Warschau. Bundespräsident Steinmeier gedachte am Sonntag in Polen der Opfer des NS-Vernichtungskrieges, der am 1. September 1939 begann.

Alles begann in Wielun. Am frühen Morgen des 1. September 1939 erreichten die ersten Sturzkampfbomber der deutschen Luftwaffe die zentralpolnische Kleinstadt und zerstörten sie. 1200 Menschen starben. Das war um 4.37 Uhr, kurz bevor in Danzig der historische Beschuss der Westerplatte begann.

Genau deswegen aber, weil das erste Kriegsverbrechen der Wehrmacht noch immer kaum bekannt ist, reiste Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Sonntag zunächst nach Wielun, um der Opfer des NS-Vernichtungskrieges zu gedenken, bevor er zu den zentralen Feierlichkeiten nach Warschau weiterfuhr. Im Zweiten Weltkrieg starben Millionen Menschen. „Es waren Deutsche, die in Polen ein Menschheitsverbrechen verübt haben“, sagte Steinmeier im Morgengrauen in Wielun. „Ich bitte um Vergebung für Deutschlands historische Schuld.“

Polens Präsident Duda dankt Steinmeier für ehrliche Aufarbeitung

Es waren einfache, klare Sätze, mit denen der Bundespräsident 80 Jahre nach dem Weltkriegsbeginn keine Zweifel an dem Unermesslichen der deutschen Schuld aufkommen ließ. In Warschau sagte er zudem: „Ich bekenne mich zu unserer bleibenden Verantwortung.“ Seine Bitte um Vergebung wiederholte Steinmeier mehrfach, auch auf Polnisch.

Unter Anspielung auf den mittelalterlichen deutschen König Otto, der als einfacher Pilger nach Polen gekommen war, bekannte der Bundespräsident seine Demut: „Ich stehe barfuß vor Ihnen, beseelt vom Geist der Versöhnung, den Polen uns geschenkt hat.“

Gastgeber Andrzej Duda dankte Steinmeier dafür, dass er sich der Wahrheit stelle: „Der Zweite Weltkrieg war ein großes Verbrechen.“ Der polnische Präsident unterstrich damit, was Umfragen belegen: Eine große Mehrheit seiner Landsleute sieht das Leid der eigenen Nation auch 80 Jahre nach dem Beginn des Weltkriegs noch immer nicht ausreichend anerkannt. Vor allem in Deutschland nicht.

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Mahnmal für polnische Kriegsopfer in Berlin

Das Motiv der Würdigung der polnischen NS-Opfer zog sich am Sonntag wie ein roter Faden durch alle Gedenkreden, in Wielun, in Warschau und auch in Berlin. In der deutschen Hauptstadt warben Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble und seine polnische Kollegin, die Sejm-Marschallin Elzbieta Witek, vor der Kriegsruine des Anhalter Bahnhofs für die Errichtung eines Mahnmals, das explizit an die sechs Millionen Toten erinnern soll, die Polen nach dem Ende des Krieges zu beklagen hatte, darunter drei Millionen polnische Juden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht bei den Gedenkfeierlichkeiten der Stadt Wielun zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs. Die Stadt Wielun wurde beim deutschen Überfall auf Polen als erster Ort am frühen Morgen des 1. September1939 durch deutsche Sturzkampfbomber angegriffen und größtenteils zerstört.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht bei den Gedenkfeierlichkeiten der Stadt Wielun zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs. Die Stadt Wielun wurde beim deutschen Überfall auf Polen als erster Ort am frühen Morgen des 1. September1939 durch deutsche Sturzkampfbomber angegriffen und größtenteils zerstört. © dpa | Bernd von Jutrczenka

Die Idee eines Denkmals für Polen stammte ursprünglich von dem Auschwitz-Überlebenden Wladyslaw Bartoszewski, der sich nach dem Krieg unermüdlich für die deutsch-polnische Aussöhnung eingesetzt hatte. In Deutschland griff vor zwei Jahren eine private Initiative um den Stadtplaner Florian Mausbach den Gedanken auf. Inzwischen haben sich 240 Bundestagsabgeordnete aller Parteien außer der AfD dem Aufruf angeschlossen, der allerdings nicht unumstritten ist. So warnt der SPD-Politiker Markus Meckel vor einer „Nationalisierung des Gedenkens“

In Polen hatte die rechtskonservative PiS-Regierung die Erinnerung an den Weltkrieg zuletzt politisch zu nutzen versucht. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki und PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski forderten verspätete Reparationen von Deutschland. Es handele sich „um eine Frage von Verantwortung und Moral“. Morawiecki wolle der Bundesregierung demnächst „eine Rechnung vorlegen“. Von einer Billion Euro ist die Rede. Die Regierung in Berlin lehnt das unter Verweis auf das Völkerrecht ab.

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Russlands Präsident Putin war nicht zu Gedenkfeier geladen

Schwierig bleibt das Verhältnis zu Russland. In scharfen Worten rief Duda den Zuhörern ins Gedächtnis, dass nach dem Überfall der Wehrmacht Anfang September 1939 „auch die Sowjetarmee hinterhältig in Polen einfiel und mehr als 20.000 unserer Offiziere bestialisch ermordete“. Die Idee, den russischen Präsidenten zu den Gedenkfeiern einzuladen wie 2009, am 70. Jahrestag des Weltkriegsbeginns, hatten die polnischen Gastgeber diesmal von vornherein verworfen.

Stattdessen war unter den rund 40 Staats- und Regierungschefs neben Steinmeier Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auch US-Vizepräsident Mike Pence, der in seiner Rede den unbedingten Freiheitswillen des polnischen Volkes herausstrich. Pence war kurzfristig für den amerikanischen Präsident Donald Trump eingesprungen, der wegen einer akuten Hurrikanwarnung in den USA das Land nicht verlassen wollte. Pence stellte ebenfalls einen Bezug zu Russland her, indem er die Nato lobte: „Ein starkes Bündnis freier und unabhängiger Staaten ist die beste Form der Verteidigung.“