Berlin. Wie alles begann: Der Name Auschwitz steht als das Synonym für den Holocaust, den deutschen Massenmord an den europäischen Juden mit rund sechs Millionen Toten. Die Geschichte des Konzentrations- und Vernichtungslagers in der Kleinstadt 50 Kilometer westlich von Krakau ist allerdings ohne den Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 nicht denkbar.
Erst die militärische Eroberung und Besatzung erlaubten es der SS-Führung unter Heinrich Himmler, weitab von deutschen Kerngebieten nach „geeigneten“ Standorten für die Errichtung von ausgedehnten Lagerkomplexen Ausschau zu halten. Fündig wurde man unter anderem in Auschwitz, wo bei Kriegsbeginn rund 12.000 Menschen lebten, davon 7000 polnische Juden.
Auschwitz: Der Ort und sein Name
Oświęcim, der polnische Name der Stadt, leitet sich vom westslawischen „swęty“ ab, das kraftvoll/stark, aber auch heilig bedeutet und auf die mittelalterlichen Stadtgründer verweist. Kraft war bei der Erschließung nötig, weil sich der Ort in einer sumpfigen Fluss- und Auenlandschaft befand. Und genau das, so rechnete die SS, würde Fluchtversuche erschweren.
Außerdem gab es im besetzten Auschwitz eine leerstehende Kaserne der polnischen Armee und eine für die Zwecke der SS ideale Bahnanbindung: Die Stadt lag an der Strecke Wien-Krakau, was die „Anlieferung“ von Häftlingen aus weiten Teilen Europas erleichterte, und war auch an das oberschlesische Industrie- und Kohlerevier um Kattowitz angebunden.
Das Stammlager
Im Frühjahr 1940 erteilte Himmler den Befehl zur Errichtung eines KZs in Auschwitz und setzte Obersturmbannführer Rudolf Höß als Kommandanten ein. SS-Einheiten und Zwangsarbeiter bauten die vorhandene Kaserne um und erweiterten sie zum später so genannten Stammlager Auschwitz I. Bis Mitte 1942 diente das KZ vor allem der Internierung polnischer Widerstandskämpfer und sowjetischer Kriegsgefangener.
Als wichtigste Symbole erinnern an diese frühe Zeit bis heute der zynische Schriftzug „Arbeit macht frei“ über dem Eingangstor und die Schwarze Wand, ein Kugelfang aus dunklen Isolierplatten, vor dem SS-Henker willkürliche Todesurteile vollstreckten. Durch Erschießungen, Hunger, Krankheiten und die extreme Arbeitsbelastung starben in Auschwitz I etwa 70.000 Menschen. Ab August 1941 gab es zudem erste Versuche mit Vergasungen in geschlossenen Kammern.
Ausbau zum Vernichtungslager
Im KZ Auschwitz I waren zu Hochzeiten 18.000 Menschen interniert. Hitler und SS-Führer Himmler wollten aber mehr und etwas ganz anderes. Im Frühjahr 1941 erteilte Himmler den Befehl zur Errichtung eines zweiten Lagers in dem Örtchen Birkenau (Brzezinka), wenige Kilometer vom Stammlager entfernt. Das KZ Auschwitz-Birkenau oder Auschwitz II war von Anfang an als Vernichtungslager geplant.
Mit einer Kapazität von bis zu 200.000 Menschen diente es als zentralem Zweck der Tötung von Menschen, die als „rassisch minderwertig“ eingestuft wurden, insbesondere von Juden, aber auch von Sinti und Roma, Kranken und Behinderten.
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Die SS-Lagereinheiten organisierten eine möglichst sofortige Tötung ihrer Opfer, die meist in heillos überfüllten Vieh- oder Güterzügen antransportiert wurden. Nach der Entladung an der sogenannten Judenrampe und der Selektion von wenigen „Arbeitsverwendungsfähigen“ trieben die Aufseher die übrigen Menschen in die Gebäude mit den insgesamt sieben Gaskammern, in die sie das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B einleiteten. Dessen Hauptbestandteil Blausäure verursacht ein qualvolles Ersticken.
