Berlin. Eine ganze Politikergeneration hat Lehren aus den Zweiten Weltkrieg gezogen. Diese Lehren aktuell zu halten, wird wieder wichtiger.

Am Sonntag vor 80 Jahren begann der Zweite Weltkrieg. Vom ersten Tag an war er ein Vernichtungsfeldzug. Man denkt an die Schrecken des Krieges, an den Völkermord, an die Millionen Toten. Von diesem Jahrestag kann nur eine Botschaft des Friedens ausgehen.

Die größte Sorge ist, dass der Frieden zu selbstverständlich geworden ist; dass Jubiläen zu Ritualen werden und Mahnungen in Vergessenheit geraten. Wer sich umschaut, sieht die Erosion alter Ordnungen – zum Beispiel mit dem „Brexit“ – und das Aufflackern von Gewalt wie etwa in Syrien.

Miguel Sanches kommentiert das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg.
Miguel Sanches kommentiert das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg. © FUNKE Foto Services | Reto Klar

Nationalismus und Rassismus sind auf dem Vormarsch, Partikularismus auch. Oder kann man sich an irgendeinen US-Präsidenten erinnern, der so geschichtsvergessen agiert, Partikularinteressen so respekt- und rücksichtslos vertreten und Bündnisse en passant für obsolet erklärt hat wie Donald Trump?

Kriegserfahrung des Zweiten Weltkrieges hat politische Generation geprägt

Die Frage, ob die Menschheit nichts gelernt hat, hätte man um die Jahrtausendwende verneint. Aber seither haben wir eine Renaissance des Nationalismus erlebt. Die Risse in der Europäischen Union sind unübersehbar. Es ist, als wäre kollektiv in Vergessenheit geraten, was wir an Europa haben. Und zumindest auf die Mehrheit der Briten trifft das ausweislich des Brexit-Referendums zu. Sie schätzen Europa gering. Der Frieden genügt ihnen nicht mehr als politische Rendite.

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    Vom 1. September 1939, dem Tag des Überfalls auf Polen, sollte man eine Linie zum 8. Mai 1945 ziehen. Es ging nicht nur die NS-Herrschaft, sondern auch das 1871 von Bismarck gegründete Deutsche Reich unter. Für Deutschland hätte die Zäsur nach dem Krieg kaum größer sein können.

    Die Kriegserfahrung hat die Sinne einer ganzen politischen Generation geschärft, sie hat vieles richtig gemacht: Die Aussöhnung mit Frankreich, quasi ein Prozess der Entfeindung, wie auch die Einbindung der Bundesrepublik in Nato und EU, die die Nationen nicht überwunden, aber überwölbt hat. Insgesamt überwiegen die Vorteile, der größte von allen ist der Frieden in Europa.

    Versöhnung mit Polen genau so wichtig wie mit Frankreich

    Wenn man sich fragt, wie es am 1. September 1939 zum Kriegsausbruch kommen konnte, dann lautet eine der Antworten: Zwischen dem Ende des Ersten Weltkriegs 1918 und 1939 haben alle zu wenig für den Frieden getan, für die Versöhnungsprozesse zwischen Nachbarstaaten. In den Beziehungen zu Frankreich ist das Versäumnis nach 1945 nicht wiederholt worden.

    Aber das nicht minder sensible deutsch-polnisches Verhältnis könnte besser sein. Da ist einiges im Argen. Die Forderungen nach Reparationszahlungen, 80 Jahre nach Kriegsende, sind eine Belastung, eine Zumutung.

    Polen hat eine besondere Empfindsamkeit. Das Land hat nicht den größten Blutzoll im Zweiten Weltkrieg geleistet – das hat die einstige Sowjetunion –, aber die Polen haben am längsten gelitten. Obendrein nutzte Hitler ihr Land „als Laboratorium für seinen Rassenwahn“, wie es der frühere Bundespräsident Joachim Gauck formuliert hat.

    Die Versöhnung zwischen Deutschland und Polen hat eine genauso große Bedeutung wie die mit Frankreich. Die Völker sind historisch verbunden, im Negativen wie im Positiven, wenn man an die Freiheitsrevolution des Jahres 1989 denkt, die ihren Vorläufer in der Solidarnosc-Bewegung in Polen hatte. Es ist kein Zufall, dass ein Mann wie Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sich in diesen Tagen für ein Mahnmal in Berlin ausgesprochen hat, das an die polnischen Opfer des NS-Terrors erinnern soll.

    Deutschland ist kein bedrohlicher Nachbar mehr, sondern ein verlässlicher Partner geworden. Diese Partnerschaft erfordert viel Geduld, Einfühlungsvermögen, Respekt und politische Hingabe. Vielleicht hat man das schleifen lassen.