Berlin. Das Ringen um den SPD-Vorsitz geht weiter. Für Scholz/Geywitz und Borjans/Esken geht es in die Stichwahl. Die Genossen sind zerrissen.

Das SPD-Spektakel am Rande des Abgrunds geht munter weiter. In den nächsten fünf Wochen wird sich die Partei noch stärker in zwei Lager spalten. Auf der einen Seite die strukturkonservativen Mitglieder, die aus staatsbügerlicher Verantwortung „Erst das Land, dann die Partei“ zähneknirschend Olaf Scholz, Klara Geywitz und damit die Fortsetzung der großen Koalition wählen werden. Auf der anderen Seite wird sich um die Herausforderer Norbert Walter-Borjans (Spitzname Nowabo) und Saskia Esken ein bunter No-GroKo-Club zusammenfinden, der sich „Alle gegen Olaf“ nennen kann.

Juso-Chef Kevin Kühnert wird im linken Flügel alle Hebel in Bewegung setzen, um Scholz zu verhindern. Aus seiner Sicht verkörpert der 61 Jahre alte Vizekanzler mit jeder Faser jene alte SPD-Garde, die die Partei auf unter 15 Prozent abgewirtschaftet hat.

Norbert Walter-Borjans (l.) und Saskia Esken.
Norbert Walter-Borjans (l.) und Saskia Esken. © Getty Images | Carsten Koall

Ganz schlüssig ist die Argumentation nicht. Walter-Borjans, von Kühnert als linker Robin Hood verehrt, hat 67 Lenze auf dem Buckel. Die NRW-Wähler schickten den Düsseldorfer Finanzminister 2017 gemeinsam mit SPD-Landesmutter Hannelore Kraft in Rente. Steht ein Walter-Borjans für Erneuerung, nur weil er ein bisschen linker redet als Scholz, ihm ein paar Steuer-CDs in den Schoß fielen und er die schwarze Null verdammt, von der er in seinem NRW-Etat lange Zeit nur träumen konnte?

Nowabo und Esken ließen bislang nur ein paar linke Luftballons steigen, die hübsch anzuschauen waren. In der Stichwahl müssen sie sich einem harten Realitätscheck unterziehen, ob sie mehr als eine bloße Projektionsfläche sind.

Vizekanzler Scholz und Mitstreiterin Geywitz müssen sich steigern

Scholz wird versuchen, mit der Halbzeitbilanz der Koalition und kraft seiner Regierungsämter vor allem noch Stimmen aus dem Topf jener 47 Prozent zu mobilisieren, die in der ersten Runde aus Desinteresse ihre Briefwahlunterlagen und Online-Zugangscodes ins Altpapier warfen.

Tim Braune kommentiert das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids über den Parteivorsitz.
Tim Braune kommentiert das Ergebnis des SPD-Mitgliederentscheids über den Parteivorsitz. © Reto Klar | Reto Klar

Gemessen an den knapp 426.000 stimmberechtigten Parteimitgliedern kamen Scholz/Geywitz in der Vorrunde auf einen Rückhalt von gerade mal 11,4 Prozent der Basis. Der Vizekanzler und seine blasse Mitstreiterin aus Brandenburg müssen sich gewaltig steigern. Noch immer verfolgt Scholz häufig das unfaire Image eines neunmalklugen Sprechroboters. Dabei hat er während der Regionalkonferenzen an sich gearbeitet. Er tritt freundlicher auf, ist zugänglicher geworden.

Wer wird das Rennen machen? Es sieht nach einem Herzschlagfinale aus. Eine 50:50-Entscheidung. Dabei wird es auch um Fragen gehen, wie weit links sich die SPD von der Mitte entfernen will, und ob die Angst vor Neuwahlen größer ist als der Frust über die große Koalition. Mit welchen Argumenten wollen die GroKo-Gegner vor den Bürgern einen Bruch begründen? Weil die Grundrente hakt? Weil Umfragen und Wahlergebnisse in den Ländern so mies sind?

Scholz sollte Anspruch auf die Kanzlerkandidatur erklären

Das Kandidatenpaar Klara Geywitz (r.) und Olaf Scholz müssen sich in einer Stichwahl dem Duo Borjans/Esken stellen.
Das Kandidatenpaar Klara Geywitz (r.) und Olaf Scholz müssen sich in einer Stichwahl dem Duo Borjans/Esken stellen. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Nicht völlig auszuschließen ist ein Szenario, dass Scholz zwar Ende November die Stichwahl knapp gewinnt und Parteichef wird, die Parteitagsdelegierten Anfang Dezember in Berlin trotzdem der GroKo den Garaus machen. Scholz ist kein Redner, der einen Parteitag in seinem Sinne rocken oder drehen könnte. Der frühere Hamburger Bürgermeister ist ein politischer Kaufmann, der Kosten und Nutzen stets kühl abwägt.

Deshalb sollte Scholz jetzt in der Stichwahl schnell und offensiv seinen Anspruch auf die Kanzlerkandidatur erklären. Seine Umfragewerte sind gut, anders als Walter-Borjans ist er bundesweit bekannt. Würde die SPD im Dezember tatsächlich aus der GroKo aussteigen, könnte Scholz als Parteichef und Spitzenkandidat bei einer absehbaren Neuwahl in das Machtvakuum der CDU stoßen. Eine überrumpelte CDU müsste dann nicht nur eine Merkel-Minderheitsregierung organisieren, sondern unter großen Schmerzen zwischen Kramp-Karrenbauer, Laschet, Merz und Spahn auch die K-Frage entscheiden.