Berlin/Charkiw. Einige Reporter wurden im Ukraine-Krieg bereits getötet. Journalisten setzen im Einsatz für die Wahrheit oft ihr Leben aufs Spiel.

Serhij Prokopenko steigt über Trümmer. Rauch steigt auf, die Silhouetten von Eisenstangen ragen in die dicken Wolken aus Qualm und Staub. Prokopenko filmt die Feuerwehrleute, die gerade die letzten Flammen löschen. Die Häuser in der Straße im Norden der ostukrainischen Metropole Charkiw sind getroffen worden von einer russischen Rakete. Alles ist zerstört.

„Haben Menschen überlebt?“, fragt Prokopenko einen Feuerwehrmann. „Ja, alle.“ Wunder des Krieges, festgehalten in einer Dokumentation, die nun erscheint.

Mit der russischen Invasion endete das „Kreative“

Serhij Prokopenko war nie Kriegsreporter. Er arbeitet seit einiger Zeit für Gwara Media, eine Medienagentur in Charkiw, die Künstler porträtiert hat und Podcasts produziert. „Creative Business“, schreiben die jungen Medienschaffenden auf ihrer Webseite. Doch mit der russischen Invasion endete das „Kreative“.

Reporter berichteten nach der Befreiung von Butscha über die Zerstörungen und Gräueltaten, die russische Soldaten in dem Vorort von Kiew verübt haben sollen.
Reporter berichteten nach der Befreiung von Butscha über die Zerstörungen und Gräueltaten, die russische Soldaten in dem Vorort von Kiew verübt haben sollen. © picture alliance / abaca | Yaghobzadeh Alfred/ABACA

Prokopenko musste sich entscheiden: Fliehen? Oder bleiben – und berichten? Er blieb, wie viele andere Journalisten auch. Er versteckt sich in einem Luftschutzbunker, der in einem Keller im Stadtzentrum liegt, harrt aus, wenn wieder die Sirenen heulen, lebt dort die meiste Zeit seit Februar. Und recherchiert.

Als Prokopenko die Trümmer nach dem Einschlag filmt, schicken ihn die Feuerwehrleute weg. Zu gefährlich. Nicht unwahrscheinlich, dass nach einem Angriff kurze Zeit später ein zweiter an derselben Stelle erfolgt. Es sind die Regeln des Krieges, die auch Prokopenko in den letzten Wochen erst hat lernen müssen.

Ukraine-Krieg: Mehr als ein Dutzend Journalisten bereits getötet

Im Krieg, heißt es, sterbe die Wahrheit zuerst. Propaganda und Desinformation sind moderne Waffen. Umso wichtiger sind Recherchen von unabhängigen Journalistinnen und Journalisten vor Ort. Wenn kremlnahe Staatsmedien mutmaßliche russische Kriegsverbrechen vertuschen, interviewen Reporter die Menschen in den Dörfern, die gerade von ukrainischen Soldaten befreit wurden. Wenn Zivilisten im Stahlwerk von Mariupol festsitzen, versuchen Journalisten mit ihnen in Kontakt zu kommen. Auch interessant: Mariupol: „Die Zähne der Kinder fangen an zu verrotten“

Doch all das ist gefährlich. Mehr als ein Dutzend Journalistinnen und Journalisten sind bereits in den ersten zwei Monaten im Ukraine-Krieg getötet worden. Einige ukrainische Medien sprechen sogar von 20 Menschen.

Pressefreiheit: Deutschland steht mit Platz 16 solide da

Die Freiheit der Presse ist ein Recht, das in Kriegszeiten schnell bedroht ist. Vor allem in der von Russland besetzten Ostukraine regiert ausschließlich die Staatspropaganda des Kreml, unabhängige Journalisten haben keinen Zugang zu den Gebieten.

Am 3. Mai setzt sich die Welt mit einem „Tag der Pressefreiheit“ für die unabhängige Berichterstattung ein. Eine Welt, in der Journalisten in vielen Ländern unter Druck gesetzt, verfolgt und in manchen Fällen auch getötet werden, weil sie die Wahrheit ans Licht bringen wollen.

