Berlin. Anja Karliczek wird vorgeworfen, bewusst Fördergeld in ihre Heimatregion gelenkt zu haben. Die Forschungsministerin wehrt sich dagegen.

Es klingt nach Vetternwirtschaft: Bundesforschungsministerin Anja Karliczek vergibt 500 Millionen Euro für ein neues Entwicklungszentrum für Batterietechnologie – und wer bekommt den Zuschlag? Der Bewerber aus ihrer Heimatregion.

Münster in Westfalen soll Standort für die neue Forschungsfabrik werden. Die Ministerin stammt aus dem benachbarten Ibbenbüren, die Region ist ihr Wahlkreis. Doch der Fall ist in Wahrheit komplizierter.

Am Mittwoch verteidigte die CDU-Politikerin die Entscheidung vor den Fachpolitikern des Bundestags. Münster sei einfach der beste Bewerber gewesen. Doch sie räumte auch ein: Am Ende zogen politische, nicht nur fachliche Argumente.

Anja Karliczek steht nicht zum ersten Mal unter Druck

Karliczek kämpft seit ihrem Amtsantritt vor anderthalb Jahren gegen den Eindruck, sie sei dem Amt nicht gewachsen, würde sich in der Forschungswelt nicht auskennen, sei mehr Verwalterin als Gestalterin. Durch die heikle Entscheidung bei der Batterieforschung steht sie nun erneut unter Druck.

Der Zuschlag für Münster war Ende Juni gefallen – und hatte für massiven Protest gesorgt. Warum profitiert ausgerechnet Münster, obwohl mit Ulm, Augsburg und Salzgitter drei hochqualifizierte Bewerber in der letzten Runde gewesen waren, fragten Kritiker. Es kursierte zudem die Behauptung, die Mitglieder einer eigens eingesetzten Expertenkommission hätten sich ausdrücklich für andere Standorte ausgesprochen.

Söder und Kretschmann fordern eigenes Forschungsprojekt

In einem Brief an die Kanzlerin beschwerten sich die Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersaschen über die Entscheidung gegen ihre Regionen: Die fachlichen Gründe der Entscheidung müssten „transparent und nachvollziehbar“ dargelegt werden, schrieben Markus Söder (CSU), Winfried Kretschmann (Grüne) und Stephan Weil (SPD).

Söder und Kretschmann fordern nun zusammen 200 Millionen Euro für ein eigenes Batterie-Forschungsprojekt im Süden. So viel dürfte es nicht geben – doch sicher ist: Die 500 Millionen Fördergelder gehen nicht komplett nach Münster, auch die unterlegenen Standorte sollen etwas abbekommen, für Ulm etwa sind rund 50 Millionen Euro im Gespräch.

Fraunhofer-Gesellschaft stützt Karliczeks Aussagen

Vor dem Forschungsausschuss des Bundestags erklärte Karliczek, die Experten-Kommission habe zu keinem Zeitpunkt eine Empfehlung für einen bestimmten Standort abgegeben. Sie habe auch keine Rangliste erstellt. Anderslautende Berichte seien schlicht falsch.

Diese Version wird durch eine Stellungnahme der beteiligten Fraunhofer-Gesellschaft gestützt, die Karliczeks Haus am Mittwoch öffentlich machte: Darin heißt es, es habe in der abschließenden Sitzung der Gründungskommission kein abschließendes gemeinsames Votum gegeben. „Die finale Entscheidung wurde durch die Vertreter der Ministerien getroffen.“

An dieser Stelle kommt nun das Wirtschaftsministerium ins Spiel: Weil sich die Experten nicht auf einen Standort einigen konnten, habe man noch mal die Kriterien für die Entscheidung verschärft – nun wurden die ökologische Nachhaltigkeit, also ein Recyclingkonzept für die Forschungsbatterien, und der erwartete volkswirtschaftliche Nutzen miteinbezogen. Das Wirtschaftsministerium hatte sich daraufhin offenbar klar für Münster ausgesprochen.

Opposition: „unsensibel“ und „unprofessionell“

Zu ihrer eigenen Rolle erklärte Karliczek vor dem Ausschuss, sie habe auf den Verfahrensverlauf und die Standortentscheidung „keinen Einfluss“ genommen. Das mag formal stimmen – und das nahmen ihr viele Ausschussmitglieder am Ende auch ab. „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die Ministerin aktiv für Münster eingesetzt hat“, sagte Grünen-Forschungsexpertin Anna Christmann im Anschluss an die Sitzung unserer Redaktion.

Dennoch bleibt großer Unmut über das Wie der Entscheidung: „Unsensibel“, „unprofessionell“ und „intransparent“ nennt der forschungspolitische Sprecher der FDP, Thomas Sattelberger, das Vorgehen. „Als Ministerin befindet sich Karliczek noch in der Lehrlingsphase.“

Auch Grünen-Politikerin Christmann kritisiert: „Die Ministerin versteckt sich hinter ihrem Haus.“ Das gesamte Verfahren sei nicht nachvollziehbar. Es sei zum Beispiel höchst fragwürdig, auf den letzten Metern eines Prozesses noch mal die Kriterien zu ändern. Der Ausschuss verpflichtete die Ministerin schließlich, den Abgeordneten Einblick in sämtliche Unterlagen zu geben.