Republikaner wollen die Polizeien massiv personell aufrüsten und fordern mehr Härte gegen Straftäter. Donald Trump etwa verlangt die Todesstrafe für Drogen-Dealer. Die Demokraten wollen die Verfügbarkeit von Waffen eindämmen und die Polizeien im Land zu mehr Augenmaß gerade im Einsatz gegen ethnische Minderheiten bringen. Mit jedem Todesfall – or allem, wenn er unbeteiligte Passanten oder Kinder trifft – steigt der Handlungsdruck. In Umfragen war Kriminalität (nach Inflation) vielerorts für die „midterms”-Wähler das bestimmende Thema.

Populismus und Polarisierung: Trump spaltet mit der Verunsicherung

Erbitterter Streit um die Verlässlichkeit von Wahl-Ergebnissen, verbunden mit permanenten Betrugsvorwürfen durch Republikaner, ist eine neue Konstante im nationalen Selbstgespräch. Wichtigster Stichwortgeber: Donald Trump. Dessen Behauptung, er sei 2020 massiv betrogen und um den sicheren Wahlsieg gebracht worden, ist von über 60 Gerichten rückhaltlos widerlegt worden.

Trotzdem hält Trump, und mit ihm das Gros der republikanischen Abgeordneten, an der toxischen Erzählung fest, die wie Mehltau über der amerikanischen Demokratie liegt. Millionen republikanischer Wähler schenken den Vorwürfen Glauben. Sie sprechen Präsident Biden die Legitimität ab.

Anhänger der Demokraten und Republikaner sind dadurch noch stärker als zuvor in unterschiedliche Lebenswirklichkeiten abgedriftet. Bei den Republikanern prägen Rechtsnationalisten und militante Verschwörungsideologen den Diskurs. Demokraten finden keinen Grund mehr, um nach Gemeinsamkeiten zu forschen. Beide Lager stehen sich wie feindliche Stämme gegenüber. Man hasst sich und hält die jeweils andere Seite für den Totengräber der Demokratie. Der Konsens der überparteilichen Zusammenarbeit, auf dem das amerikanische Regierungsmodell aufbaut, ist aufgekündigt. Wer stoppt die Spaltung?

Abtreibung: Gesetzlicher Flickenteppich sorgt für Zündstoff

Das emotionale Thema zerreißt die USA, seit der Oberste Gerichtshof im Sommer das bestehende landesweite Recht auf Abtreibung gekippt hatte. Etliche Bundesstaaten haben darauf de facto Abtreibungsverbote in ihren Landesgesetzen verewigt. In demokratisch regierten Bundesstaaten versteht man sich als Schutzhafen für Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch wollen.

Dieser Flickenteppich birgt Zündstoff. Mit ihrer von evangelikalen Fundamentalisten getriebenen Politik wollen die Republikaner – gegen den Geist des Supreme Court-Urteils – ein landesweites Verbot erreichen. Die Demokraten wollen dagegen das Recht auf Abtreibung durch eine Parlamentsentscheidung festschreiben. Dazu fehlten ihnen bereits vor den „Midterms” die nötigen Stimmen im Kongress. Der Streit um die Abtreibung ist verhärtet, aber er muss gelöst werden.

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.