Berlin. Deutschland will sich unabhängiger von Energielieferungen machen. Doch beim Ausbau der Erneuerbaren steht die eigene Bürokratie im Weg.

„Deutschland kann schnell sein.“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) klingt entschlossen, als er mit fester, lauter Stimme diesen Satz ins Mikrofon sagt. Neben ihm steht Elon Musk, Starunternehmer, reichster Mensch der Welt und Chef des Elektroautobauers Tesla. Ein Mann, bei dem ohnehin alles immer etwas schneller geht als normal und der als Ziel nichts Geringeres als die Bekämpfung des Klimawandels, also quasi die Rettung der Welt vorgibt.

Keine zweieinhalb Jahre hat es gedauert, bis Tesla in Grünheide nahe Berlin ein gigantisches Werk aus dem Sand gestampft hat. Für Kanzler Scholz ist die bemerkenswert schnelle Umsetzung ein Signal für den Industriestandort Deutschland. Nun werde er alles dafür tun, dass es auch beim Ausbau der erneuerbaren Energien schnell vorangehe, verspricht er.

Bürokratie: Die Gegensätze zwischen Tesla und dem Flughafen BER

„Tesla-Geschwindigkeit“ ist zum geflügelten Wort geworden. Es zeigt, was möglich ist, wenn wirtschaftliche Großprojekte auch von der Politik alle erdenkliche Unterstützung bekommen. Nur ist „Tesla-Geschwindigkeit“ bei vielen anderen Klein- und Großprojekten alles andere als Alltag in Deutschland.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Tesla-Chef Elon Musk bei der Eröffnung der Tesla-Fabrik Berlin Brandenburg.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Tesla-Chef Elon Musk bei der Eröffnung der Tesla-Fabrik Berlin Brandenburg. © dpa

Was passiert, wenn politische Interessen, Bürokratie und Planungsfehler unheilvoll kollidieren, zeigt sich nur 20 Autominuten vom neuen Tesla-Werk entfernt, am Hauptstadtflughafen BER. Allein die reine Bauzeit summierte sich am Ende auf 14 Jahre. Doch auch bei weitaus simpleren Vorhaben als einem Flughafen gehen mitunter Jahre ins Land, bevor überhaupt mit dem Bau begonnen werden kann.

Der Materialtransport für eine Windkraftanlage braucht bis zu 80 Genehmigungen

Und dabei drängt bei Schlüsselprojekten wie der Energiewende die Zeit. Bis 2035 will die Ampelkoalition die Stromversorgung in Deutschland klimaneutral machen. Doch allein der Materialtransport für den Bau einer einzelnen Windkraftanlage erfordert 60 bis 80 Genehmigungen, für jedes Teil ein Verfahren, einzuholen bei Dutzenden Behörden, beklagt die Bundesfachgruppe Schwertransporte und Kranarbeiten (BSK). Der Verband ist ein maßgeblicher Akteur beim Ausbau der Windkraft.

Die Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen seien oft ungeklärt, beklagt die BSK. Zu viel werde dem Ermessensspielraum einzelner Behörden oder Sachbearbeitern überlassen. Die Folge: Durch Verzögerungen bei einzelnen Anträgen gerate regelmäßig der Zeitplan für vernetzte Projekte wie Windparks ins Wanken. „Wenn sich bei den vielen Dutzend Genehmigungsanträgen pro Projekt auch nur einer verzögert, wirkt sich das sofort auf den Gesamtablauf aus“, sagt Vorstandssprecher Helmut Schgeiner. Nötig seien einheitliche Bearbeitungsstandards.

Der Bau von Windparks dauert oft Jahre.
Der Bau von Windparks dauert oft Jahre. © picture alliance/dpa | Christian Charisius/picture alliance

DIHK-Präsident fordert eine „Ermöglichungsverwaltung“

In Zeiten, in denen Deutschlands Energieversorgung durch den russischen Angriff auf die Ukraine gefährdet ist, kann sich das Land lange Verfahren eigentlich nicht leisten. Und die Zeit drängt nicht nur bei diesem Thema. „Es kann nicht sein, dass der Wiederaufbau von Brücken und Straßen in den Flutgebieten durch lange Genehmigungsverfahren Jahre dauert, oder dass es nicht genug Stromtrassen vom Norden in den Süden gibt“, klagt Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK).

Mit den derzeitigen Planungsinstrumenten, die Bund und Länder haben, seien die immensen Infrastrukturaufgaben nicht zu lösen, sagte Adrian unserer Redaktion. Und mahnt: „Weil es viel zu lange dauert, bis eine Brücke oder ein Schienenausbau fertig wird, hängt sich der Wirtschaftsstandort Deutschland immer öfter selbst ab.“ Der Staat müsse auf sein Mitwirken in bestimmten Bereichen verzichten, nicht jeden einzelnen Schritt überwachen, findet Adrian. Und wie bei Tesla Investitionen aktiv unterstützen. „Wir brauchen eine Ermöglichungsverwaltung“, sagt der DIHK-Chef.

Bürokratie sorgt für Frust bei Mittelständlern

Die Ampelkoalition scheint den Handlungsbedarf erkannt zu haben. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wandte sich jüngst an den Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW). Was man konkret besser machen solle, wollte der Grünen-Politiker wissen. Der Verband sammelt derzeit die Wünsche seiner Mitglieder in einer Umfrage. Parallel spricht sich der Verband für ein Moratorium für Gesetze wie etwa das Lieferkettengesetz aus.

