Luxemburg/München. Vor dem obersten EU-Gericht startet eine spektakuläre Verhandlung. Die entscheidende Frage dabei: Ist Zwangshaft für Politiker möglich?

Der Streit um Diesel-Fahrverbote wird immer härter: Jetzt müssen Richter sogar die Frage klären, ob der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) ins Gefängnis muss – weil er Diesel-Fahrverbote im Freistaat um jeden Preis verhindern will.

Am Dienstag beschäftigt der spektakuläre Fall den Europäischen Gerichtshof (EuGH). In einer mündlichen Verhandlung werden die 15 Richter erörtern, ob nach EU-Recht Zwangshaft gegen Söder und andere Amtsträger angeordnet werden kann – oder sogar muss.

Deutsche Umwelthilfe beharrt auf Zwangshaft

Initiator des Verfahrens ist die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die mit Dutzenden Klagen Diesel-Fahrverbote in deutschen Städten erzwingen will. Dass jetzt sogar Politikern Gefängnis angedroht wird (nicht als Strafe, sondern als Beugemittel), klingt zunächst nach einem PR-Gag. Doch inzwischen ist daraus ein ernsthafter juristischer Fall geworden – den das oberste EU-Gericht sogar als vordringlich eingestuft hat und deshalb besonders zügig behandelt.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte dem EuGH das heikle Problem im vergangenen November in einem Vorentscheidungsersuchen vorgelegt: Was tun, wenn die bayerische Regierung Verpflichtungen zur Luftreinhaltung in der Landeshauptstadt München nicht nachkommt?

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von einem externen Anbieter, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Regierung setzte Gerichtsurteil nicht um

Schon 2012 hatte das Verwaltungsgericht München entschieden, auch Diesel-Fahrverbote sollten in den Luftreinhalteplan für München aufgenommen werden, um die Stickstoffdioxid-Belastung so schnell wie möglich zu reduzieren – die Staatsregierung müsse den Plan entsprechend ändern. Nachdem die Regierung dies unterließ, verhängte das Gericht ein Zwangsgeld in der maximalen Höhe von 10.000 Euro gegen den Freistaat. Auch das blieb folgenlos, das Geld überwies der Freistaat an sich selbst.

Schließlich landete der Fall beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof. Alle bisherigen Maßnahmen hätten die bayerische Regierung nicht zum Einlenken gebracht, dies sei auch weiter nicht zu erwarten, erklärten die Richter in ihrem Ersuchen an das oberste EU-Gericht. Das deutsche Recht sehe Zwangshaft gegen Amtsträger nicht vor. Andererseits gegen es um grundsätzliche Fragen der Rechtsstaatlichkeit und des EU-Rechts. Die gezielte Missachtung rechtskräftiger Entscheidungen durch die öffentliche Gewalt sei auch mit dem Recht der EU unvereinbar.

Umwelthilfe: „Enorme Bedeutung für den Rechtsstaat“

Deshalb wollen die bayerischen Verwaltungsrichter vom EU-Gericht wissen, „ob die Anordnung einer Zwangshaft gegenüber staatlichen Amtsträgern zur Durchsetzung einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung unionsrechtlich möglich beziehungsweise geboten ist.“

Der Verwaltungsgerichtshof hat dabei nicht nur eine „zeitlich begrenzte“ Zwangshaft gegen Ministerpräsident Söder und Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) im Blick, sondern auch gegen leitende Beamte des Ministeriums und der Bezirksregierung von Oberbayern.

Immunität schützt Abgeordnete, nicht aber die Beamten

Bei den Mitgliedern der Regierung und des Landtags vermuten die Richter, dass sie durch Immunität geschützt sein könnten, für Beamte träfe das nicht zu. Dass Söder und sein Umweltminister tatsächlich ins Gefängnis kommen, ist nicht zu erwarten – es sei denn, sie legten es darauf an.

Im Notfall würde die Staatsregierung vorher frühere Gerichtsurteile doch umsetzen und den Luftreinhalteplan ändern, dann wäre die Zwangshaft vom Tisch, vermutet auch die Deutsche Umwelthilfe. Aber, sagt Umwelthilfe-Geschäftsführer Jürgen Resch: „Die Verhandlung ist von immenser Bedeutung für unseren Rechtsstaat.“ Nationalen Gerichten müsse es erlaubt sein, wirkungsvoll gegen Politiker vorzugehen, die Entscheidungen der Justiz ignorierten.

Auch in Baden-Württemberg wird Politikern mit Gefängnis gedroht

Die Deutsche Umwelthilfe hat den Druck auf die Politik inzwischen erhöht: Auch in Baden-Württemberg will sie Politiker mit Gefängnis drohen – Beugehaft hat die Organisation erst vor wenigen Wochen gegen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), Innenminister Thomas Strobl (CDU) und den Stuttgarter Regierungspräsidenten Wolfgang Reimer beantragt, um ein Fahrverbot auch für Euro-Diesel-5 in Stuttgart durchzusetzen. Das hatte das Verwaltungsgericht Stuttgart 2017 entschieden, umgesetzt ist das Urteil aber bis heute nicht.