Berlin. Robert Habeck galt als der Ampel-Übersetzer. Doch noch nach mehreren Fehltritten steht der grüne Wirtschaftsminister unter Druck.

Der ehemalige Flughafen in Berlin Tempelhof ist ein geschichtsträchtiger, ein symbolhafter Ort. Hier landeten einst die sogenannten "Rosinenbomber" der Alliierten, die es 1948 und 1949 Westberlin ermöglichten, der Belagerung durch die Sowjetunion standzuhalten. Hier zeigte sich, dass mit Zähigkeit und Erfindungsreichtum auch tiefe Krisen überwunden werden können.

Gut also für Robert Habeck, dass der Deutsche Arbeitgebertag an diesem Dienstag im alten Flughafen stattfand. Denn die Botschaft des Ortes ist eine, die er gerade gebrauchen kann.

Der Wirtschaftsminister ist in den alten Flughafen gekommen, um sich vor der versammelten Arbeitgeberschaft dazu befragen zu lassen, wie es denn nun weitergeht, mit Deutschland, seinen Energiepreisen und seinen Unternehmen.

Schon in weniger krisenhaften Zeiten sind Veranstaltungen des Spitzenverbands der Wirtschaft, dominiert von dunklen Anzügen und Lederschuhen, weißer und männlicher als das Land im Durchschnitt, kein von Natur aus freundliches Biotop für grüne Politiker. Aktuell gilt das doppelt.

Habeck in der Kritik: "Als wenn Sie auf der Titanic alle Rettungsboote über Bord geworfen hätten"

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hatte Robert Habeck in seiner Eröffnungsrede zwar nicht beim Namen genannt. Das war aber auch nicht nötig, denn es gab kaum einen Zweifel, wer angesprochen war, als Dulger den energiepolitischen Kurs der Bundesregierung geißelte: "Was da gerade passiert mit der sogenannten Notfallreserve ist so, als wenn Sie auf der Titanic alle Rettungsboote über Bord geworfen hätten", sagte der Chef des mächtigen Arbeitgeberverbands.

"Und dann verlässt man sich darauf, dass vielleicht doch noch nicht so viel Wasser eingedrungen ist und das Schiff nicht sinkt oder ein anderes Schiff für die Rettung vorbeikommt."

Warum ist es in dieser Notlage nicht möglich sei, "ohne Ideologie und partei- oder wahltaktische Überlegungen" über die Kernkraftfrage zu reden, wollte Dulger wissen. Es ist eine Frage, die sich auch viele stellen, die Habeck vielleicht näherstehen als der Wirtschaftsvertreter.

Habeck ist in Erklärungsnot. Monatelang war er, getrieben von Notwendigkeit, über einen grünen Schatten nach dem anderen gesprungen, erst bei Einkäufen von Flüssiggas, wo immer es zu haben war, dann bei der Rückkehr von Kohlekraftwerken ans Netz.

Im Eiltempo produzierte sein Haus ein Gesetz nach dem anderen – um die Gasspeicher zu füllen, LNG-Terminals zu ermöglichen, den Ausbau der Erneuerbaren voranzutreiben. Nebenbei wurde er seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine so etwas wie der oberste Übersetzer vieler Koalitionsentscheidungen.

Energiekrise: Habeck und die "Einsatzreserve" – so richtig zufrieden war niemand

Doch an einer überzeugenden Erklärung zu den Schlüssen, die er aus dem zweiten Strom-Stresstest gezogen hat, scheitert er bislang. Obwohl die Übertragungsnetzbetreiber die Situation im Stromnetz in diesem Winter als "äußerst angespannt" beschreiben, hatte der Minister vorgeschlagen, zwei von drei verbliebenen Reaktoren in eine "Einsatzreserve" zu überführen, anstatt von vornherein auf einen auf wenige Monate begrenzten Streckbetrieb zu setzen.

Bei Grünen und SPD kam die Idee gut an. Doch da endete die Liste der Befürworter auch schon – der Opposition, aber auch dem Koalitionspartner FDP waren die Pläne zu wenig, den Naturschutzverbänden dagegen zu viel. Richtig zufrieden war kaum jemand.

