Hildesheim. Professorin bemängelt: 19 Prozent aller Kinder können nicht richtig lesen und schreiben. Das habe mit den Methoden der Lehrer zu tun.

Mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland können nicht oder nicht gut lesen und schreiben. Das sind zwölf Prozent aller deutschsprachigen Erwachsenen. 2010 waren es noch 7,5 Millionen Menschen. Das zeigt eine Studie der Universität Hamburg.

Und doch warnen Experten am Welt-Alphabetisierungstag (8. September) davor, dass zu viele Deutsche noch immer nicht ausreichend lesen und schreiben können. Und dass über dieses Thema zu wenig öffentlich debattiert werde. Schon bei jungen Kindern beginne das Problem, sagt nun die Hildesheimer Sprachwissenschaftlerin Ursula Bredel.

Demnach können rund 19 Prozent aller Kinder in Deutschland nach der Grundschule nicht ausreichend lesen und schreiben. Das liege auch an der Lehrerbildung, hob die Professorin für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Hildesheim gegenüber dem Evangelischen Pressedienst hervor.

Das kritisiert die Forscherin:

  • Die niedersächsische Ausbildungsverordnung etwa erlaubt es Lehrkräften bislang, an Grundschulen zu arbeiten, ohne Deutsch studiert zu haben
  • So unterrichten oft Fachfremde als Klassenlehrer das Fach
  • Insgesamt bekommen Lehrerinnen und Lehrer in ihrer Ausbildung zu wenig fachliches Wissen, um zu verstehen, was die Kinder am Lernen hindert
  • Viele gängige Lehrmethoden und Schulmaterialien sind aber fehlerhaft

Professorin kritisiert Lernmethoden – Kinder gelangen ins Abseits

Eines der größten Probleme sei die weit verbreitete Annahme, dass die Schrift das Gesprochene abbilde, so Professorin Bredel.

Dabei werde den Lernenden gesagt, um ein Wort zu lesen, müssten sie lediglich jedem Buchstaben einen Laut zuordnen und die Laute anschließend zusammenfügen. Mit dieser Methode entstünden jedoch keine Wörter, sondern Lautfolgen, die kaum Ähnlichkeit mit den gemeinten Wörtern hätten.

So sei weder in „roh“ noch in „Ohr“ ein „h“ zu hören. Und das „r“ sei zwar in „roh“, nicht aber in „Ohr“ hörbar. Kinder, die sich auf eine solche Logik verließen und deshalb die Logik der Schrift nicht von sich aus entdeckten, gerieten schnell ins Abseits.

Darunter litten vor allem Kinder aus Elternhäusern, in denen kaum vorgelesen werde oder Hörbücher gehört würden, sagte Bredel. B ei Kindern aus zugewanderten Familien verstärkten sich die Probleme, weil sie häufig nicht sicher genug auf die deutsche Sprache zurückgreifen könnten.

Gerade für Geflüchtete stellt das Lernen der deutschen Sprache eine große Herausforderung dar. Integrationskurse des Bundesamtes sollen helfen, doch es fehlt an gut qualifizierten Lehrenden und passendem Unterrichtsmaterial, wie ein Bericht unserer Redaktion zeigt.

19 Prozent der Viertklässer haben Migrationshintergrund

Von den Viertklässlerinnen und Viertklässlern, die 2016 an der „Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung“ (Iglu-Studie) beteiligt waren, hatten 19 Prozent einen Migrationshintergrund. Bei der Vorgänger-Studie 2011 waren es 16 Prozent.

„Je nachdem, was die Kinder von zu Hause mitbringen, kommt es schon in den ersten Schuljahren zu einer riesigen Spaltung“, erläuterte Bredel. Allein deshalb müssten Lehrkräfte fort- und weitergebildet und vor allem die Seiteneinsteiger eng begleitet werden. Notwendig seien auch bessere Schulbücher.

Aufgrund des akuten Personalmangels könnten sich die Schulen aber nicht selbst helfen, betonte die Wissenschaftlerin. „Da ist die Politik gefragt: Die Schulen brauchen strukturierte Unterstützung.“

Vereinte Nationen betonen Bedeutung von Alphabetisierung

Die Vereinten Nationen heben am Welt-Alphabetisierungstag hervor, dass die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben und die Überwindung von Armut sei.

Das gelte für Deutschland, noch viel mehr allerdings für viele Regionen gerade in Afrika und Nahost. Weltweit gibt es laut Vereinte Nationen mehr als 750 Millionen Analphabeten , fast zwei Drittel von ihnen sind Frauen und Kinder.

Insgesamt erhalten weltweit 3,7 Millionen Flüchtlingskinder im Schulalter keine Form von Bildung. Viele von ihnen leben in Langzeitkrisen und haben daher keine Aussicht auf eine baldige Rückkehr. (epd/fmg)