Berlin. 2018 verkündete die Bundesregierung eine umfassende Digitalisierungsstrategie. Wirtschaft und Opposition wollen Ergebnisse sehen.

Einen Mangel an Selbstironie kann man Dorothee Bär jedenfalls nicht vorwerfen. „Endlich mal wieder Einsatz an der Flugtaxi Front“ schreibt die CSU-Politikerin vor einigen Tagen auf Insta­gram, dazu ein kleines Flugzeug- und Taxi-Emoji. Auf dem danebenstehenden Bild steht sie in der Fertigungshalle eines baden-württembergischen Unternehmens, das ebensolche Luftfahrtgeräte herstellt.

Es ist eine Anspielung auf den Anfang ihrer Amtszeit, als Bär in einem Interview sagte, Digitalisierung, das sei ja nicht nur Breitbandausbau. Das seien eben auch Flugtaxis. Flugtaxis, spotteten die Kritiker damals, wie wär’s, wenn ihr erst mal vernünftigen Handyempfang flächendeckend auf die Reihe kriegt?

Wie hat die Regierung die Digitalisierung vorangebracht?

CSU-Politikerin Bär ist Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt. Sie ist das Gesicht der Bundesregierung bei einem Thema, das wie kaum ein anderes jeden Lebensbereich erfasst. Entsprechend groß war im vergangenen Jahr das öffentliche Engagement der großen Koalition zum Thema: Neben einem Digitalrat – einer beratenden Expertenrunde – und einer Datenethik-Kommission versammelte sich im vergangenen Sommer zum ersten Mal ein eigener Kabinettsausschuss zum Thema, das sogenannte Digitalkabinett. Mitglieder: die Kanzlerin, alle Minister und Ministerinnen, Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und eben Dorothee Bär. Doch was hat sich seitdem getan?

Das bislang konkreteste Ergebnis aus den insgesamt drei Treffen des Digitalkabinetts ist die sogenannte Umsetzungsstrategie der Bundesregierung. Unter dem Titel „Digitalisierung gestalten“ sind da auf 170 Seiten Vorhaben aus allen Ministerien versammelt, mit denen die Häuser ihre Arbeit in das 21. Jahrhundert ziehen wollen. Viele tragen das Jahr 2019 als Zielmarke, andere 2020 oder die Jahre darauf.

Erfolg der Digitalstrategie soll messbar sein

Die Pläne reichen vom eher Überschaubaren – etwa die „Digitalisierung des nationalen Filmerbes“, Start des Förderverfahrens planmäßig 2019 – bis zum sehr Grundlegenden – das „Digitalisierungsprogramm Föderal“, das zum Ziel hat, bis 2022 575 Verwaltungsleistungen für Bürger online zugänglich zu machen.

Ob die Ziele, die in der Strategie definiert sind, erreicht werden, soll messbar sein, erklärte eine Sprecherin von Staatsministerin Bär. Aktuell würden deshalb Indikatoren entwickelt, an denen sich der Stand der Umsetzung messen lassen soll.

Breitband-Atlas zeigt, wie Internetgeschwindigkeiten in Deutschland sind

Bislang sind die Ministerien allerdings sparsam mit Informationen zur Umsetzung ihrer Pläne. Das Bildungsministerium, federführend mit zuständig für die Strategie, mit der Deutschland zu einem führenden Standort auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz werden soll, macht keine Angaben dazu, wie weit man gekommen ist mit diesem Plan seit seiner Ausrufung im Herbst. Das Bundesverkehrsministerium, das gleichzeitig auch ein Infrastrukturministerium ist, will bis 2025 ganz Deutschland mit „superschnellem Internet“ versorgen, kann aber nicht sagen, wie viel da noch zu tun bleibt.