Die harsche Kritik an der Atomentscheidung war noch nicht verklungen, da bot Habeck seinen Gegnern die nächste offene Flanke. Auf die Frage, ob kleinen Betrieben im Winter eine Insolvenzwelle drohe, verhedderte er sich bei einem Talkshowauftritt heillos in den Unterschieden zwischen einem temporären Produktionsstopp und einer vollständigen Geschäftsaufgabe bei Betrieben. Da spielte es dann auch keine Rolle mehr, dass Ökonomen ihm in der Sache recht gaben – der Schaden war angerichtet.

Der Eindruck, Habeck verstehe grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge nicht, war in der Welt. Kleine und mittlere Unternehmen, wie die Bäckereien, die er als Beispiel angeführt hatte, fühlten sich mit ihren Sorgen angesichts der horrenden Energiepreise, vorsichtig formuliert, nicht ernst genommen. Nach der missglückten Gasumlage war es ein weiterer Fehltritt.

Umfragen: Habecks Zustimmungswerte fallen, die Grünen rutschen hinterher

Längst lassen sich diese auch in den Umfragewerten ablesen. War Habeck monatelang ganz oben in den Beliebtheitsrankings, ist er jetzt innerhalb kurzer Zeit abgestürzt. Im ZDF-Politbarometer sanken seine Zustimmungswerte nach dem Fernsehauftritt von 1,7 (auf einer Skala von minus fünf bis plus fünf) auf 0,9. Nach einer Umfrage des Instituts Insa fiel er wenige Tage später von Platz eins der beliebtesten Politiker auf Platz sechs. Seine Partei rutschte prompt hinterher.

In der Opposition hat man Habeck deshalb längst als derzeit erfolgversprechendstes Ziel für Angriffe auf die Koalition ausgemacht. Und auch in den Reihen der Koalitionspartner gab es in den letzten Wochen einige, die sich nicht lang überwinden mussten, um gegen den Wirtschaftsminister zu schießen.

Das Trommelfeuer geht nicht spurlos an Habeck vorbei. Das war schon vergangene Woche im Bundestag zu merken, als Habeck, eigentlich kein Anhänger politischen Schlammcatchens, die Union frontal anfuhr: Den "Sound der Selbstkritiklosigkeit" aus deren Reihen könne er nicht unkommentiert lassen, die Ampel-Koalition räume immerhin gerade auf, was CDU und CSU energiepolitisch 16 Jahre lange "verbockt, verhindert und zerstört" hätten, sagte er, sichtlich verärgert.

Der Wirtschaftsminister will nicht der einzige Prügelknabe sein

Er hat nicht vor, als einziger Prügelknabe zu dienen, während andere auf seine Kosten politische Punkte machen. In der Debatte um die Atomkraft etwa, in der unter anderem der bayerische Ministerpräsident gerade vollmundig Laufzeitverlängerungen fordert, "läuft Einiges schief", findet Habeck.

Denn bei der Suche nach einem Endlager für deren strahlenden Abfall hat ausgerechnet derselbe Söder Bayern vorn vornherein als Standort ausgeschlossen. Wie wolle man von irgendeinem Bürgermeister verlangen, ein Endlager in seiner Stadt zu vertreten, "wenn jemand, der Bundeskanzler werden wollte und Ministerpräsident ist, noch nicht einmal den Mumm hat, das für sein Land zu tun?"

Beirren lassen will der Grüne sich von der Kritik von allen Seiten nicht. Er wisse, dass die Entscheidung zu den drei verbliebenen Akw "wahrscheinlich auch hier in diesem Saal nicht populär ist", erklärte er. "Aber als ich Minister wurde, habe ich mir geschworen, nicht die populären Entscheidungen zu treffen, sondern die angemessenen und die richtigen." Er werde seinen Kurs halten, erklärte er. Er erntete Applaus.

Den Auftritt seines Kabinettskollegen Christian Lindner direkt im Anschluss verfolgt er nicht mehr, verlässt stattdessen zügig die Halle. Er hat an diesem Tag noch ein Treffen mit Vertretern des Mittelstands – der Rettungsschirm gegen hohe Energiepreise soll auf kleinere Unternehmen ausgedehnt werden. Damit auch Bäckereien und andere über den Winter kommen.