Berlin. Wie der Westen Putin vom Einsatz atomarer oder chemischer Waffen abhalten will – und welche Folgen ein Angriff auf Nato-Gebiet hätte.

Das sind düstere Aussichten im Ukraine-Krieg. Im Westen wächst die Sorge, dass der russische Präsident Putin angesichts des stockenden Vormarsches seiner Truppen zum Äußersten greift und sogar Massenvernichtungswaffen gegen die Ukraine einsetzt: Mit dem Abwurf einer relativ kleinen Atombombe mit begrenzter Reichweite, mit Chemie- oder Biowaffen würde Putin demnach versuchen, den überraschend starken Widerstand der Ukraine zu brechen. Das bislang Undenkbare wird, fürchten Nato-Militärs unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse, zur ernsthaften Bedrohung.

Ob es wirklich so weit kommt? Oder spielt Putin nur mit der Angst des Westens? Der Kremlherrscher würde international endgültig zum Geächteten, auch in Russland müsste er Widerstand befürchten. Ein solches Kriegsverbrechen würde zudem das Einsatzgebiet seiner eigenen Truppen verseuchen.

Ukraine-Krieg: Putin könnte Waffenkonvois in Polen angreifen

Und die langfristigen militärischen Kosten für Moskau wären enorm, weil der Westen seine Verteidigungsbemühungen dramatisch erhöhen würde. Nein, rational betrachtet bleibt ein Einsatz atomarer oder chemischer Waffen sehr unwahrscheinlich. Aber: Ausgeschlossen ist in diesem Konflikt nichts mehr.

Putins Lage ist prekär: Seine Kriegspläne gehen nicht auf, zugleich hat er die Entschlossenheit des Westens sträflich unterschätzt. Gut möglich, dass dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg früher oder später das Ende seiner Regentschaft einläuten wird.

Ukraine: Der furchtbare Krieg gegen die Kinder

Irpin bei Kiew: Die Wohnungen sind zerstört, jetzt helfen Soldaten bei der Rettung der Allerkleinsten.
Irpin bei Kiew: Die Wohnungen sind zerstört, jetzt helfen Soldaten bei der Rettung der Allerkleinsten. © IMAGO/MYKHAYLOX PALINCHAK/IMAGO/ZUMA WIRE
Sie rennen um ihr Leben: Ein ukrainischer Polizist hilft einem kleinen Mädchen in Irpin, vor der Artillerie zur fliehen.
Sie rennen um ihr Leben: Ein ukrainischer Polizist hilft einem kleinen Mädchen in Irpin, vor der Artillerie zur fliehen. © Emilio Morenatti/AP/dpa
Selbstverteidigung: In Lwiw lernt ein Junge in einem Kurs den Umgang mit dem Sturmgewehr AK-47.
Selbstverteidigung: In Lwiw lernt ein Junge in einem Kurs den Umgang mit dem Sturmgewehr AK-47. © Daniel LEAL / AFP
Die Flucht ist geglückt – und dann fließen bei dem Flüchtlingsmädchen im rumänischen Siret, kurz hinter der ukrainischen Grenze, die Tränen.
Die Flucht ist geglückt – und dann fließen bei dem Flüchtlingsmädchen im rumänischen Siret, kurz hinter der ukrainischen Grenze, die Tränen. © Armend NIMANI / AFP
Wie geht es weiter? Ein Junge wartet nach tagelanger Flucht über Polen am Hauptbahnhof in Berlin.
Wie geht es weiter? Ein Junge wartet nach tagelanger Flucht über Polen am Hauptbahnhof in Berlin. © Maja Hitij/Getty Images
In einem Flüchtlingslager in Przemysl an der polnischen Grenze kümmert sich ein Mädchen um sein Geschwisterchen. Trost brauchen beide.
In einem Flüchtlingslager in Przemysl an der polnischen Grenze kümmert sich ein Mädchen um sein Geschwisterchen. Trost brauchen beide. © Louisa GOULIAMAKI / AFP
In einem Kinderkrankenhaus in Kiew müssen sich die kleinen Patienten im Keller vor den Bomben schützen.
In einem Kinderkrankenhaus in Kiew müssen sich die kleinen Patienten im Keller vor den Bomben schützen. © Aris Messinis / AFP
Nach den Strapazen der Flucht werden Kinder an der ukrainisch-polnischen Grenze versorgt.
Nach den Strapazen der Flucht werden Kinder an der ukrainisch-polnischen Grenze versorgt. © Daniel LEAL / AFP
Sie kann fliehen, er muss bleiben. Ein Vater verabschiedet sich in Lwiw von seiner Tochter.
Sie kann fliehen, er muss bleiben. Ein Vater verabschiedet sich in Lwiw von seiner Tochter. © Dan Kitwood/Getty Images
Waisenkinder aus Huljaipole, einer Stadt in der Zentralukraine, nach ihrer Ankunft in Lwiw im Westen des Landes. Sie wurden aus ihrem Heim evakuiert.
Waisenkinder aus Huljaipole, einer Stadt in der Zentralukraine, nach ihrer Ankunft in Lwiw im Westen des Landes. Sie wurden aus ihrem Heim evakuiert. © EPA-EFE
Ein an Krebs erkranktes Kind in einem onkologischen Krankenhaus in Kiew hält ein Schild mit der Aufschrift
Ein an Krebs erkranktes Kind in einem onkologischen Krankenhaus in Kiew hält ein Schild mit der Aufschrift "Krieg beenden" hoch. © Aris Messinis / AFP
Kinder aus Kiew verlassen nach heftigen Bombardements ihre Heimat – mit nichts außer einer Plastiktüte.
Kinder aus Kiew verlassen nach heftigen Bombardements ihre Heimat – mit nichts außer einer Plastiktüte.
Abschiedsgruß: Ein Vater verabschiedet sich von seiner Tochter, die in einem Evakuierungszug aus Odessa sitzt.
Abschiedsgruß: Ein Vater verabschiedet sich von seiner Tochter, die in einem Evakuierungszug aus Odessa sitzt. © BULENT KILIC / AFP
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Je mehr dem Kremlherrscher das dämmert, desto größer das Risiko, dass Putin in seiner Bedrängnis auch die letzten Grenzen überschreitet. Es ist deshalb richtig, dass sich die Nato nun auch laut hörbar auf das Schlimmste vorbereitet – wozu sogar das Szenario gehört, Putin könne Waffenkonvois in Polen angreifen lassen, um den Nachschub für die Ukraine zu stoppen.

