Berlin. In Russland sind Informationen zum Ukraine-Krieg wegen Zensur und Propaganda spärlich. Anonymous ruft zu ungewöhnlicher Aktion auf.

Russland führt nicht nur einen Krieg auf ukrainischem Boden – sondern auch einen Kampf um Informationen im eigenen Land: Denn russische Staatsmedien dürfen aktuell nur die Sicht des Kremls auf den Überfall der Ukraine verbreiten. Internetnutzer suchen nach Wegen, dies zu umgehen – und greifen auf ungewöhnliche Methoden zurück.

Anonymous ruft zu Aktion auf, um Kreml-Zensur zu umgehen

So rief die Hackergruppe Anonymous am Montag zu einer unkonventionellen Aktion auf: Da der Angriffskrieg in den russischen Nachrichten lediglich als „Friedensmission“ und „militärischer Sondereinsatz“ bezeichnet wird und unabhängige Medien zensiert werden, verbreitete Anonymous auf Twitter einen Weg, mit dem die Nachrichten trotzdem ihren Weg zum russischen Volk finden können:

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„Gehen Sie zu Google Maps. Gehen Sie nach Russland. Finden Sie ein Restaurant oder ein Geschäft und schreiben Sie eine Bewertung. Wenn Sie die Bewertung schreiben, erklären Sie, was in der Ukraine passiert“, twitterten die Hacker. Angefügt war auch ein Beispieltext auf Russisch.

Informationen zum Ukraine-Krieg: Google Maps kann nicht zensiert werden

Die Idee dahinter ist einleuchtend: Um das russische Volk fernab der Staatspropaganda und Zensur aufzuklären, sollen Plattformen genutzt werden, die nicht vom Kreml eingeschränkt werden können. Das trifft auf Google Maps zu.

Anonymous hat auf Twitter eine große Reichweite, einer der Accounts der Gruppe hat allein 7,5 Millionen Follower. Die Aktion schlug auch deshalb schnell Wellen: Tausende Menschen gaben beispielsweise bei Maps-Profilen von Restaurants in Moskau Bewertungen ab, die die Situation in der Ukraine schilderten oder Informationen über die Lage vor Ort enthielten.

Google-Maps-Rezensionen für ein Restaurant in Moskau. Menschen versuchen so, das russische Volk zu informieren.
Google-Maps-Rezensionen für ein Restaurant in Moskau. Menschen versuchen so, das russische Volk zu informieren. © Screenshot Google Maps | Screenshot Google Maps

Google Maps: Nutzer teilen Infos zum Ukraine-Krieg in Bewertungen

Die Bewertungen können zwar nicht zensiert werden, sind aber meist trotzdem ein wenig getarnt und beginnen mit Äußerungen über das „gute Essen“ oder die „nette Atmosphäre“.

Einige sind aber auch sehr explizit und enthalten Fotos von zerbombten Häusern, Flüchtlingen oder gar Leichen an Kriegsschauplätzen. Auf den ersten Blick sind die Bewertungen manchmal nicht direkt ersichtlich, da die neuesten Beiträge nicht zwangsläufig als Erstes in der Auflistung der Rezensionen erscheinen – dies lässt sich per Klick aber ändern.

Kriegsinformationen statt Restaurant-Bewertung: Nutzer fluten derzeit die Google-Maps-Profile russischer Restaurants und Geschäfte - hier in St. Petersburg.
Kriegsinformationen statt Restaurant-Bewertung: Nutzer fluten derzeit die Google-Maps-Profile russischer Restaurants und Geschäfte - hier in St. Petersburg. © Screenshot Google Maps | Screenshot Google Maps

Tinder-Nutzer können Nachrichten über ihre Profile verbreiten

Die Aktion von Anonymous, die auf der Idee eines anderen Twitter-Nutzers beruht, inspirierte User auch, Informationen über weitere außergewöhnliche Kanäle zu verbreiten. So schlug eine Person vor, Tinder für die Verbreitung von Informationen zu nutzen.

In der Dating-App könne man in seinem Profiltext Informationen zum Ukraine-Krieg hinterlassen – und dann über die Reise-Funktion Städte in Russland als aktuellen Standort angeben. Leute, die in Russland eigentlich nach potentiellen Partnern oder Dates suchen, erhalten stattdessen Informationen über den Krieg. Die meisten geo-basierten Dating-Apps verfügen über ähnliche Funktionen.

Tinder in Russland: Daten müssen mit Geheimdiensten geteilt werden

Fraglich ist allerdings, inwiefern daraus entstehende Interaktionen für Russinnen und Russen gefährlich werden könnten: In Russland muss Tinder seit 2019 die Daten seiner Nutzer mit den russischen Strafverfolgungs- und Nachrichtendiensten teilen, darunter auch dem Inlandsgeheimdienst FSB. Tinder war damals in das staatliche Register für „Organisatoren von Informationsverbreitung“ aufgenommen worden.

Damit ist Tinder gesetzlich dazu verpflichtet, alle Nutzerdaten ein Jahr lang zu speichern – und zwar inklusive der ausgetauschten Nachrichten, Fotos und Videos. Auf Nachfrage der Behörden müssen die Firmen die Daten herausgeben.

Ukraine-Krieg – Hintergründe und Erklärungen zum Konflikt

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.