Welche Absurditäten die deutsche Bürokratie bereithält, erfährt auch Ferdinand Munk immer wieder. Der 60-Jährige ist Inhaber und Geschäftsführer der Munk Group, einem auf Steig- und Rettungstechnik spezialisierten Mittelständler aus dem bayerischen Günzburg. Der Unternehmer, der 400 Mitarbeiter beschäftigt wollte sich jüngst eine Photovoltaik-Anlage auf das Firmendach setzen lassen. Doch bevor sie überhaupt montiert war, sollte er schon ein Formular ausfüllen, dass alles erledigt sei. „Ansonsten hätte es ein halbes Jahr gedauert, bis ich die fertige Anlage in Betrieb hätte nehmen können“, berichtet Munk.

Ähnlich wie Tesla-Chef Elon Musk, der die komplette Fabrik auf eigenes unternehmerisches Risiko und ohne vorhandene Genehmigung baute, würden so viele Unternehmen gezwungen werden, in Vorleistungen zu treten, die am Ende teurer werden könnten.

Und dann ist da noch die Sache mit dem Statistikamt. Das will regelmäßig von Munk wissen, wie viel Heizöl, Licht und Abfall er pro Raum verbraucht. „Sagt man wahrheitsgemäß, dass man das nicht genau beziffern kann, wird man bestraft“, sagt Munk. Also ließen viele Unternehmen ihre Kreativität walten. „Was nützen am Ende Daten, an die keiner glaubt? Es wäre sinnvoller, weniger zu erheben, dafür aber valider“, sagt Munk. Von seinen 400 Beschäftigten seien im Schnitt sechs damit beschäftigt, sich um bürokratische Vorgaben, Anträge und Formulare zu kümmern.

Mieterstrom ist seit Jahren ein Streitfall

Das Thema Photovoltaik treibt auch viele Vermieter und Mieter um. Wollen Vermieter eine Photovoltaik-Anlage auf ihre Dächer setzen und den Strom an die Mieter liefern, werden sie damit formal zum Stromanbieter – mit allen verbundenen Pflichten.

Großes Potenzial beim Ausbau der Dächer im eigenen Bestand sieht die Vonovia bei der Photovoltaik (Archivbild).
Großes Potenzial beim Ausbau der Dächer im eigenen Bestand sieht die Vonovia bei der Photovoltaik (Archivbild). © Vonovia | Frank Grätz

Bevor sie sich dieser Hürde aussetzen, verzichten viele lieber aufs Solardach – damit kommt ein wichtiges Element der Energiewende seit Jahren nicht voran. „Mieterstrom muss durch die Wohnungsunternehmen und die Mieter endlich auf einfache Weise nutzbar werden, damit die Energiewende beim Wohnen als Gemeinschaftsprojekt funktionieren kann“, sagt Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW, unserer Redaktion. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) haben immerhin schon mal eine Reform angekündigt.

Bund kommt beim Bürokratieabbau nicht hinterher

Reformen sind allerdings keine Garantie für den Erfolg. Seit Jahren will der Bund Bürokratie abbauen – mit wenig Erfolg. Laut des Nationalen Normenkontrollrates (NKR), einem Beratergremium der Bundesregierung zum Bürokratieabbau, steigen die Belastungen seit Jahren an. „Es gibt eine Reihe von Vorschriften, die Fristen enthalten, um die Verfahren zu beschleunigen. Aber sie werden nicht konsequent angewendet“, sagt Andrea Versteyl.

Die Rechtsanwältin ist auf Planungs- und Umweltverfahren spezialisiert und Mitglied im NKR. Versteyl verweist auf das Netzausbaubeschleunigungsgesetz, das den Ausbau von Höchstspannungsleitungen vorantreiben sollte. Nach zehn Jahren sei „nur ein Bruchteil“ tatsächlich realisiert.

Behörden fehlt es an Personal

„Die Behörden nehmen zu oft die Fristen selbst nicht ernst“, sagt Versteyl. „Für eine Vollständigkeitsprüfung sieht das Gesetz einen Zeitraum von maximal sechs Wochen vor. In der Realität sind es nicht selten bis zu sechs Monate.“ Erst nach einer abgeschlossenen Prüfung kann ein Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Dann soll es maximal sieben Monate bis zur Genehmigung dauern – theoretisch.

Vielen Behörden würde es an Personal mangeln, sagt Versteyl. Sie plädiert daher für einen verstärkten Einsatz von Projektmanagern. Auch müssten Anträge digital eingebracht werden. Immerhin: Seit der Pandemie hätten sowohl Unternehmen als auch Behörden die digitalen Vorzüge erkannt.

Doch bei der Umsetzung der digitalen Verwaltung dauert es wohl mal wieder deutlich länger als geplant. Nach dem Onlinezugangsgesetz sollten bis Ende 2022 bundesweit insgesamt 575 Verwaltungsdienstleistungen online verfügbar sein. Stand heute sind davon erst 71 Dienstleistungen verfügbar. Rund 200 Projekte befinden sich derzeit in der Umsetzungsphase – und weitere 88 in Planung.

Dieser Artikel erschien zuerst bei waz.de