Berlin. Polizisten halten Fler an. Der Rapper beschimpft die Beamten. Die legen Fesseln an. War das richtig? Wie der Einsatz zu bewerten ist.

Es steckt sehr viel drin in diesen rund sieben Minuten Video. Vor allem Gepöbel und Beleidigungen. Patrick Losensky, der sich in seiner Existenz als Rapper auch Fler nennt, beschimpft Berliner Polizisten, nachdem die Beamten ihn mit seinem weißen Mercedes anhalten. Das Auto – offenbar an Fler von einer Firma verliehen. Zur Probefahrt.

Es ist eine besondere Inszenierung, vielleicht am Ende eine gute PR für Losensky: der Rapper gegen den Staat. Fler beschimpft die Beamten, lässt sich fesseln, weitere Streifenwagen eilen zur Hilfe.

Eine große Show, die der Mann abzieht, alles festgehalten mutmaßlich auf der Handykamera der Begleiterin von Fler. Sieben Minuten Video, wahrscheinlich aus dem Umfeld von Fler selbst landet es im Internet – und dann in den Medien.

Doch hinter der Inszenierung stecken andere Fragen – juristische, polizeitaktische: Was durfte der Rapper in der Situation? Wann begeht er Straftaten? Muss er sich ausweisen? Welche Rechte hatten die Beamten? Unsere Redaktion hat mit der Polizei und zwei Rechtsexperten über den Fall gesprochen – eine etwas andere Videoanalyse.

Rapper Fler gegen die Beamten – die Polizeikontrolle

Die Handyaufnahme beginnt, da steht Losensky bereits neben seinem weißen Mercedes, zwei Beamte um ihn herum, am Randstreifen vom Teltower Damm in Berlin-Zehlendorf. Im Prinzip pöbelt Losensky pausenlos. Mal mehr, mal weniger beleidigend. Und er hat eine Vermutung: Der Polizist habe ihn nur angehalten, weil er den Rapper „Fler“ erkannt habe. Fler inszeniert sich als Opfer.

Nur: Erstmal spielt es laut Straßenverkehrsordnung keine Rolle, ob der Polizist einen konkreten Verdacht hat oder nicht. Anders als etwa als bei einer Personenkontrolle benötigt die Polizei im Verkehr keinen Verdacht. Sie muss auch keine konkrete Gefahr erkennen.

„Sie können also jedes Fahrzeug ohne weitere Begründung in gewissem Rahmen überprüfen und auch die Herausgabe der Fahrzeugpapiere verlangen“, erklärt Professor Clemens Arzt, von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die Experten sind bei ihrer Bewertung vorsichtig. Denn das Video dokumentiert nicht den gesamten Polizeieinsatz, es zeigt nur einen Ausschnitt. Für die Bewertung der Lage ist aber wichtig, auch die Vorgeschichte zu kennen.

Aus Sicht der Experten ist jedoch klar: Die Kontrolle des Rappers war rechtmäßig. Denn, so der Tenor, „allgemeine Verkehrskontrollen“ sind immer möglich, sie dienen der Sicherheit auf den Straßen.

In diesem Fall gibt die Polizei auf Nachfrage unserer Redaktion zudem an, dass die Beamten in dem Streifenwagen den Künstler in seinem Auto erkannt und den Verdacht hätten, er fahre ohne Fahrerlaubnis.

Fahren ohne Fahrerlaub ist kein Kavaliersdelikt, sondern kann mit einer Geldstrafe oder sogar mit bis zu einem Jahr Haft bestraft werden. Wer zwar sein Auto fahren darf, aber seinen Führerschein vergessen hat, begeht nur eine Ordnungswidrigkeit. „Wenn jemand keinen Führerschein hat, dann ist die Polizei befugt, auch den Ausweis zu verlangen“, sagt Experte Arzt.

