Erfurt. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow hat Zweifel: Auch er habe bei der Europawahl nicht so genau gewusst, wofür die Linke stehe.

Nach den jüngsten Wahlniederlagen hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow die Linkspartei zu einer grundlegenden Erneuerung aufgerufen. „Ich empfehle meiner Partei, ihren Gebrauchswert neu zu bestimmen“, sagte der Linke-Politiker im Interview mit unserer Redaktion.

Bei der Europawahl wusste ich selbst nicht, wofür wir da so genau stehen.“ Die Linke müsse sich „personell neu sortieren“ und brauche auch eine inhaltliche Diskussion, forderte Ramelow. „Bisher galt die Frontlinie in der Partei: Regieren oder nicht regieren. Und die These war: Wer regiert, verliert“, so Ramelow. „Diese These führe ich in Thüringen gerade ad absurdum.“

Bodo Ramelow will unbedingt noch einmal Ministerpräsident werden

In Thüringen kämpfe er für eine Fortsetzung der rot-rot-grünen Regierung nach der Landtagswahl am 27. Oktober, betonte der Regierungschef. „Und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir es auch schaffen.“ Zugleich kritisierte Ramelow das Nein der CDU zu einer Zusammenarbeit mit der Linken.

„Im Bundesrat sind wir ständig dabei, einvernehmliche Lösungen zu suchen. Nur im Bundestag scheinen einige der Auffassung zu sein, man würde einen Blumentopf gewinnen, wenn man die Linke ausgrenzt“, sagte er. „Im Bundesrat achten wir darauf, dass wir 16 zu null agieren. Und es hat bisher immer funktioniert.“

Wer die AfD-Wähler als rechtsradikal brandmarkt, gewinnt echte „Trotz-Wähler“

Ramelow warnte vor falschen Hoffnungen im Kampf gegen die AfD. „Die schnelle Methode gegen die AfD gibt es nicht“, sagte er. „Wir müssen durch gute politische Angebote überzeugen.“ Wenn man die AfD als Ganzes mit einem rechtsradikalen Etikett brandmarke, führe das nur dazu, dass die Leute sich solidarisierten, warnte er. „Das sind dann echte Trotz-Wähler.“

Bodo Ramelow: „Die neuen Länder bekommen einen Tritt in den Hintern“

Auch macht Thüringens Ministerpräsident deutlich, dass er darauf poche, dass das neue Batterieforschungszentrum statt in Nordrhein-Westfalen in den neuen Bundesländern angesiedelt wird. Die Bundesregierung „täte gut daran, die Entscheidung für den Standort Münster zu revidieren“, sagte der Linke-Politiker. „Das neue Batterieforschungszentrum gehört nach Ostdeutschland.“

Ramelow verwies auf einen Beschluss des Bundestages, wonach Bundesbehörden und Forschungsstätten vorrangig in den Osten zu vergeben, solange sie nicht gleichmäßig im Bundesgebiet verteilt sind. Thüringen habe „zwei starke Einrichtungen für Batterieforschung“, erinnerte der Regierungschef. „Aber wir sind nicht einmal eingeladen worden, uns zu bewerben. Das ist bitter. Einmal mehr bekommen die neuen Länder einen Tritt in den Hintern, und in Westdeutschland heißt es, die da drüben jammern nur rum.“

Mit einem Deutschlandpakt sollen benachteiligte Regionen im Osten gefördert werden

Zugleich forderte Ramelow die Einrichtung eines Fonds, der auch benachteiligten Regionen zugute kommen soll. „Mein Vorschlag zu einem neuen Deutschlandpakt ist, einen steuerfinanzierten Fonds zu bilden“, sagte er. „Die eine Hälfte der Einnahmen soll allen Städten und Gemeinden in ganz Deutschland zukommen für die Integration von Flüchtlingen.

Die andere Hälfte soll der Förderung benachteiligter Regionen dienen.“ 30 Jahre nach dem Mauerfall fühle sich ein erheblicher Teil der Menschen im Osten benachteiligt, gerade bei den Löhnen, sagte Ramelow. „Wenn für die gleiche Arbeit weniger Lohn gezahlt wird als im Westen, wenn eine längere Arbeitszeit verlangt wird, dann führt das zu großer Unzufriedenheit. Das können wir nicht hinnehmen.“

Ramelow fordert eine Neufassung des Klimapakets

Die Bundesregierung fordert Ramelow dazu auf, das Klimapaket grundlegend zu verändern. „Es bringt doch nichts, eine CO2-Bepreisung auf ein falsches System draufzusetzen. Wir müssen nachhaltiger umsteuern“, sagte er. „Wir brauchen eine Umsteuerung, die dazu führt, dass der Bürger auf sein Auto verzichten kann. Aber wir dürfen das Auto nicht diskreditieren.“

Auf die Frage, ob Thüringen das Klimapaket im Bundesrat ablehne, sagte Ramelow: „Ich möchte mit dem Bund darüber reden, wie wir eine Mobilitätsgarantie im öffentlichen Verkehr hinbekommen.“

Ramelow nannte das Regierungskonzept „eine respektable Fleißarbeit“. Allerdings fehlten die entscheidenden Punkte. Als Beispiel führte er den Verkehrssektor an: „Da wird viel schwadroniert über die Frage zur Besteuerung von Billigflügen. Notwendig ist aber eine deutliche finanzielle Entlastung des Schienenverkehrs. Wenn wir eine Schienenoffensive machen wollen, müssen wir die Transportkosten deutlich verbilligen.“

Solidarität für Greta Thunberg: „Sie braucht unseren Schutz“

Der Regierungschef forderte „eine echte Energiewende“ mit einer regionalen Architektur. „Eine kommunale Energiegenossenschaft kann viel leisten. Die großen Energiekonzerne müssen sich entsprechend neu sortieren oder sich hinten anstellen“, sagte er.

Ramelow lobte zugleich die 16-jährige Klima-Aktivistin Greta Thunberg. „Sie hat es geschafft, Millionen von Schülern politisch in Bewegung zu bringen, indem sie stur den Finger in die Wunde einer verfehlten Klimapolitik gelegt hat. Das finde ich großartig“, sagte er. Zudem habe er großen Respekt davor, dass Thunberg „offen mit ihrem Handicap Asperger umgeht“, so der Regierungschef. „Umso schlimmer finde ich, wie sie von einigen inzwischen zur Hassfigur gemacht wird. Da braucht sie unseren Schutz.“