Hintergrund: So sieht der Plan zur Rettung abgehängter Regionen aus

Einen Anhaltspunkt bietet der Breitband-Atlas auf der Webseite des Ministeriums: Eine interaktive Deutschlandkarte informiert da – bis auf den Straßenzug genau –, welche Internetgeschwindigkeit wo verfügbar ist. Schon bei 50 Megabit pro Sekunde sind da viele blaue Flecken auf der Karte, die angeben, dass weniger als die Hälfte der Haushalte so schnell surft. Bei einem Gigabit pro Sekunde – der Geschwindigkeit, die laut Ministerium spätestens in sechs Jahren überall verfügbar sein soll – sind ganze Bundesländer in dunkles Blau getaucht.

Staatssekretärin Bär ist „insgesamt zufrieden“

Dorothee Bär sieht die Bundesregierung trotzdem auf einem guten Weg. „Es kann mir natürlich fast nie schnell genug gehen“, sagt sie unserer Redaktion. „Insgesamt bin ich aber zufrieden mit dem Tempo, das wir alle gemeinsam in der Bundesregierung nun schon seit über einem Jahr auf die Straße bringen.“

Aktuell würden viele Projekte systematisch umgesetzt, erklärt Bär und nennt als Beispiele unter anderem den beschlossenen Digitalpakt Schule, die Versteigerung der 5G-Frequenzen und Experten, die schon jetzt in Kompetenzzentren dem Mittelstand künstliche Intelligenz näherbringen. „Das ist ein großer Fortschritt gegenüber vorherigen Legislaturperioden“, sagt Bär.

Warum die Opposition ein Digitalministerium fordert

Doch ist schneller als früher schnell genug? Ist es nicht, sagt die Opposition. „Uns läuft bei der Digitalisierung die Zeit davon“, sagt Manuel Höferlin, digitalpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. „Die große Koalition hat da eine hervorragende Analyse geliefert, was passieren muss, aber die Umsetzung fehlt.“ Nicht einmal einheitliche Zahlen, wie viele Leute innerhalb der Regierung am Thema arbeiteten, gebe es, sagt der FDP-Politiker.

Die Liberalen sprechen sich seit Längerem für ein eigenes Digitalministerium aus – und sehen sich durch die aktuelle Situation bestätigt, sagt Höferlin. Die Koordinierung im Kanzleramt funktioniere nicht, Kanzleramtschef Helge Braun sei „Digitalminister im Nebenjob“ und Staatsministerin Bär könne ohne Gesetzgebungskompetenzen und ausreichend Mittel wenig ausrichten. „Jeder kocht sein eigenes Süppchen, und viele Projekte werden in der Ressortabstimmung zerrieben“, sagt Höferlin.

Ähnlich fällt die Analyse der Grünen aus: „Viel angekündigt, kaum was umgesetzt“, bilanziert Tabea Rößner, digitalpolitische Sprecherin der Fraktion. Die Umsetzungsstrategie sei „eine Enttäuschung und ein leidenschafts- und visionsloser Flickenteppich“, vieles bleibe vage und schwammig. In der Vergangenheit sei sie gegen ein Digitalministerium gewesen, sagt Rößner. Mittlerweile denke sie allerdings, dass ein solch wichtiges Haus „unter einer ambitionierten Leitung“ vielleicht doch mehr bewirken könnte.

Wirtschaft fordert Rechtssicherheit beim Umgang mit Daten

Auch in der Wirtschaft wächst die Ungeduld. Die Bundesregierung müsse nach fast zwei Jahren im Amt liefern, drängt der Bundesverband der Deutschen Industrie: „Die Wirtschaft braucht schnellstmöglich Klarheit und Rechtssicherheit im Umgang mit Daten und Algorithmen“, sagt Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, unserer Redaktion. Das Thema E-Government zum Beispiel habe erhebliches Potenzial, das Leben von Bürgern und Unternehmen zu entlasten und Milliarden zu sparen. „Dennoch steht die Bundesregierung auch hier nur an der Startlinie und hat sich noch nicht einmal in den Startblock begeben.“

Mit der abgelaufenen 5G-Frequenzversteigerung habe die Bundesregierung erhebliche Mittel eingenommen, erklärt Plöger. „Sie muss dieses Geld jetzt in den Breitbandausbau investieren und die selbst gesetzten Ausbauziele noch in dieser Legislatur erreichen.“