Vilnius. Bundesaußenministerin Baerbock kann die deutsche Ukraine-Politik erklären – anders als Bundeskanzler Scholz, meint Gudrun Büscher.

Egal wo Annalena Baerbock bei ihrer Reise ins Baltikum auch hinkommt, Bundeskanzler Olaf Scholz ist schon da. Auf allen Pressekonferenzen und selbst bei ihrem Besuch einer Schule steht er wie ein unsichtbarer Elefant im Raum.

Die erste Frage lautet immer: "Warum will Deutschland der Ukraine keine schweren Waffen liefern?" Die Außenministerin erklärt dann, was der Bundeskanzler auch sagt. Mit dem einen großen Unterschied: Sie wird verstanden.

Ringtausch – schwere Waffen aus sowjetischer Produktion

Die Lieferung schwerer Waffen und gepanzerter Fahrzeuge in die Ukraine sei für die Bundesregierung "kein Tabu". Deutschland unterstütze entschlossen den "Überlebenskampf der Ukraine". Um möglichst schnell zu helfen, sei deshalb ein Ringtausch vereinbart worden: Die Ukraine erhalte die schweren Waffen aus russischer Produktion, die noch in osteuropäischen Nato-Ländern vorhanden seien.

Deutschland werde sie später ersetzen. Das habe den großen Vorteil, dass die Lieferungen ins Kriegsgebiet sofort beginnen könnten. Die Bundeswehr habe nach eigenen Angaben kein eigenes Material mehr übrig, erklärt die Ministerin. Lesen Sie auch: Deutsche Waffenlieferungen: Geld statt Panzer – reicht das?

Gudrun Büscher, Politik-Korrespondentin
Gudrun Büscher, Politik-Korrespondentin © Reto Klar | Reto Klar

30 T-72-Kampfpanzer für die Ukraine

Slowenien wird also um die 30 T-72-Kampfpanzer der Ukraine überlassen. Die ukrainischen Soldaten kennen diese Panzer und könnten sie sofort einsetzen, wie es heißt. Slowenien soll im Austausch dafür deutsche Marder-Schützenpanzer und den Radpanzer Fuchs erhalten, die aber erst in einigen Monaten geliefert werden können.

Scholz hat diesen Tausch Anfang der Woche auch schon angekündigt. Seine Botschaft war nur so vernebelt, dass sie nicht ankam. Der Kanzler brauchte bis zu einem Interview am Wochenende, um verstanden zu werden.

Baerbock ist klar in ihren Aussagen, verbindlich im Ton, zeigt Mitgefühl. Die Menschen im Baltikum fühlen sich durch ihre 720 Kilometer lange Grenze zu Russland und Belarus besonders bedroht. Viele von ihnen haben die jahrzehntelange sowjetische Besatzung erlebt. Sie sind den Menschen in der Ukraine eng verbunden. "Wir", so ist oft zu hören, "könnten die Nächsten sein, die Putins Expansionsgelüsten zum Opfer fallen."

Die Balten haben Russland immer misstraut

Nicht nur für die Balten ist es unverständlich, dass Deutschland viele von der Ukraine geforderte schwere Waffen nicht liefern kann, weil sich die Bundeswehr im reichsten Land Europas in einem desolaten Zustand befindet. Das mächtige Deutschland, starke Kraft in Europa, hat nichts, was den Ukrainern bei ihrer Abwehrschlacht helfen kann? Das ist sehr peinlich, ja. Aber bittere Realität. Genauso wie die fatale Abhängigkeit vom russischen Gas.

Baerbock weicht den Fragen nicht aus, sie sucht sie sogar. Die Balten haben Russland immer misstraut, Deutschland oft gewarnt, nicht so blauäugig zu sein. Doch erst mit Beginn des russischen Angriffskrieges ist Deutschland in der neuen Realität angekommen und tut sich schwer, als verlässlicher Partner wahrgenommen zu werden. Auch interessant: Baerbock als Außenministerin: Gewachsen in der Krise

Baerbock: Deutschland bereit, mehr zu tun

Die Außenministerin versichert im Baltikum, die Nato werde jeden Zentimeter ihres Territoriums verteidigen. Beim Treffen der Nato-Partner wird die Verstärkung der Ostflanke beschlossen werden müssen: viel mehr Soldaten, Panzer, konsequente Luftraumüberwachung, Sicherung der Ostsee – eine massive Änderung der Nato-Strategie. Baerbock sagt, Deutschland sei bereit, mehr zu tun, mehr Verantwortung zu übernehmen.

Es sieht nicht so aus, als ob die Außenpolitik, wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zu Baerbocks Amtsantritt betonte, im Wesentlichen aus dem Kanzleramt gesteuert wird. In diesen Tagen gewinnt man eher den Eindruck, es läuft andersherum.

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