Die frühere FDP-Politikerin Koch-Mehrin berichtet über Rückschläge in ihrem Leben und was es heißt, eine Frau in der Politik zu sein.

Die frühere FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin widerspricht Wolfgang Kubicki. Der Bundestagsvizepräsident hatte in mehreren Interviews über ein Treffen mit Koch-Mehrin berichtet, in dem er mit ihr über den Posten als FDP-Generalsekretärin gesprochen, aber auch zu flirten versucht habe. Kubicki nannte sich einen „Paria der Partei“; Koch-Mehrin dagegen „war eine der Führungsfiguren der FDP, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Ich war gar nicht in der Position, ihr irgendwas zu versprechen.“

In einem ausführlichen Gespräch mit dem Mutmach-Podcast der Funke Mediengruppe erklärt Koch-Mehrin, dass sie zum Zeitpunkt des Gesprächs vor gut 20 Jahren „noch gar keine Politikerin war, sondern Unternehmerin in Brüssel.“ Im Bundesvorstand der FDP bekleidete sie ein unbezahltes Ehrenamt. Vize-Präsidentin des EU-Parlaments wurde sie erst 2009.

Kubicki sah Treffen als Flirtversuch

Unklar ist, ob Kubicki das Gespräch auf eigene Faust oder im Auftrag des damaligen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle geführt hat. „Laut Geschäftsordnung“, so Koch-Mehrin, besetzt der Parteivorsitzende den Posten des Generalsekretärs. Kubicki hatte zugegeben, das Treffen auch als Flirtversuch betrachtet zu haben. Flirts, so Koch-Mehrin, würden gemeinhin „von denen initiiert, die mehr Macht haben.“

Im Funke-Podcast schildert Koch-Mehrin, 51, wie sie ahnte, „dass verschiedene Intentionen dabei sind bei so einem Gespräch.“ Deshalb habe sie Ihren Partner gebeten, später hinzuzukommen. Mit Auftauchen des ehemaligen Boxers seien für Kubicki offenbar „alle anderen Intentionen erledigt“ gewesen, so Koch-Mehrin, und er habe sich “dann vom Acker gemacht“. Generalsekretärin wurde 2001 übrigens Cornelia Pieper.

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Schwere Schicksalsschläge und das Leben in einer "Vergewaltigungskultur"

Koch-Mehrin, die sich nach Plagiatsvorwürfen 2011 aus der Politik zurückzog, hat durch eine Brustkrebserkrankung „den Mut gefunden, auch heikle Dinge anzusprechen“. In ihrem Buch „Jetzt wo ich schon mal nicht tot bin“, thematisiert sie schmerzhafte Themen wie den jähen Karriereknick, eine Todgeburt, die Krebsdiagnose, aber auch ihre eigene Bereitschaft „viel zu oft mitgespielt zu haben“.

So habe sie es früher völlig normal gefunden, für Treffen wie mit Kubicki Vorsorgemaßnahmen zu treffen. Im Mutmach-Podcast berichtet sie, dass sie von ihren Teenager-Töchtern das Wort “Vergewaltigungskultur“ gelernt habe, die nicht hinzunehmen sei.

Der Begriff bezeichne ein Klima der Angst, in dem Frauen eine Vergewaltigung als maximales Risiko immer mitdenken müssen. Das bedeute ein eingeschränktes Sicherheitsgefühl im Vergleich zu Männern.

Frauen, so Koch-Mehrin im Funke-Podcast, fragen sich automatisch: „Wo kann ich abends entlang gehen? Nehme ich ein zweites Paar Schuhe mit, um schneller rennen zu können?“ Die Konsequenz könne nicht sein, dass Frauen sich anders anziehen oder nicht allein ausgehen. „So machen wir aus Frauen Menschen Zweiter Klasse.“ Beim Treffen mit Kubicki, so stellt Koch-Mehrin klar, habe sie sich „an keiner Stelle bedroht gefühlt“.

„Das Problem heisst nicht Wolfgang Kubicki und nicht FDP“, betont Koch-Mehrin. Zahlreiche Zuschriften hätten ihr gezeigt, dass das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen überall existiere. Lange Zeit habe sie vieles verdrängt. „ich war mein eigener Mißbrauch“, so Koch-Mehrin im Funke-Podcast: „Ich habe nicht darauf geachtet: Wo sind meine Grenzen? Wo lasse ich mich instrumentalisieren?“ Gefreut habe sie sich über einen Anruf aus der FDP-Zentrale, wo man sich offenbar „als sehr problembewußt erweist. Koch-Mehrin: “Da tut sich was.“

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  • Buch: Silvana Koch-Mehrin mit Uli Hauser: „Jetzt, wo ich schon mal nicht tot bin. Plädoyer für einen offenen Umgang mit unseren Ängsten.“ 200 Seiten, Eden-Books. 18,95 Euro. (fmg)

Dieser Artikel erschien zuerst auf morgenpost.de.