Nach der Entlüftung des leicht flüchtigen Gases ließ die SS die Leichen in fünf Krematorien und drei Spezialgruben verbrennen. Historiker haben die Mordfabrik in Auschwitz I und II mit ihrer millionenfachen Tötungskapazität in den vergangenen Jahrzehnten intensiv erforscht und dabei auch Ingenieure einbezogen. Die wahrscheinlichsten Schätzungen der Opferzahlen gehen von mindestens 1,1 Millionen ermordeten Menschen in dem Vernichtungslager aus, darunter mehr als 900.000 Juden aus allen Teilen Europas.
Das Unsagbare sagen
„Es war die Hölle auf Erden“, erinnert sich die polnische Widerstandskämpferin und Auschwitz-Überlebende Alina Dąbrowska. Mit 96 Jahren hat sie auch vor der Kamera über ihre Zeit im KZ berichtet ‒ und das, obwohl sie es lange für unmöglich hielt, das Unsagbare auszusprechen.
„In den ersten 50 Jahren nach der Befreiung war ich ein einziges Mal in Auschwitz. Ich habe es nicht ausgehalten. Als ich das Tor durchquert habe, habe ich die Häftlinge in den überfüllten Baracken vor mir gesehen. Das hat mich überwältigt. Es war traumatisch.“
Und was lässt sich über das Wesen der menschengemachten Hölle trotz allem sagen? „Der Augenblick, der sich bei mir am stärksten eingebrannt hat, war der Eintritt in die überfüllten Blocks. Man hat mir dort alles abgenommen und sogar die Haare abrasiert. In diesem Moment wusste ich, dass sie alles mit mir machen können. Alles. Was sie wollen. Es war der totale Verlust jeder Freiheit und Selbstbestimmung.“
Die Täter
Hitler und Himmler, die NSDAP- und die SS-Führung, Lagerkommandant Höß (bis Ende 1943) und seine Nachfolger, die Männer der sogenannten Totenkopf-SS vor Ort, Chemiker und Mediziner wie der berüchtigte Lagerarzt Josef Mengele, der mit „lebensunwertem Menschenmaterial“ experimentierte: Selbst die Liste der namentlich bekannten Täter ist viel zu lang, um sie alle zu nennen.
Die I.G. Farben, das zeitweise größte Chemie- und Pharmaunternehmen der Welt, zu dem sich 1925 unter anderem Hoechst, Bayer, BASF und Agfa zusammengeschlossen hatten, war mit ihrem Vorstand Otto Ambros an der Planung und Finanzierung ebenso beteiligt wie die Deutsche Bank. Zur historischen Wahrheit gehört im Übrigen auch der Satz: Die Täter waren fast ohne Ausnahme männlich.
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Was kann das Recht?
Zur Verantwortung gezogen wurden in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen und den späteren Auschwitz-Prozessen (ab 1963) nur wenige Täter. Hitler und Himmler entzogen sich durch Selbsttötung. Höß sagte in Nürnberg aus, wo er die technischen Abläufe des Massenmordes in Auschwitz schilderte. Nach seiner Auslieferung an Polen wurde er 1947 hingerichtet.
Adolf Eichmann, der in der SS-Führung den Genozid an den europäischen Juden organisierte, wurde 1960 von Mossad-Agenten in Argentinien aufgespürt, in Israel zum Tode verurteilt und hingerichtet. In der Bundesrepublik galt lange der Grundsatz, dass nur unmittelbar Tatbeteiligte wegen Mordes verurteilt werden konnten. Das Rechtsverständnis änderte sich erst im neuen Jahrtausend, vor allem infolge des Prozesses gegen John Demjanjuk.