Im Fall Fler ist für die Polizisten zunächst beides unklar – und Losensky zeigt weder Führerschein noch Personalausweis. Ein Beamter sagt: „Ich habe Sie dreimal aufgefordert, mir Ihre Dokumente auszuhändigen.“ Fler antwortet, er habe keine Dokumente. Dann pöbelt er weiter. „Du neidischer Fanboy!“

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Rapper Fler gegen die Polizei – die Fesselung

Die Situation auf der Straße im Berliner Stadtteil Zehlendorf geht laut Videoaufnahme nach kurzer Zeit in eine neue Stufe der Eskalation. Fler weist sich nicht aus, bepöbelt den Beamten. Allerdings: Losensky wird nicht handgreiflich oder geht auf die Polizisten los. Im Gegenteil: Er legt die Hände hinter seinen Rücken, als die Polizisten ihm die Handschellen anlegen. Ein Experte sieht darin schon Teil einer Inszenierung. Fler habe es auf diese Bilder ankommen lassen. Doch das bleibt eine Vermutung.

Rechtswissenschaftler Arzt sagt: „Unklar ist mir, auf welcher Rechtsgrundlage die Beamten dem Mann Handfesseln angelegt haben. Hierzu müsste die Situation vor dem Anlegen der Handfesseln überprüfbar sein.“

In der im Video erfassten Sequenz sei nicht zu erkennen, dass der Mann die Beamten mit Schlägen oder einem körperlichen Angriff bedrohe. „Allerdings greift er die Beamten verbal hart an, nach meinem Verständnis aber nur in Form einer Beleidigung und nicht einer konkreten Bedrohung.“ War die Handfessel eine überzogene Maßnahme.

Die Polizei begründet die Maßnahme vor allem mit dem „aggressiven Auftreten“ von Patrick Losensky. Die beiden Beamten vor Ort hätten sich bedroht gefühlt, nicht nur durch die Beschimpfungen, sondern auch durch Losenskys Gesten mit den Händen. In der ersten Szene des Videos ist zusehen, wie Fler auf den Beamten zugeht und vor ihm stehenbleibt.

Das Fesseln ist ein Grenzfall, scheint am Ende juristisch jedoch vertretbar. Auch unter Polizisten wurde der Fall nach Informationen unserer Redaktion sowie Medienberichten intern diskutiert. Manche Beamte sagen, sie wären dem Gepöbel „härter und konsequenter“ begegnet.

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Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei sagt: „Handfesseln anlegen ist eine der Zwangsmittel, die Polizisten einsetzen können. Auch zum Eigenschutz.“

Kriminologe und Polizeiforscher Martin Thüne sagt: „Wir kennen die gesamten Umstände nicht, aber eine naheliegende Option wäre gewesen, den Mann zügig ins abgedunkelte Polizeiauto zu setzen. Damit wäre die Situation insgesamt entspannter, und es wäre die Möglichkeit genommen, sich auf offener Straße und vor der Handykamera inszenieren zu können.“ In dem Video wirke es zeitweise so, „als hätte der Rapper die Oberhand“, sagt Thüne.

Rapper Fler gegen die Polizei – die Videoaufnahme

Als die Beschimpfungen durch Losensky nicht stoppen, fragt einer der Polizisten Flers Freundin: „Ist das auch alles auf dem Video?“ Die Aufnahme ist für die Beamten schon jetzt Beweismittel. Es dokumentiert die möglichen Beleidigungen, die später durch die Staatsanwaltschaft verfolgt werden können.

Die Szene hat sich mittlerweile auf den Fußweg verlagert: Den mit Handfesseln fixierten Rapper hält einer der Beamten fest. Losensky läuft hin und her, der Polizist hinterher. Für Außenstehende wirkt das Video an dieser Stelle fast absurd.

Rechtsexperte Clemens Arzt sagt: Nachdem die Polizisten dem Mann Handfesseln anlegen, müsse klar sein, „dass sie diese Situation dann schnell entscheiden müssen“. Zum einen hätten die Beamten Losensky in Gewahrsam nehmen können, „weil angeblich eine Bedrohung von ihm ausgegangen ist“.

Oder die Polizisten hätten die Situation auflösen müssen, „indem sie Personalien aufnehmen und eine Anzeige schreiben“. Arzt sagt: „Doch die Polizisten machen weder das eine noch das andere. Mir ist unklar, welches Ziel sie bei dieser Maßnahme verfolgen.“

Die Taktik der Polizei bleibt auf dem Video uneindeutig. Sicher ist, dass die Polizisten weitere Streifenwagen angefordert haben. Nach einigen Minuten kommen zwei weitere Beamte an, eine Polizistin und ein Polizist. Die Beamtin geht schnell auf die Begleiterin von Losensky zu und fordert diese auf, die Handykamera auszustellen. Die Frau weigert sich kurz – dann endet die Aufnahme, die später im Internet landet.

