Peking. Am 1. Oktober feiert China sich selbst - mit Militärparade. Doch die Hongkong-Proteste hören nicht auf, die Wirtschaft schwächelt.

In der Großen Halle des Volkes sieht es so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben. Hinter der Tribüne prangt haushoch das Staatswappen der Volksrepublik. Ein prächtiger roter Stern dient als Lichtquelle. Alles ist so choreographiert wie zu Zeiten Mao Zedongs. Doch der ist seit 43 Jahren tot. Die Volksrepublik China gibt es länger mit Kapitalismus als ohne.

Trotzdem wird jedes Jahr im Frühjahr, wenn der Nationale Volkskongresses zusammentritt, an den kommunistischen Ritualen festgehalten. Als würde es das moderne China mit den glitzernden Wolkenkratzern und der Luxus-Mall ein paar Hundert Meter weiter nicht geben.

China feiert 70. Jahrestag mit großer Militärparade

Doch genau das ist es, was die kommunistische Führung ihren Bürgern vermitteln will, wenn sie am 1. Oktober den 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik begeht. Staatschefs Xi Jinping wird die Festrede halten, zudem findet eine große Militärparade statt. Die Botschaft: Ohne die Kommunistische Partei gäbe es kein neues China.

Xi Jinping, Präsident von China, winkt aus einer Limousine während der Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik.
Xi Jinping, Präsident von China, winkt aus einer Limousine während der Parade zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik. © dpa | Mark Schiefelbein

Doch international ist China ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Das Militär wächst mehr als sieben Prozent pro Jahr. Vor allem von den Nachbarstaaten in Südostasien, aber auch von den USA wird dies misstrauisch beäugt. Pekings demonstrativ vorgetragener Anspruch auf Gebiete im Südchinesischen Meer, die Aufschüttung von Inseln, die Erstellung von Landebahnen für Flugzeuge der Luftwaffe stoßen auf Widerspruch.

In Hongkong gehen Bereitschaftspolizisten in Position

Vor allem die seit Monaten andauernden Unruhen in Hongkong haben China den Vorwurf eingetragen, sich immer mehr in eine lupenreine Autokratie zu verwandeln. Vor dem Jahrestag gingen rund um das Kongresszentrum in der Hafen-Metropole Bereitschaftspolizisten in Position. Straßen wurden abgeriegelt. Dennoch war davon auszugehen, dass auch am Dienstag erneut zahlreiche Gegner der Hongkonger Regierung und der kommunistischen Machthaber in Peking auf die Straßen gehen.

Menschenrechtsaktivisten teilten mit, zwei prominente Vertreter der Demokratiebewegung festgenommen worden seien, während die Genehmigung eines Demonstrationszugs vom Touristen- zum Regierungsviertel wegen Sicherheitsbedenken abgelehnt worden sei. Am Wochenende hatten sich Demonstranten und Einsatzkräfte einige der gewalttätigsten Auseinandersetzungen seit Beginn der Anti-Regierungsproteste vor mehr als drei Monaten geliefert.

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Forderungen nach Mitbestimmung werden auch auf dem chinesischen Festland laut

Der Zorn der Demonstranten entzündete sich an Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam, der eine zu große Nähe zur Regierung in Peking vorgeworfen wird. Inzwischen richten sich die Proteste aber auch gezielt gegen Peking. Viele Hongkonger befürchten, dass sie politische Sonderfreiheiten verlieren könnten. Die ehemalige britische Kronkolonie ist seit 1997 eine chinesische Sonderverwaltungszone. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International rügte, Rechte auf Meinungs-, Versammlungs-, Religions- und Pressefreiheit würden seit Jahren in China zunehmend eingeschränkt.

Auch gesellschaftlich wird es für die Führung in Peking schwieriger. Die wachsende Mittelschicht fordert von ihrer Regierung, eine nachhaltigere und sozialere Entwicklung. Forderungen nach mehr Mitbestimmung und Demokratie werden derzeit zwar nur in Hongkong laut. Auch auf dem chinesischen Festland sind immer mehr Menschen gut ausgebildet und wollen mitreden.

Hongkonger Polizei trennt rivalisierende Demonstranten

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    China braucht Hightech-Jobs und jede Menge Investitionen in Bildung und Forschung

    Vor allem aber ökonomisch wird es für die KP-Führung schwer. Für eine Volkswirtschaft ist es sehr viel leichter, vom Niveau eines unterentwickelten Landes zu einem Schwellenland aufzusteigen. Die Regierung muss nur für die entsprechende Infrastruktur sorgen. Arbeitskräfte zu Niedriglöhnen gab es in China lange Zeit im Übermaß.

    Sehr viel schwieriger ist es für ein Land, zu den westlichen Industrieländern aufzuschließen. Denn das erfordert Hightech-Jobs und jede Menge Investitionen in Bildung und Forschung. Mit dem industriepolitischen Programm „Made in China 2025“ peilt Chinas Führung genau das an. Doch ob das ausreicht?

    Der Handelskrieg mit den USA hinterlässt Spuren

    Zweistellige Wachstumsraten wie noch Anfang der 2000er- Jahre sind auch in China lange vorbei. Zudem hinterlässt der Handelskrieg mit den USA seine Spuren, bei dem es längst nicht mehr nur um faire Handelsbeziehungen geht. Die USA sehen in der Volksrepublik einen Rivalen, Washington will die US-Wirtschaft von der der Chinesen entkoppeln.

    Das zeigt sich bereits in den Zahlen. Das Wachstum von Chinas Industrieproduktion legte im August um 4,4 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zu. das ist die geringste Wachstumsrate seit fast zehn Jahren. Der Umsatz im Einzelhandel schwächelt. Und auch die Investitionsbereitschaft hat deutlich nachgelassen. Ökonomen erwarten für das Gesamtjahr nur noch einen Anstieg um 5,8 Prozent. Das wäre der niedrigste Wert seit mehr als 25 Jahren.

    Trump verschiebt Zollerhöhung auf China-Produkte um zwei Wochen

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      Jedes Jahr wandern Millionen Menschen vom Land in die Städte

      Für Europäer mag das immer noch nach viel klingen. Nicht jedoch für China. Die kommunistische Führung mit ihrem staatskapitalistischen Entwicklungsmodell schafft viel Wachstum, indem sie jährlich Millionen von Menschen vom rückständigen Land in die Städte holt. Ein Drittel der chinesischen Bevölkerung lebt nach wie vor von wenig mehr als dem Anbau auf den ihnen zugeteilten Parzellen.

      Die Kalkulation der Führung: Sollen alle Chinesen am Wohlstand teilhaben, kann sich das Land nur eine Landbevölkerung von unter zehn Prozent leisten. Für alle anderen müssen Jobs im Dienstleistungssektor oder der Industrie geschaffen werden. Momentan holt der Staat jährlich zwischen 10 und 20 Millionen Menschen vom Land in die Städte und versorgt sie mit Wohnungen und Arbeitsplätzen.

      Irgendwann im Laufe des nächsten Jahrzehnts wird diese Entwicklung aber zu Ende gehen. Spätestens dann wird sich Chinas Führung wieder neu erfinden müssen.