Das Landgericht München II verurteilte den ukrainischen KZ-Aufseher 2011 wegen Beihilfe zum Mord an 28.060 Menschen im Vernichtungslager Sobibór zu fünf Jahren Haft. Die deutsche Justiz leitete daraufhin auch neue Auschwitz-Verfahren ein. So verurteilte das Landgericht Lüneburg 2015 den SS-Lagerverwalter Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft. Zu wenig, zu spät? Gröning starb vor Haftantritt.
Todesmärsche und Befreiung
Für die allermeisten Opfer zu spät kamen die sowjetischen Soldaten, die den Lagerkomplex Auschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 befreiten. Rund 7000 kranke und unterernährte Menschen trafen die Befreier noch an, als sie den weitläufigen Komplex mit seinen zuletzt rund 50 Außenlagern erreichten. Sei wurden sofort medizinisch verpflegt, in vielen Fällen zu spät.
Die Waffen-SS hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die meisten der verbliebenen 70.000 Häftlinge erschossen oder nach Westen getrieben, mitten im Winter, zu Fuß, halb verhungert und kaum bekleidet. Die genaue Zahl der Opfer auf diesen „Todesmärschen“ ist nicht bekannt.
Schwieriges Gedenken
2005 erklärten die Vereinten Nationen den 27. Januar zum Internationalen Gedenktag an die Opfer des Holocausts. Nicht ganz leicht tut man sich mit dem Erinnern im heutigen Polen, wo sich die wichtigsten Überreste der deutschen NS-Konzentrations- und Vernichtungslager befinden. Erzürnt sind viele Menschen dort, wenn internationale Medien und Politiker die falsche und fatal irreführende Bezeichnung „polnische Konzentrationslager“ verwenden.
Aber auch das Gedenken an die Befreiung ist in Polen umstritten, wo man nach dem Krieg unter sowjetkommunistische Herrschaft geriet. Ob der russische Präsident Wladimir Putin zum 75. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung nach Polen kommen soll (wenn er denn will), darüber wird derzeit hitzig debattiert.
Wo war Gott in Auschwitz?
Die Frage ist viel zu groß, um überhaupt den Versuch einer knappen Antwort zu unternehmen. Schließlich streiten sich Theologen und Philosophen seit Jahrhunderten über die Frage der Theodizee (Rechtfertigung Gottes im Angesicht des Bösen in der Welt). Mögliche Antwortversuche bleiben wohl immer auch eine persönliche, eine Glaubenssache.
Viele der wenigen Auschwitz-Überlebenden konnten nach 1945 nicht zu Gott zurückfinden. Alina Dąbrowska, die das Vernichtungslager eine Hölle auf Erden genannt hat, beschreibt eine Szene, wie sie in Auschwitz neben einem Berg nackter Leichen eine Schulfreundin wiedergetroffen habe. „Wir haben uns nur stumm die Hand gedrückt. So haben wir ‚Auf Wiedersehen‘ gesagt.“ Immerhin ein Abschied.
Hinfahren, hinsehen und niemals vergessen
Der polnische Staat hat über Jahrzehnte hinweg mit internationaler Unterstützung den Erhalt wichtiger Teile der ehemaligen KZs in Auschwitz und Birkenau gesichert. Seit zehn Jahren existiert zu diesem Zweck die Stiftung Auschwitz-Birkenau, deren Arbeit Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem jüngsten Besuch in der KZ-Gedenkstätte ausdrücklich gewürdigt hat. 2018 besuchten 2,15 Millionen Menschen den weitläufigen Museumskomplex.
„Dieser Ort, der wie kein anderer für das größte Menschheitsverbrechen steht, verpflichtet uns, die Erinnerung wachzuhalten“, erklärte Merkel in Auschwitz. Man könnte auch sagen: Der Ort verpflichtet vor allem uns Deutsche, hinzufahren, hinzusehen und niemals zu vergessen.
Alle nötigen Informationen finden sich auf der Internetseite der Stiftung Auschwitz-Birkenau: auschwitz.org.
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