Christian Kerl, Brüssel-Korrespondent
Christian Kerl, Brüssel-Korrespondent

Konfrontation von Nato und Russland könnte Kettenreaktion auslösen

Die Brüsseler Gipfel-Warnung an Moskau, dass das westliche Verteidigungsbündnis für diesen Fall eine harte Antwort vorbereitet hat, hält Putin hoffentlich von solchen Abenteuern ab. Der Überraschungseffekt, mit dem der Kreml möglicherweise kalkuliert, wäre keiner mehr.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dass durch einen ABC-Waffeneinsatz in der Ukraine eine völlig neue Lage entstünde, ist offenkundig. Doch sind die notwendigen Drohungen des Westens ein Balanceakt. Die Nato legt ihre Karten nicht auf den Tisch. Die Allianz ist in diesem Konflikt nicht Kriegspartei. Und sie wird auch künftig alles tun müssen, damit es dabei bleibt.

US-Präsident Joe Biden mit EU-Ratpräsident Charles Michel beim EU-Gipfel in Brüssel.
US-Präsident Joe Biden mit EU-Ratpräsident Charles Michel beim EU-Gipfel in Brüssel. © JOHN THYS / AFP

Jede Ausweitung in eine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland, die man ja schon durch die Einrichtung einer von der Ukraine so dringlich geforderten Flugverbotszone heraufbeschwören würde, birgt das Risiko einer unkontrollierbaren Kettenreaktion. An deren Ende könnte ein ausgreifender Krieg mit kaum vorstellbaren Opferzahlen stehen. Damit wäre auch der Ukraine nicht gedient.

Die Zukunft der globalen Sicherheitsordnung steht auf dem Spiel

Aber ebenso klar hat die Nato die rote Linie erneuert: Einen Angriff gegen ein Nato-Land wird das Bündnis mit einer massiven militärischen Reaktion beantworten. Joe Biden hat das Bekenntnis zur uneingeschränkten Bündnisverpflichtung der Vereinigten Staaten jetzt noch einmal bekräftigt. Der US-Präsident weiß, dass es in diesem Krieg nicht nur um die Ukraine oder Europa geht.

China, der große amerikanische ­Rivale, verfolgt die Reaktion des Westens genau. Auf dem Spiel steht nichts weniger als die Zukunft der globalen Sicherheitsordnung. Auch deshalb muss der Westen alles daran setzen, den Dammbruch eines Einsatzes von atomaren oder chemischen Waffen zu verhindern.