Für die Beamten ist eine solche Konfrontation mit Videoaufnahmen nicht leicht zu entscheiden. Denn das Filmen von Polizeieinsätzen ist im Grundsatz erlaubt. Es sei denn, durch die Videoaufnahmen wird der Einsatz für die Beamten gefährdet. In dem Video ist das nicht ersichtlich.

Nicht das Filmen selbst, sondern nur das Veröffentlichen der Aufnahmen ist brisant und rechtlich schwierig – vor allem aus Persönlichkeitsrechten der Gefilmten. Dieser Schutz gilt auch für Beamte.

Polizeiforscher Thüne sagt: „Wenn Polizisten den begründeten Verdacht haben, dass ein Video mit dem Ziel einer unrechtmäßigen Veröffentlichung aufgenommen wird, können Sie gegebenenfalls die Löschung verlangen oder sogar das Mobiltelefon sicherstellen.“

Weil die Rechtslage komplex ist, müsse immer der Einzelfall betrachtet werden. Thüne: „Menschen, die Polizeieinsätze filmen wollen, sollten sich jedenfalls im Klaren darüber sein, dass das rechtlich nicht unproblematisch sein und sogar eine Straftat darstellen kann.“

Rapper Fler gegen die Beamten – die Polizeitaktik

Das Video der Verkehrskontrolle wird in den sozialen Netzwerken diskutiert. Dabei stehen sich zwei Meinungen gegenüber: Die Polizisten hätten genau richtig agiert, sich nicht provozieren lassen, sagen die einen. Die anderen sagen: Die Polizei hätte klarere Kante zeigen müssen, sich nicht minutenlang beschimpfen lassen dürfen.

Immer wieder wurden zuletzt Polizeieinsätze kritisiert, weil das Vorgehen der Beamten zu hart oder unrechtmäßig übergriffig gewesen sei. Debatten, die etwa bei den Krawallen beim G20-Gipfel in Hamburg und der Demonstrationen gegen die Rodung des Hambacher Forstes in Nordrhein-Westfalen hochkochten.

Zuletzt erschien eine Arbeit unter der Führung des Polizeiforschers Tobias Singelnstein. Die Wissenschaftler gehen demnach von jährlich mindestens 12.000 Fällen mutmaßlich rechtswidriger Polizeigewalt aus – fünf Mal so viel wie bisher angezeigt.

Gerade von Seiten der Polizeigewerkschaft erntete die Studie, die auch auf einer Online-Befragung von mehr als 1000 Betroffenen von mutmaßlich unrechtmäßigen Polizeieinsätzen beruht, deutliche Kritik. Auch manch ein Polizeiwissenschaftler übt Kritik. Andere Forscher halten die Arbeit für wegweisend, weil Studien zum Thema Polizeigewalt bisher in Deutschland fehlen.

Im Fall der Kontrolle des Rappers Fler ist nun die Kritik eher: Die Polizisten haben dem Mann zu viel durchgehen lassen. Von vielen ernten die Beamten jedoch auch Lob. „Die Beamten lassen sich nicht provozieren, sondern bleiben in der Wortwahl nüchtern und sachlich. Diese Deeskalationstaktik ist zu begrüßen“, sagt Kriminologe Thüne. Ähnlich sieht es Gewerkschafter Jendro. Auch er lobt, dass die Polizisten sich von dem Rapper nicht hätten provozieren lassen.

Auf Losensky alias Fler könnte nun eine Anzeige wegen Beleidigung von Beamten zukommen. Ob das Gericht die Beschimpfungen als Straftat bewertet, wird sich zeigen. Zuletzt hatte eine Entscheidung im Fall der Grünen-Abgeordneten Renate Künast für Aufsehen gesorgt. Das Gericht hielt eine Beschimpfung als „Schlampe“ für „hinnehmbar“.

Der Rapper selbst äußerte sich in den Tagen nach der Kontrolle deutlich leiser. In einem Gespräch mit der Zeitung B.Z. sagte er: „Meine Art war vielleicht überzogen, aber nach den Schikanen der letzten Zeit war ich sehr aufgebracht.“

Allerdings: Fler fuhr nach seinem Ausraster erneut ohne Führerschein.