London. Das erste TV-Duell im britischen Wahlkampf hat einen spannenden Schlagabtausch geliefert. Der Favorit dürfte trotzdem enttäuscht sein.

Bei der ersten TV-Debatte im britischen Wahlkampf hat es einen heftigen Schlagabtausch zwischen dem konservativen Premierminister Boris Johnson und Jeremy Corbyn von der Labour-Partei gegeben. Das Publikum war laut einer Blitzumfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov in der Frage gespalten, wer das Duell für sich entscheiden konnte.

Für Johnson, der als klarer Favorit in die Auseinandersetzung gegangen war, dürfte das eine Enttäuschung sein. Der Premierminister griff seinen Kontrahenten bei der Debatte des Senders ITV immer wieder scharf an wegen des Versprechens eines zweiten Brexit-Referendums. „Werden Sie für den Verbleib oder den Austritt werben?“, fragte Johnson. Die Briten sollen am 12. Dezember ein neues Parlament wählen.

TV-Debatte im britischen Wahlkampf: Labour-Chef Corbyn bleibt vage

Die Labour-Partei will die Briten innerhalb von sechs Monaten in einem Referendum vor die Wahl zwischen einem Brexit mit enger Bindung an die EU und dem Verbleib in der Staatengemeinschaft stellen. Corbyn will sich aber nicht festlegen, ob er für oder gegen den Austritt werben würde. Der Oppositionsführer blieb auch eine klare Antwort schuldig, wie er zu einer zweiten Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Schottlands steht.

Johnson verspricht Brexit im Januar

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    Corbyn konterte mit dem Vorwurf, Johnson wolle den chronisch unterfinanzierten Nationalen Gesundheitsdienst NHS einem Handelsabkommen mit den USA opfern. Den Plan des Premierministers, die EU am 31. Januar 2020 mit seinem nachverhandelten Abkommen zu verlassen, bezeichnete er als „Unsinn“.

    TV-Debatte: Spott für Jeremy Corbyn und Boris Johnson

    Johnson werde „mindestens sieben Jahre“ zum Aushandeln eines Handelsdeals mit Washington brauchen. Auch die Übergangsphase bis Ende 2020 werde nicht ausreichen, um sich auf ein Abkommen über die künftigen Beziehungen mit der EU zu einigen. Tatsächlich ist momentan völlig offen, wie es im Brexit-Drama weitergeht.

    Johnson war stark darauf fokussiert, seinen Gegner zu attackieren. Corbyn hingegen versuchte, mit seiner Sozialpolitik zu punkten. Beide Kontrahenten handelten sich zeitweise den Spott des Publikums ein. Corbyn erntete höhnisches Gelächter, als er seinen Vorschlag einer Vier-Tage-Woche verteidigte. Johnson wurde ausgelacht, als er sich als wahrheitsliebend darstellen wollte.

    Brexit: EU-Austritt ist das wichtigste Thema in diesem Wahlkampf

    Bislang wird der Wahlkampf vom Brexit und der Krise im Gesundheitssystem dominiert. Über die Begrenzung auf die zwei Kontrahenten Johnson und Corbyn hatte es im Vorfeld heftigen Streit gegeben, der vor Gericht landete: Jo Swinson, Spitzenkandidatin der Lib-Dems, wollte juristisch gegen den Ausschluss vorgehen – doch die Liberalen prallten mit ihrem Anliegen vor dem High Court ab.

    Tatsächlich ist der EU-Austritt laut verschiedenen Erhebungen das wichtigste Thema in diesem Wahlkampf, und Johnsons harte Haltung sichert ihm einen guten Teil der Stimmen. Dass seine Rechnung aufgehen könnte, zeigen mehrere Meinungsumfragen: Trotz ihrer holprigen Kampagne liegen die Tories noch immer weit vor der Opposition.

    Meinungsumfragen: Tories liegen noch immer weit vor Opposition

    Um seinen Rückstand bis zum 12. Dezember wettzumachen, macht der Labour-Chef Druck, und zwar mit einem radikalen Programm: Bekannt sind die Pläne, Bahn und Wasserversorgung in staatliche Hand zu nehmen, oder Unternehmensanteile für die Angestellten großer Konzerne einzuführen. Für Aufregung sorgte die Ankündigung, jedem Haushalt einen kostenlosen Internetzugang zur Verfügung zu stellen; dazu soll der Anbieter BT teilweise verstaatlicht werden.

    Zur Finanzierung sind Steuererhöhungen für die reichsten fünf Prozent der Bevölkerung geplant, genauso zusätzliche Abgaben für Großunternehmen und Tech-Konzerne. Was Corbyns Wahlkampf zudem helfen wird, ist seine umgängliche Art: Im Bad in der Menge vermag er natürlicher aufzutreten als sein Kontrahent.

    Unterdessen hat die Brexit-Partei Nigel Farages, die in den Europawahlen im Mai viele EU-Gegner für sich gewinnen konnte, an Zustimmung eingebüßt – viele ehemalige Anhänger sehen anscheinend eine Regierung Johnson als besseren Weg, den Brexit zu verwirklichen. (mit dpa)