Jedes Jahr bringt Reporter ohne Grenzen eine Liste heraus. Oben stehen fast immer skandinavische Staaten. Dort sind die Bedingungen für Journalismus weltweit am besten. Deutschland steht mit Platz 16 solide da, war aber schon mal besser platziert. In Diktaturen wie Nordkorea, Eritrea und Iran gibt es keine Pressefreiheit.

Die Arbeit in der Ukraine ist lebensgefährlich.
Die Arbeit in der Ukraine ist lebensgefährlich. © picture alliance/dpa/Sputnik | ILYA PITALEV

Journalisten in Moskau dürfen den Krieg nicht so nennen

Dramatisch verschärft hat sich die Lage seit Ausbruch des Krieges auch in Russland. „Der russische Journalismus ist zusammengebrochen“, sagt Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen. Anfang März verabschiedete das russische Parlament ein Gesetz, das die Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine quasi verbietet.

Nicht einmal das Wort „Krieg“ darf genannt werden. Es heißt in der Kremlpropaganda „militärische Spezialoperation“. Wer als Journalist dagegen verstößt, dem drohen bis zu 15 Jahre Haft. Mehr zum Thema: Junge Russen berichten: So schwer ist die Flucht vor Putin

Presse in Russland: Eindeutige Vokabeln zum Schutz vermeiden

Auch für Stefan Scholl, unseren Korrespondenten in Moskau, und seine Berichte hat das Gesetz, das Anfang März in Kraft trat, erhebliche Folgen. Viele haben Russland daraufhin verlassen. Unser Kollege wollte bleiben.

Um seine Artikel veröffentlichen zu können und ihn nicht zu gefährden, dürfen wir weder in Überschrift, Unterzeile noch in Bildunterschriften die Worte „Krieg“, „Aggression“, „Einmarsch“, „Invasion“, „Überfall“ oder „Angriff“ sowie andere eindeutige Vokabeln für die russische Aggression benutzen. Seine Texte werden nicht durch ukrainische Zitate ergänzt oder aktualisiert.

Rauchschwaden über Mariupol: Aus der belagerten Stadt zu berichten, gehört mit zu den gefährlichsten Aufgaben.
Rauchschwaden über Mariupol: Aus der belagerten Stadt zu berichten, gehört mit zu den gefährlichsten Aufgaben. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Mstyslav Chernov

Freie Presse ist Gefahr für Putins Kriegsmaschinerie

„Manchmal komme ich mir vor wie in Nordkorea“, sagt Irina. Wir telefonieren mit ihr über einen verschlüsselten Messengerdienst. Sie ist 23 und arbeitet in Moskau als freie Journalistin. Sie schreibt für die wenig verbliebenen oppositionellen Medien im Land, darunter für die Zeitung „Nowaja Gaseta“ und das Portal „Meduza“. Freie Presse – sie ist auch zur Gefahr für Putins Kriegsmaschinerie geworden.

Doch die Bomben fallen in der angegriffenen Ukraine. Am Anfang sei es am schlimmsten gewesen, berichtet auch Serhij Prokopenko, der mit unserer Redaktion bereits seit den ersten Kriegstagen in Kontakt steht. Sie hätten nichts gehabt, keine Helme, keine Schutzwesten, keine Autos. Zu Kriegsschauplätzen fuhren sie mit dem Taxi. „Aber wir hatten immer Angst, dass der Fahrer einfach abhaut, wenn Raketen irgendwo einschlagen.“ Lesen Sie hier: Priester von Mariupol: Was der Krieg mit der Seele macht

Kriegsreporter: „Keine Bestechungsgelder an Soldaten“

Prokopenko sagt, er habe das Leben als Kriegsreporter schnell lernen müssen: Gehe nicht in Stadtteile oder Vororte, in denen du die Sicherheitslage nicht ganz genau kennst. Und: Sprich mit so vielen Offiziellen vor Ort, wie möglich, Soldaten an den Checkpoints, Kommandeure, Bürgermeister. „Die müssen wissen, dass du da bist.“

Dritte Regel: Zahle keine Bestechungsgelder an Soldaten. Prokopenko sagt, er habe das erlebt, vor allem von einigen internationalen Journalisten. „Das zerstört die Ethik des Journalismus“, sagt Prokopenko. Auch im Krieg will er diese Werte aufrechterhalten.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf waz.de.