Berlin. Die Klimakrise lässt neue Akteure entstehen. Gruppen wie Extinction Rebellion wollen Druck aufbauen. Absolutismus hilft jedoch keinem.

Jede Umfrage belegt es: Das Zauberwort der deutschen Politik lautet Klimaschutz. Selbst die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat der neuen Ikone der weltweiten Klimabewegung, Greta Thunberg, den roten Teppich ausgerollt.

Aber es gibt ein eklatantes Missverhältnis zwischen dem ökologischen Forderungskatalog der Aktivisten und der Realität. Die internationale Organisation Fridays for Future hat zwar die Politikzentralen vor allem im Westen Europas aufgerüttelt. Grüne Themen stehen oben auf der Agenda. Doch die Umsetzung erfolgt im Schneckentempo.

So hat Fridays for Future das Klimapaket der Bundesregierung in einem offenen Brief als „politische Bankrotterklärung“ kritisiert. Der zunächst vorgesehene Preis von 10 Euro pro Tonne Kohlendioxid sei viel zu niedrig, um den globalen Temperaturanstieg zu begrenzen.

Die Haltung der Deutschen ist keineswegs eindeutig. Sie legen eine bemerkenswerte Doppelmoral an den Tag. Laut ZDF-„Politbarometer“ sind zwar 53 Prozent der Bundesbürger der Meinung, dass das Klimapaket nicht weit genug gehe. Doch wenn es konkret wird, zucken sie zurück. 63 Prozent lehnen einen höheren Benzinpreis ab.

Klimaschutz: Beharrungskräfte sind stark – neue Akteue kommen ins Spiel

Dazu passt, dass die Zahl der neu zugelassenen Autos 2018 mit knapp 3,5 Millionen praktisch gleich geblieben ist. Die deutlichsten Zuwächse wurden bei Geländewagen, Wohnmobilen und Fahrzeugen der Oberklasse verzeichnet.

Die Beharrungskräfte des Status quo sind stark. Aus Frust oder Wut, dass Fridays for Future mit Demonstrationen nicht die sofortige Klimawende gebracht hat, treten neue Akteure auf den Plan.

Michael Backfisch, Politik-Korrespondent.
Michael Backfisch, Politik-Korrespondent. © Reto Klar | Reto Klar

In der kommenden Woche will die Gruppe Extinction Rebellion (auf Deutsch: Rebellion gegen das Aussterben) Protestaktionen in rund 60 Großstädten zwischen London und Sydney durchführen. Auch in Berlin sind Blockaden von Straßen und Brücken vorgesehen.

Auf diese Weise soll die Bundesregierung gezwungen werden, einen „nationalen Klimanotstand“ auszurufen und die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2025 auf die Netto-Null zu senken. Schrittmacher sind demnach Bürgerversammlungen, die der Politik Handlungsanweisungen vorgeben.

Extinction Rebellion: Friedlicher Ungehorsam ist ein schmaler Grat

Auch wenn sich Extinction Rebellion auf das Prinzip des friedlichen Ungehorsams beruft: Der Grat, auf dem sich die Aktivisten bewegen, ist schmal. Man wolle keine „Straftaten“, sondern „maximal Delikte“ begehen, sagen die Organisatoren.

Aber wo ist die Grenze? Wer legt sie fest? Und wer steuert gegen, wenn die Kundgebungen aus dem Ruder laufen? Extinction Rebellion ist auf jeden Fall eine Radikalisierung der Proteste von Fridays for Future. Das Risiko: Je mehr die Bewegung das öffentliche Leben oder gar die Wirtschaft lahmlegt, desto höher ist die Gefahr, dass sie in der Bevölkerung an Zustimmung verliert.

Warnung vor dem moralischen Isolationismus

Zudem muss vor einem Hang zum moralischen Isolationismus gewarnt werden. Selbst die Einführung einer CO2-Steuer im Rahmen eines Klimapakets in Deutschland oder Frankreich würde das Weltklima nicht nennenswert beeinflussen – geschweige denn retten. Um Fortschritte zu erzielen, müssen globale Initiativen gestartet werden. Wenn Metropolen wie Mexico City, Neu-Delhi oder Peking nicht einbezogen werden, ist alles umsonst.

Dieser Kampf kann jedoch nur politisch gewonnen werden. In der öffentlichen Diskussion mag Druck entstehen. Doch der Streit muss in den Parlamenten und Regierungen ausgetragen werden. Das Ringen um Mehrheiten ist mühsam und mit Rückschlägen gepflastert.

Wer hingegen mit der Verabsolutierung von Wahrheit arbeitet, manövriert sich schnell in die Ecke von Sektierern und quasireligiösen Heilsbringern. Kompromisse sind so nicht möglich.